«Keine Nazis in der Stadt, macht sie alle platt»: Die AfD veranstaltet ihren Parteitag unter Protest und übt sich in Geschlossenheit

«keine nazis in der stadt, macht sie alle platt»: die afd veranstaltet ihren parteitag unter protest und übt sich in geschlossenheit

Mehrere zehntausend Menschen nahmen an den Protesten gegen die AfD teil. Markus Matzel / Imago

Die AfD hatte zu ihrem zweitägigen Bundesparteitag nach Essen geladen, und die Polizei rechnete mit dem Schlimmsten. Unter den zu Zehntausenden erwarteten Gegendemonstranten sollten sich mehrere hundert gewaltbereite Linksextremisten befinden. Bereits am Freitag lastete eine angespannte Stille über der Stadt, die rund um die Grugahalle in Sperrzonen unterteilt war.

Als die Versammlung am Samstagabend zur Hälfte vorüber war, galt es 28 verletzte Polizisten zu beklagen, unter ihnen ein Schwerverletzter, Delegierte waren eingekesselt, Journalisten bedrängt und Polizisten als «Bullenschweine» beschimpft worden. Insofern bot Essen einen Parteitag der Rechten und friedliche Demonstrationen, aber auch ein Gipfeltreffen der Linksradikalen und die Manifestation einer kollektiven Hysterie.

Kommunale Unternehmen fordern Toleranz

Von 70 000 Gegendemonstranten sprachen die Veranstalter und damit von mehr Menschen, als die Alternative für Deutschland selbst nach einem rasanten Anstieg der Eintrittszahlen Mitglieder hat. Derzeit, verkündete der mit 82,7 Prozent wiedergewählte Parteivorsitzende Tino Chrupalla, gebe es 46 881 Mitglieder. Entscheidend für die weitere Entwicklung, fuhr der Sachse aus, seien die im Herbst anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg: «Im Osten muss für uns die Sonne der Regierungsverantwortung aufgehen.» Die Aussichten freilich sind vage. Zwar belegt die AfD in allen drei Ländern stabil den ersten Platz, doch niemand will mit ihr koalieren. Die Rechten gelten als unberührbar.

Insofern war der enorme Aufwand putzig, den die von einem christlichdemokratischen Oberbürgermeister geführte Ruhrmetropole betrieb, um der Konkurrenz einen unfreundlichen Empfang zu bereiten. Zuvor hatte derselbe CDU-Politiker versucht, den Parteitag durch nachträgliche Änderungen am Mietvertrag zu verhindern, und eine Niederlage vor Gericht erlitten.

Nun war der Weg zur Grugahalle mit Plakaten gepflastert, auf denen kommunale Unternehmen mahnten: «Gegen Rassismus», «Für Toleranz», «Für Demokratie». Jedoch gehört es zu den gesetzlich vorgeschriebenen Pflichten einer demokratischen Partei, jährlich einen Parteitag abzuhalten. Die Ausübung dieser Pflicht sollte verunmöglicht werden durch Blockaden und Strassenproteste, aus denen derselbe Geist sprach wie aus dem mit rosa Kreide vor der Grugahalle auf den Boden geschriebenen Bekenntnis: «Wir wollen keine AfD – keine Diktatur». Deutschlandweit rangiert die AfD in Umfragen bei rund 17 Prozent.

Während Chrupalla wiedergewählt wurde und nach ihm mit etwas schwächeren 79,8 Prozent seine Co-Vorsitzende Alice Weidel, stürzte draussen eine kampferprobte Antifa die Polizei in immer neue Kalamitäten. Die laut skandierten Losungen der zum Teil mit FFP2-Masken vermummten Linksradikalen lauteten: «Keine Nazis in der Stadt, macht sie alle, alle platt», «Deutsche Polizisten schützen die Faschisten» oder «Hoch, hoch, hoch die internationale Solidarität».

Landesverbände prägen den neuen Stil

Der Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslands und Christlichdemokrat Hendrik Wüst lobte als «starkes Zeichen für unsere Demokratie», dass so viele Menschen gegen «Antidemokraten» auf die Strasse gingen. In Nordrhein-Westfalen sei «kein Platz für Hetze, Hass und Rechtsextremismus». Zuvor hatten Demonstranten laut gerufen: «Ganz Essen hasst die AfD» und «Hass, Hass, Hass wie noch nie».

Der Versuch, den etwa das Bündnis «Widersetzen» unternommen hatte, den gesamten Parteitag durch Sitzblockaden und Störaktionen zu verhindern, scheiterte. Am Samstagvormittag waren die 600 Delegierten fast vollzählig in der Grugahalle versammelt. Bereits nach viereinhalb Stunden war der neue 14-köpfige Bundesvorstand – dreizehn Männer und eine Frau – gewählt. Die AfD häutete sich und legte dank wirkungsvollen Vorabsprachen ihr bisher lustvoll gepflegtes Image als eine Ansammlung selbstherrlicher Streithansel ab.

