Wirkung der Abschiebe-Debatte auf Geflüchtete: „Alle haben massive Ängste entwickelt“

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Wirkung der Abschiebe-Debatte auf Geflüchtete: „Alle haben massive Ängste entwickelt“

wirkung der abschiebe-debatte auf geflüchtete: „alle haben massive ängste entwickelt“

Straßenszene in Badachschan (Afghanistan). „Jetzt herrschen die Taliban, und es werden keine Pässe mehr ausgestellt.

Psychotherapeutin Katrin Kammerlander-Straub darüber, wie traumatisierte Geflüchtete die Abschiebedebatte wahrnehmen.

Frau Kammerlander-Straub, aus welchen Ländern kommen Ihre Klientinnen und Klienten?

Aktuell betreue ich Geflüchtete aus Afghanistan, der Demokratischen Republik Kongo, Uganda, Somalia und Jemen.

Mit welchen Problemen kommen die Menschen zu Ihnen?

Bei Refugio München sind nur Menschen mit einer psychischen Erkrankung in Behandlung. Das sind Menschen, die im Heimatland oder auf der Flucht so schwere traumatische Erlebnisse hatten, dass sie jetzt immer noch unter einer sogenannten Trauma-Folgestörung leiden. Das kann zum Beispiel eine schwere Depression oder Angststörung sein. Ich arbeite mit Erwachsenen, bei mir sind es vor allem Menschen mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung: Die Betroffenen müssen immer wieder dieses Schreckliche durchleben, das ihnen passiert ist. Das traumatische Erlebnis oder auch mehrere davon kommen immer wieder, etwa in Alpträumen, oder auch tagsüber in sogenannten Intrusionen.

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Was sind Intrusionen?

Intrusion heißt: Die Menschen sind mit irgendetwas beschäftigt, das kann der Deutschkurs sein, die Arbeit, zu Hause aufräumen, Bus fahren – und plötzlich steigen die Bilder aus der Vergangenheit in ihnen auf. Manchmal ist das so stark, dass die Leute den Realitätsbezug verlieren und nicht mehr wissen, dass sie jetzt in Sicherheit sind. Sie denken: Ich bin jetzt genau wieder dort, wo das damals passiert ist. Das nennt man dann Flashback.

Welche Erlebnisse machen so krank?

Bei Frauen waren es sehr häufig Vergewaltigungen und allgemein sexualisierte Übergriffe. Oft liegen Kriegserlebnisse zugrunde, eine schwere Verletzung, oder wenn man miterlebt hat, wie andere getötet wurden. Wenn bei der Flucht über das Mittelmeer Boote untergegangen sind. Immer handelt es sich um Situationen äußerster Hilflosigkeit, Angst oder Todesangst. Wir wissen zum Beispiel, dass sehr viele Geflüchtete aus Syrien aufgrund des Kriegs eine Posttraumatische Belastungsstörung entwickelt haben. Das ist für Afghanistan ähnlich, denn dort hat ja 40 Jahre lang mehr oder weniger Krieg geherrscht.

Aktuell erleben wir eine sehr zugespitzte Migrationsdebatte. Die Bundesregierung verhandelt schon konkret über mögliche Abschiebungen von Straftätern nach Afghanistan, auch Abschiebungen nach Syrien werden vermehrt gefordert. Bekommen Ihre Klient:innen davon etwas mit?

Auf jeden Fall. Allein in den letzten zwei Wochen haben mich alle drei afghanischen Klient:innen, die bei mir in Behandlung sind, danach gefragt. Sie hatten alle in den Nachrichten von dem fürchterlichen Polizistenmord gehört und verurteilen ihn auch ganz klar, aber zugleich haben sie alle drei massive Ängste entwickelt. Obwohl für sie alle ein Abschiebeverbot gilt, sie also erst mal einen sicheren Aufenthalt haben – bei ihnen ist hängengeblieben, dass es um „Abschiebung“ und „Afghanistan“ geht, und damit ist ihr persönliches Sicherheitsgefühl dahin. Auch wenn es in der Debatte bisher nur um Straftäter geht.

Wie äußert sich das konkret?

Eine afghanische Klientin lebt mit ihrem Mann und den zwei Kindern, 5 und 12 Jahre alt, in Deutschland. Sie hat gezittert und geweint, so groß war ihre Angst, dass sie jetzt wieder zurück müsse zu den Taliban. Ein anderer Klient ist 30 Jahre alt und lebt noch in einer Gemeinschaftsunterkunft, wo er in den vergangenen Jahren immer wieder erlebt hat, wie die Polizei andere Geflüchtete zur Abschiebung abgeholt hat. Bisher konnte ich ihn immer beruhigen, indem ich sagte, es wird nicht nach Afghanistan abgeschoben, du bist hier sicher. Das ist für ihn jetzt erst mal hinfällig geworden. Er sagte mir: „Die verhandeln doch jetzt. Die wollen doch, dass wir gehen.“

Zur Person

Katrin Kammerlander-Straub arbeitet als Psychologische Psychotherapeutin bei Refugio München, einem Beratungs- und Behandlungszentrum für Menschen mit Fluchterfahrung. Mit psychosozialen, therapeutischen und pädagogischen Hilfen sowie Außenstellen in Landshut und Augsburg unterstützt das 1994 gegründete Zentrum pro Jahr rund 3000 geflüchtete Kinder, Jugendliche und Erwachsene. 1200 von ihnen waren oder sind in Therapie. Die Stadt München finanziert das Zentrum fast zur Hälfte, eine große Rolle spielen Spenden.

