Macron bringt seinen «sehr guten Freund» Berset in die Bredouille
Innige Begrüssung: Bundespräsident Alain Berset empfängt im November 2023 ;den französischen Präsidenten Emmanuel Macron und seine Frau Brigitte Macron (links) auf dem Flughafen Bern-Belp. Anthony Anex / Keystone
Alain Berset und Emmanuel Macron mögen sich. Sie schütteln sich nicht die Hände, wenn sie sich treffen, sie umarmen sich. Sie sind per Du und schreiben sich SMS. Als Berset letztes Jahr Bundespräsident war, kam Macron (als erster französischer Präsident seit langem) auf Staatsbesuch nach Bern. Und auch als Berset Anfang Jahr ankündigte, für das prestigeträchtige Amt des Generalsekretärs des Europarates zu kandidieren, stand ihm Macron zur Seite.
Er könne sich zwar offiziell nicht zu Bersets Kandidatur für den Posten in Strassburg äussern, sagte er in die Mikrofone. Aber, fügte er an, Berset sei sein «sehr guter Freund». Er «schätze sehr», was er mache. Eine klare Botschaft.
Doch ausgerechnet Macron beschert Alt-Bundesrat Berset und seiner Entourage jetzt Probleme. Denn: Der französische Staatschef hat vergangenes Wochenende nach der Niederlage seiner Partei bei den Europawahlen überraschend die französische Nationalversammlung, das Unterhaus des Parlaments, aufgelöst und Neuwahlen angekündigt.
Das hat Folgen für die französische Delegation im Europarat, die sich aus Parlamentariern der Nationalversammlung und des Senats zusammensetzt. Die Parlamentarier der Nationalversammlung verlieren nämlich nicht nur ihr Mandat in Paris, sondern auch ihren Sitz in Strassburg. So wollen es die französischen Regeln. Ausnahmen wurden bislang keine kommuniziert. Für die Senatoren hat Macrons Entscheid keine Konsequenzen.
Für Berset ist das Ganze ein Problem. Sein Team hat fest auf die Unterstützung der französischen Delegation bei der Wahl am 25. Juni gehofft. Einerseits sind unter den Parlamentariern viele Macronisten, die Berset wohl unterstützt hätten. Andererseits sind die Franzosen einem französischsprachigen Kandidaten wie Berset gegenüber generell freundlich eingestellt.
Kommen die Briten?
Und damit nicht genug. Auch die Teilnahme der britischen Delegation ist im Moment nicht bestätigt. Die Situation gleicht jener in Frankreich: Der britische Premier Rishi Sunak hat im Mai überraschend Neuwahlen angekündigt. Auf der Website des britischen Parlaments steht seither, es gebe «derzeit keine Abgeordneten», alle Sitze im Unterhaus des Parlaments seien «bis nach den Wahlen am 4. Juli unbesetzt».
Es ist also wahrscheinlich, dass viele Briten der Wahl fernbleiben werden. Selbst wenn sie ihr Mandat in Strassburg ausüben dürften, werden sich einige wohl eher für den Wahlkampf in Grossbritannien entscheiden. Das ist unglücklich für Berset, der als Vertreter eines Nicht-EU-Landes auf den Support der Briten gehofft hatte. Die britische und die französische Delegation haben nicht auf Anfragen dieser Zeitung reagiert.
In der Schweizer Delegation rechnet man aber fest damit, dass die beiden Delegationen nicht vollständig nach Strassburg reisen werden. Die Aufregung ist entsprechend gross. Der SP-Nationalrat Pierre-Alain Fridez sagt: «Das ist gar keine gute Nachricht für uns.» Und SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel warnt: «Fehlende Stimmen der Briten und Franzosen könnten bei der Wahl entscheidend sein.»
Denn Frankreich und Grossbritannien stellen in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates mit die grössten Delegationen. Sie zählen beide je 36 Mitglieder: 18 Stimmberechtigte und 18 Stellvertreter. Gemeinsam machen sie also mehr als zehn Prozent der rund 300 stimmberechtigten Parlamentarier im Europarat aus.
Hinzu kommt: Im Europarat tauchen – anders als im Schweizer Parlament – kaum je alle Politiker auf. Mitglieder der Schweizer Delegation rechnen damit, dass etwas mehr als 200 Parlamentarierinnen und Parlamentarier am Wahltag anwesend sein werden. Es zählt also jede Stimme.
Favorit Berset
Bis jetzt konnte Alain Berset der Wahl zuversichtlich entgegenblicken. Er galt als Favorit für das Amt des Generalsekretärs. Das Ministerkomitee des Europarates hat ihn an die Spitze eines Dreiertickets gesetzt, das es der Parlamentarischen Versammlung zur Wahl vorschlägt. Hinter Berset liegen der Este Indrek Saar und der Belgier Didier Reynders.
Saar ist der Kandidat der Sozialdemokraten im Europarat. Im linken Lager ist man dem Vernehmen nach verärgert über die Kandidatur von SP-Politiker Berset, der Saar wichtige Stimmen kosten könnte. Berset gilt als profilierter und charismatischer als der frühere estnische Kulturminister.
Reynders ist der Kandidat der Liberalen. Er hat bereits einmal für das Amt des Generalsekretärs kandidiert und dürfte als amtierender EU-Kommissar auf die Unterstützung aus vielen EU-Ländern zählen können. Der Europarat selber ist keine Institution der EU.
Schweizer setzen auf ein Fest
Die Schweizer Delegation verstärkt nun noch einmal die Kampagne für Berset. Am Donnerstag fand im Bundeshaus ein Strategie-Treffen statt. Daran teil nahmen die Parlamentarier, die die Schweiz im Europarat vertreten, der Ständige Vertreter der Schweiz in Strassburg, Claude Wild, eine Vertreterin des Aussendepartements und Alt-Bundesrat Berset (der mit Sonnenbrille und Sonnenhut an seine alte Wirkstätte schlenderte).
Die Aufgabe der Schweizer Parlamentarierinnen und Parlamentarier besteht nun darin, möglichst viele ihrer Bekannten im Europarat von Berset zu überzeugen. Die Sozialdemokraten und Grünen sollen in der linken Fraktion weibeln, die Freisinnigen und SVPler in der liberalen. Für das Lobbying in der konservativen Fraktion wurde gar der frühere CVP-Fraktionschef Filippo Lombardi angefragt. «Wir sind jetzt wie eine Nationalmannschaft, die geeint hinter dem Schweizer Kandidaten steht», sagt SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel.
Kandidat Berset tut ebenfalls einiges zur Verwirklichung seiner Ambitionen. Er soll 26 Länder des Europarates besucht und mit Vertretern von sämtlichen 46 Mitgliedstaaten Kontakt gehabt haben. Der ehemalige Bundespräsident nahm sogar an der Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock teil, um für seine Kandidatur zu werben.
Ein kleiner Höhepunkt der Kampagne steht aber noch an. Am Sonntag vor der Wahl lädt die Schweiz zu einem kleinen Fest – einem sogenannten Open House – in die Residenz des Schweizer Botschafters in Strassburg. Die eingeladenen europäischen Parlamentarier sollen dort die Möglichkeit haben, persönlich mit Berset zu sprechen. Bei einem Glas Wein, einem Happen vom Buffet oder vielleicht sogar vor dem Fernseher (am Sonntagabend läuft das EM-Fussballspiel Schweiz - Deutschland).
Die Schweizer Delegation lässt also nichts unversucht. Ob sie damit die möglichen Absenzen der Franzosen und Briten im Europarat ausgleichen kann, wird sich am 25. Juni zeigen.