Die neuen Machtverhältnisse verlaufen nicht mehr entlang der Dichotomie von eher bürgerlichen und stramm nationalistischen Kräften. Lagerübergreifend bestimmt das Nehmen und Geben der Landesverbände den neuen, auf Konsens angelegten Stil. Nur bei vier der vierzehn vergebenen Positionen gab es Gegenkandidaten. Noch vor einem Jahr war ein solches Szenario undenkbar.

Die Landesfürsten wie auch die Vertreter der unverändert vorhandenen Strömungen haben offenbar begriffen, dass öffentlich zelebrierter Streit nicht auf das Konto der AfD einzahlt. Nach aussen bemüht man sich um Geschlossenheit und verkündet in mitunter wortgleichen Formulierungen: Den «Deutschlandabschaffern» in den anderen Parteien setze man «Liebe zum eigenen Land» entgegen, was sich konkret in einem Widerstand gegen «Deindustrialisierung und Massenmigration» zeige, aber auch in einer Kampfansage an den als einseitig wahrgenommenen öffentlichrechtlichen Rundfunk.

Das neue Vorstandsmitglied Heiko Scholz, ein Landtagsabgeordneter aus Hessen, verstieg sich zur Forderung, die Jugend solle künftig wieder «unbeschwert lachen, feiern, lernen und vor allem singen dürfen» – eine Anspielung auf das Absingen der fremdenfeindlichen Parole «Ausländer raus» durch junge Erwachsene auf Sylt und anderswo?

Als Damoklesschwert schwebt über der Partei die Aussicht, der Verfassungsschutz könnte die gesamte AfD als «gesichert rechtsextremistisch» einstufen. Im vorvergangenen Jahr, rechnete der wiedergewählte Schatzmeister Carsten Hütter vor, seien die Kosten für Rechtsberatung und Vertretung um 80 Prozent auf über 540 000 Euro angestiegen. Den Löwenanteil von rund 390 000 Euro verschlang die Auseinandersetzung mit dem Inlandgeheimdienst. Hütter setzte hinzu: «Jeder Euro ist es für die Sache wert.»

Wie geht es weiter im Europäischen Parlament?

Am Sonntag verrannen die Stunden zunächst mit Satzungsdebatten und Wahlen zum Bundesschiedsgericht. Dabei verhakten sich einige Delegierte wie zu früheren Zeiten in wechselseitiger Abneigung. Lautstark wurde es bei der Abstimmung darüber, ob künftig in den Landesverbänden neben Mitglieder- auch Delegiertenparteitage möglich sein müssen. Hier wurde die nötige Zweidrittelmehrheit trotz einer Intervention von Parteichefin Weidel knapp verfehlt. Danach verwiesen die Delegierten den Antrag, den Posten des Generalsekretärs neu zu schaffen, in den Satzungsausschuss – mit 51 zu 49 Prozent. Beschlossen und sofort wirksam wurde hingegen der Austritt aus der europäischen Partei «Identität und Demokratie», der man erst 2023 beigetreten war.

In den Gängen aber gab es nur ein Thema: den angekündigten Zusammenschluss der österreichischen FPÖ und des ungarischen Fidesz zu einer neuen Fraktion im Europäischen Parlament. Die Delegation der AfD, so viel war von den in Essen versammelten Parlamentariern zu hören, würde gern dem Bündnis Patriots for Europe beitreten.

Grosse Chancen rechnet man sich nicht aus. Viktor Orban und der Fidesz haben die AfD bisher auf Abstand gehalten. Jedoch sollen die Verhandlungen mit kleinen europäischen Rechtsparteien zur Gründung einer ebenfalls neuen Fraktion womöglich nicht bereits in der kommenden Woche abgeschlossen werden. Die AfD setzt auf den Faktor Zeit.

Als aktuelle Impulse hingegen sollen zwei am späten Sonntagnachmittag verabschiedeten Resolutionen verstanden werden. Die erste fordert einmal mehr die «Schaffung eines strategisch autonomen Europas der Vaterländer, das die Souveränität Deutschlands und Europas gegenüber Grossmächten stärkt». Deutschland müsse sich stärker von der US-Aussenpolitik emanzipieren. Unter der Überschrift «Für ein Europa des Friedens» heisst es sodann, Deutschland dürfe keine Aussenpolitik betrieben, die moralische Werte vor genuine Interessen stelle, und weiter: «In der multipolaren Welt des 21. Jahrhunderts bieten wir allen Ländern Partnerschaft auf der Basis gegenseitigen Respekts an», auch Russland, auch China.

In der jungen Geschichte der AfD könnte dieser Parteitag eine Zäsur bedeuten. Drei Landtagswahlen vor Augen, wollen die Rechten künftig nicht mehr das Schauspiel einer Partei aus zahllosen miteinander verfeindeten Parteiungen bieten. Wie lange der Burgfriede hält, ist fraglich. Und letztlich entscheidet über den Erfolg einer dezidiert migrationskritischen Partei vor allem eins: ob die Bundesregierung weiterhin eine Migrationspolitik betreibt, die von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird.

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