Le Pens Welle schwemmt Macrons Machtaura weg

Der französische Präsident hatte sich immer als Bollwerk gegen die extreme Rechte inszeniert. Nun ist die so stark wie nie. Er trägt nicht die ganze Verantwortung dafür – aber ziemlich viel.

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Der Tag des Triumphs: Marine Le Pen in Hénin-Beaumont, ihrer Wahlheimat. Sie wurde bereits in der ersten Runde ins Parlament gewählt.

Was ist nur los in Frankreich? Nun, einiges. Und manches davon ist erklärbar, auch das scheinbar Unerklärliche. Das Land der Aufklärung, der Menschenrechte, des Kosmopolitismus driftet so weit nach rechts wie noch nie – und womöglich ins Dunkle, in die Abschottung, in die Fremdenfeindlichkeit.

Jeder dritte französische Wähler hat in der ersten Runde der vorgezogenen Parlamentswahlen für das Rassemblement National von Marine Le Pen gestimmt – 10,5 Millionen Französinnen und Franzosen. Das ist mehr als ein Fanal, das ist ein Sturm. Nie war die Gefahr, dass es die Lepenisten an die Macht schaffen, so gross wie diesmal, am 7. Juli, nach der zweiten Wahlrunde. Und selbst wenn sie keine absolute Mehrheit gewinnen sollten: Sie werden das Parlament mächtig beschallen mit ihrem trüben Weltbild.

Viele Gegner waren resigniert. Wachen sie jetzt auf?

Viele Wähler auf dem Land hängen der Hoffnung nach, dass Le Pen und ihr Sprechautomat Jordan Bardella ihr Schicksal drehen können. Andere sagen: Die haben noch nie regiert, sollen sie doch auch einmal. Als wäre das ein ganz normaler Machtwechsel.

Bei den Gegnern spürte man bisher viel Resignation. Die Kundgebungen gegen die extreme Rechte? Kein Vergleich zu früher. Die Linke raufte sich zwar zusammen und verhinderte so ein noch viel grösseres Desaster. Aber sie machte nie den Anschein, als glaubte sie an einen Sieg. Die sonst so engagierten Intellektuellen und Künstler waren denkwürdig still. Wachen sie nun auf?

Es gibt Fatalisten, die sagen, irgendwann müsse es ja mal passieren. Seit 1972 versuchen die Le Pens, das Land mit ihrer Hetze zu gewinnen, mit unheimlicher Geduld. Früher war die Partei offen rassistisch und antisemitisch. Vater Le Pen wurde mehrmals wegen Judenhass verurteilt. Heute unterdrückt sie den Hass, so gut es geht: Bei ungefähr hundert ihrer Kandidaten fürs Parlament fand man Zeugnisse von Homophobie, Islamophobie oder Antisemitismus. Aber das scheint nicht mehr so viele Menschen zu stören.

Dieses Gefühl des Niedergangs

Die Lepenisten profitieren auch von dem, was man in Frankreich «déclinisme» nennt, das kommt vom Wort déclin: Niedergang. Die Franzosen neigen dazu, ihr Land schlecht zu reden, für heruntergekommen, für kleinmächtig nach Jahrhunderten echter und eingeredeter Grandeur. Das zeigen die Umfragen. Der Schriftsteller Sylvain Tesson schrieb einmal: «Frankreich ist ein Paradies mit Bewohnern, die denken, sie lebten in der Hölle.»

Natürlich gibt es auch Franzosen, denen es nicht gut geht, die viel verloren haben oder sich als Verlierer fühlen. Gerade auf dem Land finden viele, sie seien gefangen in einer Abwärtsspirale. Die Industrien sind weg, die kleine Landwirtschaft, die Perspektiven – es ist wie in vielen Gegenden Europas.

Le Pen ruft ihnen zu: Wir stehen auf einem Trümmerfeld, alle Kontrolle haben wir verloren – die Beschreibung des Landes kann gar nicht düster genug sein. Das ist ein billiger Trick der Populisten, solange sie in der Opposition sind.

Eine Dekade von Katastrophen

Der elitäre Blick aus Paris, der reichen Hauptstadt, die in der Zwischenzeit glänzt und boomt, verstärkt dieses Gefühl des Untergangs zusätzlich. Es bringt nichts, wenn man den Menschen auf dem Land sagt, eigentlich sei alles nicht so schlimm, die Arbeitslosigkeit sei gar so tief wie lange nicht mehr, der französische Sozialstaat bleibe einer der üppigsten im Westen.

Alles wahr, aber es hilft nicht. Es zählt nur die Wahrnehmung. Und die ist nun mal pauschal «décliniste», nach einer Dekade von Katastrophen: die islamistischen Attentate von 2015 und 2016, die Pandemie, die Folgen der Kriege in der Ukraine und in Nahost.

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Ein Lächeln gegen die schlechten Prognosen: Emmanuel Macron nach der Stimmabgabe am Sonntag.

Präsident Emmanuel Macron redet schon lange am Volk vorbei, aber er redet weiter. Sein Optimismus und sein Selbstlob kollidieren so stark mit dem Pessimismus der Franzosen, dass ihn viele einfach weghaben wollen. Auch dafür gibt es ein Wort in Frankreich: dégagisme, etwa Hau-ab-ismus. Jetzt gab er dem Volk eine Chance, ihn und sein Lager zu bestrafen, und das haben viele getan.

Das muss Macron aber nicht kümmern, die Verfassung schützt seine Präsidentschaft: Er kann im Élysée bleiben bis zum Ende seiner Amtszeit, bis 2027, wer auch immer gewinnt am nächsten Sonntag. Ohne jede Strahlkraft allerdings, wie die klassisch lahme Ente.

Die Hoffnung von damals ist weg

Mit seinem Pokercoup der Neuwahlen hat Macron die Schleuse für die extreme Rechte weit geöffnet. Und es ist nicht sicher, ob sie sich noch einmal schliessen lässt. Kommen die Lepenisten an die Macht, dann ist das auch sein persönliches Versagen, sein politisches Verschulden.

Zu Beginn seiner hoffnungsfrohen Präsidentschaft hatte Macron versprochen, er werde mit seinem umsichtigen Regieren dafür sorgen, dass dann niemand mehr versucht sein werde, die extreme Rechte zu wählen. Nach sieben Jahren im Amt ist die so stark wie nie in der Geschichte des Landes.

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