Neandertaler waren sehr soziale Menschen: Sie sorgten für ein behindertes Kind – sechs Jahre lang, bis zu seinem Tod

neandertaler waren sehr soziale menschen: sie sorgten für ein behindertes kind – sechs jahre lang, bis zu seinem tod

Ihr Sozialverhalten ähnelte dem unsrigen: Rekonstruktion einer Neandertaler-Familie, angefertigt von der Künstlerin Élisabeth Daynès. Philippe Plailly / SPL / Keystone

Ein Kind mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen grosszuziehen, das ist für Eltern auch in unserer modernen Welt eine grosse Herausforderung. Um wie viel schwieriger muss es vor mehr als 125 000 Jahren in einer Neandertaler-Gruppe gewesen sein? Und doch ist es gelungen: In Südspanien wurde ein Neandertaler-Kind, das offenbar das Down-Syndrom aufwies, sechs Jahre alt.

Was Experten aus einem einzelnen Knochen herauslesen

Der Fund war ein Glücksfall. Als Mercedes Conde-Valverde und ihr Team in einer Kiste aufbewahrte kleinere Artefakte aus einer Grabung von 1989 nochmals durchschauten, fanden sie einen Schläfenbeinknochen. Dieser umschliesst das Innenohr. Er stammte aus der Cova-Negra-Höhle in der Nähe von Valencia. Doch der Knochen war auffällig anders: Das Innenohr war deutlich kleiner, als das für ein Kind zu erwarten ist. Zudem gab es weitere Anomalien.

«Die Summe aller Auffälligkeiten findet man heutzutage nur bei Personen mit dem Down-Syndrom», erklärt Conde-Valverde. «Daher gehen wir davon aus, dass das Kind davon betroffen war.» Die Knochen liessen darauf schliessen, dass das Kind höchstwahrscheinlich sehr schlecht hörte oder gar taub war. Zudem dürfte es Gleichgewichtsprobleme und Schwindel gehabt haben. Ob und wie stark es geistig beeinträchtigt war, kann man aus einem Knochen nicht ablesen.

Bei dem Down-Syndrom, einem angeborenen Gendefekt, weisen die Zellen das Chromosom 21 dreimal statt wie im Normalfall zweimal auf. Die Bandbreite der Symptome ist breit. Zwar ist unklar, inwieweit das Neandertaler-Kind beeinträchtigt war, doch sicher ist: Es konnte nur dank permanenter Hilfe und Betreuung sechs Jahre alt werden.

Conde-Valverde ist überzeugt: «Das war nur möglich, weil die Gruppe der Mutter kontinuierlich geholfen hat.» Das zeige, dass die Mitglieder ein entwickeltes Sozialverhalten praktiziert hätten und auch zu altruistischen Handlungen fähig gewesen seien. Sie schafften es, ein behindertes Kind im nomadischen Alltag im wahrsten Sinn des Wortes mitzutragen.

Neandertaler sorgten für Alte und Kranke

«Der Fund hat mich sehr berührt», sagt die Archäologin Penny Spikins von der University of York. Sie hat die Ergebnisse vorab begutachtet. «Dieses kleine, deformierte Innenohr eines sechsjährigen Kindes erzählt von grosser menschlicher Fürsorge, die nicht nach dem Nutzen fragt.»

Die Tatsache, dass sich die Neandertaler-Gruppe um das Kind gekümmert hat, kam laut Spikins nicht unerwartet. «Wir haben bereits Hinweise aus anderen Fundorten, dass Neandertaler-Gruppen kranke Menschen gepflegt und auch über einen längeren Zeitraum hinweg versorgt haben.»

So wurde in einer Höhle im Irak ein Knochen eines Mannes gefunden, dem ein Arm fehlte und der auf einem Auge blind war. Er hat zehn bis fünfzehn Jahre mit seinen Verletzungen gelebt. In Frankreich wurden Neandertaler-Skelette mit Arthrose entdeckt. Die Einschränkungen bei Bewegungen waren dadurch so erheblich, dass diese Individuen nicht allein hätten überleben können.

