Fußball-EM 2024: Phänomen Eigentor – Interview mit dem Psychologen Joachim Hüffmeier
Sieben Eigentore sind bei dieser EM schon gefallen. Der Psychologe Joachim Hüffmeier erklärt, warum die unglücklichen Torschützen dadurch besonders motiviert werden.
Fußball-EM 2024: Phänomen Eigentor – Interview mit dem Psychologen Joachim Hüffmeier
Bei der Fußball-Europameisterschaft der Männer waren von 81 bisher im Turnier erzählten Treffern sieben Eigentore. Schon jetzt sind zwei Drittel aller Eigentore in der EM-Historie im laufenden und im vergangenen Turnier erzielt worden. Man könnte gar von einem EM-Trend sprechen.
Antonio Rüdiger bescherte im Auftaktspiel den Schotten ihren Trosttreffer gegen die DFB-Elf.
Max Wöber köpfte eine Flanke von Kylian Mbappé ins eigene österreichische Netz und machte so den spielentscheidenden Treffer.
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Der Tscheche Robin Hranáč verwandelte einen unglücklichen Abpraller zum Ausgleichstreffer für Portugal.
Klaus Gjasula vom albanischen Team wurde bei einer Klärungsaktion am Tor ebenfalls angeschossen und versenkte den Ball für Kroatien im Netz.
Riccardo Calafiori traf den Ball nach einer Hereingabe im Lauf und besiegelte das Siegtor für Spanien.
Samet Akaydin wollte gegen Portugal klärend zum eigenen Keeper spielen, es kam zum Missverständnis und der Ball rollte über die türkische Torlinie.
Oranjes Donyell Malen wollte hinten gegen Österreich aushelfen und eine torgefährliche Flanke klären, doch der Ball flog in den eigenen Kasten.
Was macht das mit den unglückseligen Schützen? Fragen an einen Psychologen, der sich mit der Materie befasst hat.
SPIEGEL: Herr Professor Hüffmeier, Sie haben sich in einer Studie mit Eigentoren in der Bundesliga befasst – und den Effekten, die diese auf Sportler haben. Was haben Sie herausgefunden?
Hüffmeier: Dass die Wahrscheinlichkeit eines Eigentorschützen, im Spiel noch einen regulären Treffer zu erzielen, steigt. Und zwar ist diese Wahrscheinlichkeit höher, als die sonstige Trefferquote des Eigentorschützen erwarten ließe, und auch höher als seine Trefferquote, nachdem seine Mannschaft einen »normalen« Gegentreffer, also kein Eigentor, kassiert hat. Hier wird die Motivation erhöht, den eigenen Fehler wieder auszugleichen. Dafür haben wir mehr als tausend Hobbyfußballer befragt. Und diesen Effekt haben wir in der laufenden EM auch schon bei einem der Eigentorschützen gesehen.
SPIEGEL: Klaus Gjasula konnte seinen Patzer tatsächlich wieder gut machen und nach seinem Eigentor für Kroatien noch den Ausgleichstreffer für sein albanisches Team in der Nachspielzeit erzielen. Was macht so ein Eigentor in dem Moment mit einem Spieler?
Hüffmeier: Ich glaube, die Spieler erleben einen Spannungszustand, den sie auflösen wollen. Aber sie wissen auch, dass das nicht das Ende ist – um konkurrenzfähig zu sein, haben sie schon viele Spiele absolviert und wissen: So etwas passiert eben, das bricht einen nicht. Es bringt eine negative Spannung und daraus entsteht eben der Ansporn, den Fehler zu kompensieren.
SPIEGEL: Ein Eigentor ist klar ein Fehler?
Hüffmeier: Ja. Oft auch nur das Ende einer Fehlerkette, doch der Fehler hat einen Namen: den des Eigentorschützen. Und dieser Makel löst, denke ich, sehr starke Kompensationsbemühungen aus. Fußballer wollen den Schaden für die Mannschaft abwenden.
SPIEGEL: Teamgeist steht also im Vordergrund?
Hüffmeier: Ja, das eigene öffentliche Image ist hier ein nachgeordnetes Motiv.
SPIEGEL: Der EM-Rekord liegt bei elf Eigentoren, aufgestellt beim vergangenen Turnier im Jahr 2021. Kann das bei der laufenden EM noch geknackt werden?
Hüffmeier: Es werden noch einige Eigentore fallen, glaube ich! Und ich bin gespannt, ob wir noch weitere Fälle der Kompensation wie bei Gjasula sehen werden.