„Wir mögen keine Großmächte, die kleinere Länder mobben“ – Die neue Ukraine-Allianz
Die Friedenskonferenz in der Schweiz macht Moskau so nervös, dass Putin vorab Bedingungen für eine Waffenruhe nannte. Bedingungen, auf die Kiew nicht eingehen kann und wird. Der Gipfel schafft zwar wie erwartet keinen Frieden, doch es gelingt ihm dafür ein anderes, besonders wichtiges Signal.
Applaus für die Unterstützung seines Landes: Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine dpa
Die Friedenskonferenz im schweizerischen Bürgenstock hatte noch gar nicht begonnen, da versuchte Russlands Präsident schon, sie zu unterminieren. Wladimir Putin formulierte am Freitag Vorbedingungen für eine Waffenruhe: den Abzug ukrainischer Truppen aus den vier östlichen ukrainischen Oblasten Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja und deren Übergabe an Russland sowie den Verzicht auf eine Nato-Mitgliedschaft.
In diesem Fall „werden wir sofort, buchstäblich in derselben Minute, das Feuer einstellen und Gespräche aufnehmen“, sagte Putin vor Führungskräften des russischen Außenministeriums. Doch sein Vorschlag war natürlich kein „Friedensangebot“ wie fälschlicherweise vielfach getitelt wurde.
„Wir müssen die Wahrheit sagen. Er ruft nicht zu Verhandlungen auf, er ruft zur Kapitulation auf“, sagte US-Vizepräsidentin Kamala Harris, die die US-Delegation bei der Friedenskonferenz am Wochenende anführte. Das amerikanische Institute for the Study of War bezeichnete Putins Vorschlag als „informationelle Kriegsführung“.
Tatsächlich würde er bedeuten, dass Kiew weitere, bisher unbesetzte Teile der Ukraine kampflos übergeben müsste. Angesichts der Verbrechen, die Russland bisher in den schon besetzten Gebieten begangen hat, hieße das, noch mehr Ukrainer russischer Unterdrückung, Mord, Folter, Deportation und der Zerstörung der eigenen Kultur auszusetzen. Keine verantwortungsvolle ukrainische Regierung könnte so etwas zulassen.
Entsprechend fielen die Reaktionen in der Schweiz aus. Der Vorschlag sei „absolut verrückt“, sagte am Samstag der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte, der als möglicher Nachfolger von Jens Stoltenberg als Nato-Generalsekretär gehandelt wird. Etwas Positives fand Rutte in der Tatsache, dass Putin überhaupt einen Vorschlag gemacht hatte. „Das zeigt, dass Putin in Panik verfällt“, so Rutte.
Bundeskanzler Olaf Scholz drückte es im Interview mit dem Nachrichtensender WELT etwas diplomatischer aus. Putins Vorschlag stehe sicher im Zusammenhang mit der Friedenskonferenz, so Scholz. „Aber es ist natürlich auch wichtig für uns klarzumachen, dass es nur einen Frieden geben kann, der auch für die Ukraine funktioniert und ihre Integrität und Souveränität nicht beeinträchtigt. Es kann keinen russischen Diktatfrieden geben“, so der Bundeskanzler.
Oder wie Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni es in Bürgenstock formulierte: „Frieden mit Unterwerfung zu verwechseln, setzt einen Präzedenzfall, der gefährlich ist für uns alle.“
Ein Signal der Solidarität mit der Ukraine
An diesem Wochenende wurde aber auch deutlich, dass das Label „Friedensgipfel“ ein wenig überambitioniert war. Das gaben selbst die Schweizer Ausrichter zu. „Wir werden hier auf dem Bürgenstock nicht den Frieden für die Ukraine aushandeln oder gar verkünden können“, betonte Bundespräsidentin Viola Amherd zum Auftakt. Schließlich boykottierte der Aggressor Russland die Konferenz und attackierte die Schweiz im Vorfeld offenbar sogar mit Cyberattacken.
Amherd sah den Gipfel, an dem etwa 100 Länder und internationale Organisationen teilnahmen, daher auch eher als ersten Schritt zu möglichen echten Friedensgesprächen in der Zukunft. „Als internationale Gemeinschaft können wir dazu beitragen, das Terrain für direkte Gespräche zwischen den Kriegsparteien vorzubereiten“, sagte die Schweizer Bundespräsidentin.