Neandertaler lebten in Gruppen von zwölf bis fünfzehn Individuen

Diese Hinweise auf Fürsorge sind wichtige Puzzleteile für die Rekonstruktion des Verhaltens der Neandertaler. Aus zahlreichen Funden aus Europa und Asien haben Forscherinnen und Forscher in den letzten Jahren zudem viel über die Sozialstrukturen der Neandertaler gelernt.

Sie lebten in der Regel in Gruppen von zwölf bis fünfzehn Individuen zusammen. Viele, aber nicht alle waren verwandt. DNA-Analysen haben gezeigt, dass oftmals Brüder oder Halbbrüder zusammenblieben, während Frauen mobiler waren und sich neuen Gruppen anschlossen. Kontakte zu anderen gab es. Aber nicht in einem derart umfangreichen Netzwerk, wie das zum Beispiel bei heutigen Jäger-Sammler-Clans der Fall ist.

Kooperativ sein, um zu überleben

«Regelmässig kamen mehrere Gruppen zu gemeinsamen Jagden auf richtig grosse Tiere wie zum Beispiel Waldelefanten zusammen», erzählt die Archäologin Sabine Gaudzinski-Windheuser von der Universität Mainz. Sie hat das Jagdverhalten an mehreren Fundorten untersucht. «Die Neandertaler waren echte Haudegen, mutig, unerschrocken. Viele Skelette weisen zahlreiche Blessuren auf, die von risikoreichen Jagden berichten.»

Erfahrene Handwerker gaben ihr Wissen an Neulinge weiter. Unterschiedliche Spuren auf einem Objekt zeigen nämlich, dass daran die Bearbeitung geübt und verbessert wurde, bis hin zum gebrauchsfähigen Werkzeug. Die Fachwelt geht davon aus, dass es eine Art Schulung gab.

Beide Archäologinnen sind überzeugt, dass das Überleben der Neandertaler davon abhing, dass jede und jeder in der Gruppe gut zusammenarbeiten konnte und sich auch für andere einsetzte. «Überleben hing davon ab, sozial und kooperativ zu sein», so fasst es Spikins kurz und bündig zusammen.

Ein wichtiger Unterschied zum Homo sapiens

In puncto Sozialverhalten hätten sich die Neandertaler und anatomisch moderne Menschen sehr geähnelt, betont Gaudzinski-Windheuser. Doch alle bisherigen Funde lassen auf einen grossen Unterschied schliessen: Die Neandertaler hätten im Hier und Jetzt gelebt. Es gebe keine Anzeichen dafür, dass Neandertaler sich um ein Leben nach dem Tod Gedanken gemacht hätten. Zwar hätten sie sich durchaus um ihre Toten gekümmert. Es gebe Höhlen, da seien manche Verstorbenen in Mulden gebettet worden, mit dem Kopf in Felsausbuchtungen.

Das bedeute, es habe symbolisches Verhalten und offenbar auch gewisse Vereinbarungen innert einer Gruppe gegeben, die nicht auf die Bewältigung des Alltags gezielt hätten. Aber es habe kein ausgeprägtes Regelwerk existiert, wie dies in späteren Jäger-Sammler-Gruppen des Homo sapiens der Fall war.

«Vor ungefähr 45 000 Jahren haben Homo-sapiens-Vertreter begonnen, die Welt jenseits der reinen Sinneseindrücke wahrzunehmen», erklärt die Mainzer Archäologin. Funde an diversen Orten hätten gezeigt, dass sich die Menschen mit Dingen beschäftigt hätten, die sie nicht sahen. Ein Beispiel dafür seien die Abbildungen von Mensch-Tier-Mischwesen in den Felsmalereien. Die Menschen damals hätten begonnen, sich von den Naturgewalten zu lösen. Sie hätten nicht nur einfach auf sie reagiert, sondern Gegenstände und Verhaltensweisen entwickelt, um den eigenen Lebensort bewusst zu gestalten.

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