Refugio München und fast 50 ähnliche Einrichtungen haben sich in der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (Baff) zusammengeschlossen.

Nur gut vier Prozent der in Deutschland schutzsuchenden Geflüchteten, die Hilfe brauchen, können dem Verband zufolge in den Zentren behandelt werden. Studien zufolge haben aber mindestens 30 Prozent der geflüchteten Menschen aufgrund ihrer traumatisierenden Erfahrungen einen psychosozialen Versorgungsbedarf. rü

Zugleich sind Ihre Klient:innen ja krank. Wie setzen Sie in dieser Lage die Therapie fort?

Nehmen wir die afghanische Familie: Der Mann hat gerade einen Arbeitsvertrag unterschrieben, die Frau ist noch im Deutschkurs, die Söhne gehen zur Mittelschule bzw in den Kindergarten. Sie sind also gut angekommen, nehmen jetzt aber akut wahr: Wir sind nicht erwünscht. Die Frau ist seit eineinhalb Jahren bei mir in Therapie, der nächste anstehende Schritt wäre eine sogenannte Traumakonfrontation. Das heißt, dass wir uns ihre schlimmsten Erlebnisse mit allen Details anschauen würden mit dem Ziel, dass das Gehirn das Erlebte neu ordnen und so sortieren kann, dass wieder klar wird „das ist Vergangenheit“. Dann kann die Angst geringer werden und die Intrusionen am Ende ausbleiben. Dieser therapeutische Schritt geht aber nur, wenn die Personen sich subjektiv sicher fühlen. Das ist jetzt, angesichts der neuen Verunsicherung, nicht möglich.

Wie können Sie als Therapeutin damit umgehen?

Wir müssen bei ihr jetzt erst einmal dieses subjektive Sicherheitsgefühl wieder herstellen. Das war bei ihr tatsächlich nun über eine längere Zeit vorhanden, ist aber durch die aktuelle Abschiebedebatte wieder verloren.

Gibt es weitere Faktoren in der Migrationspolitik, die Ihre therapeutische Arbeit erschweren?

Einen deutlich negativen Einfluss hat das Thema Abschiebungen. Die meisten Klient:innen leben in Gemeinschaftsunterkünften, und sie erleben dort immer wieder Abschiebungen mit. Dann kommen Polizisten in unterschiedlicher Zahl, oft nachts, sie holen die Betroffenen ab, diese reagieren mal stärker, mal weniger stark. Das macht auch was mit den anderen Bewohner:innen, es stellt sich bei ihnen der Eindruck ein, es könne jederzeit jeden treffen.

Seit kurzem greifen zudem Änderungen, wonach die Polizei auch in Wohnräumen anderer Familien nach den Abzuschiebenden suchen darf….

Das ist leider richtig, damit sind Unbeteiligte noch stärker mitbetroffen. Wenn da mitten in der Nacht plötzlich ein Polizist im Zimmer steht, stellt das einen ganz starken Eingriff dar in den einzigen Raum, den Geflüchtete als individuelle Rückzugszone noch haben. Nach solchen Erlebnissen nehmen die Alpträume bei den Klient:innen oft wieder zu und generell die Erinnerungen an traumatische Erlebnisse.

Stichwort Familiennachzug: Was bewirkt die oft lange Trennung Geflüchteter von ihren Familien? Trotz Rechtsansprüchen dauert es ja häufig Jahre, bis Geflüchtete ihre Kinder und Partner nachholen können.

Einer meiner afghanischen Klienten versucht seit drei Jahren, seine Frau und zwei Kinder aus Afghanistan herzuholen. Er selbst arbeitet seit sieben Jahren in Deutschland, er erfüllt alle Bedingungen, kann auch genug Wohnraum bieten. Die Frau hat, vor der Machtübernahme der Taliban, einen Deutschkurs gemacht. Aber jetzt herrschen die Taliban, und es werden keine Pässe mehr ausgestellt. Die braucht die Familie aber, um über Pakistan nach Deutschland zu kommen. Die Depression meines Klienten nimmt seitdem wieder zu, er hat massive Angst um seine Frau, die als alleinstehende Frau in Afghanistan großen Gefahren ausgesetzt ist.

Sie haben die wachsenden Schwierigkeiten Ihrer Arbeit beschrieben. Was wäre Ihre Wunschvorstellung?

Wenn ich meine Phantasie schweifen lassen kann, dann würde ich dafür sorgen, dass alle Geflüchteten, die aufgrund ihrer Erlebnisse eine psychische Erkrankung haben, von Anfang an die nötige Behandlung bekommen. Das heißt: Es gäbe genügend Therapieeinrichtungen, es gäbe sowohl Dolmetschende als auch kultursensible Therapeut:innen. Wenn die Menschen die Chance bekommen, von Anfang über ihre traumatischen Erlebnisse hinwegzukommen, dann sind sie viel schneller in der Lage, deutsch zu lernen, eine Ausbildung zu machen und sich zu integrieren. Krankheit dagegen hemmt die Integration.

wirkung der abschiebe-debatte auf geflüchtete: „alle haben massive ängste entwickelt“

Katrin Kammerlander-Straub.

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