Die Bundespräsidentin der Schweiz, Viola Amherd, neben Ukraines Präsidenten Wolodymyr Selenskyj AFP
Der Gipfel sollte einerseits ein Signal der Solidarität mit der Ukraine senden, aber auch Leitplanken aufzeigen für mögliche Friedensgespräche in der Zukunft. Zu ihnen gehört einerseits, dass nichts über den Kopf der Ukraine hinweg entschieden wird, wie US-Vizepräsidentin Harris und viele andere betonten.
„Es wird am Ende an der Ukraine liegen, zu welchen Bedingungen sie einen dauerhaften und gerechten Frieden akzeptieren wird“, sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen auf der Abschlusspresskonferenz. „Gerecht“ bedeutet im Diplomatenjargon eine Lösung auf der Basis der UN-Charta.
„Respekt für die territoriale Integrität und Souveränität kann und wird als Basis dienen, um einen umfassenden, gerechten und dauerhaften Frieden in der Ukraine sicherzustellen“, heißt es in der Abschlusserklärung des Gipfels, die von 80 Staaten und vier internationalen Institutionen unterschrieben wurde. Nicht alle Gipfelteilnehmer haben also zugestimmt.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj betonte jedoch am Schluss der Konferenz, dass alle Teilnehmer die territoriale Integrität der Ukraine unterstützt hätten und lud weitere Länder dazu ein, sich in den kommenden Wochen hinter die Abschlusserklärung zu stellen.
Exporte von Lebensmitteln sind zentral für Afrika
Neben den Grundsätzen einer künftigen Friedenslösung widmete sich die Konferenz im Kontext des Ukraine-Kriegs noch drei wichtigen Themenfeldern, die zum Teil von unmittelbarer globaler Bedeutung sind: Nuklearsicherheit, Nahrungsmittelsicherheit und drängende humanitäre Fragen.
Das Schluss-Kommuniqué forderte, jede Nutzung von Kernenergie und Atomanlagen müsse sicher, geschützt, überwacht und umweltfreundlich sein. Ukrainische Atomkraftwerke und -anlagen wie der Atommeiler Saporischschja müssten unter voller Kontrolle der Ukraine sowie im Einklang mit den Grundsätzen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) und unter ihrer Aufsicht sicher und geschützt betrieben werden. Jede Drohung mit oder der Einsatz von Atomwaffen im Rahmen des Krieges gegen die Ukraine sei unzulässig, hieß es weiter.
Zudem setzten sich die 80 Staaten für ungehinderte Exporte aus der Ukraine ein, die gerade für arme Länder etwa in Afrika von großer Wichtigkeit sind, und für die Sicherheit der zivilen Schifffahrt im Schwarzen und im Asowschen Meer. Die Gipfelerklärung macht sich auch für den Austausch von Kriegsgefangenen stark und für die Rückkehr von nach Russland verschleppten Kindern und anderen Zivilisten. Russland müsse seine imperiale Aggression beenden und die ukrainischen Kinder nach Hause bringen, forderte von der Leyen.
Das Thema Nahrungsmittelsicherheit war wichtig, um auch Entwicklungsländer mit ins Boot zu holen, den sogenannten Globalen Süden. Auf der Abschlusskonferenz traten deshalb auch der chilenische Präsident Gabriel Boric und der ghanaische Präsident Nana Addo Dankwa Akufo-Addo auf. Boric betonte, dass es beim Ukraine-Konflikt nicht um die Nato gehe oder um Nord gegen Süd. „Hier geht es um globale Prinzipien“, sagte Boric.
Sein ghanaischer Kollege wies darauf hin, dass der Ausfall ukrainischer Getreidelieferungen zerstörerische Folgen für die Wirtschaft und Lebensmittelversorgung seines Landes habe. Und er stellte den Abwehrkampf der Ukraine gegen Russland in einen Zusammenhang mit den afrikanischen Befreiungskämpfen gegen die einstigen Kolonialherren. „Wir mögen keine Großmächte, die kleinere Länder mobben“, sagte Akufo-Addo.
Letztlich war die Konferenz ein diplomatischer Erfolg für die Ukraine, weil sie abermals zeigte, wie isoliert Russland ist – und dass eine am Völkerrecht orientierte Lösung des Konfliktes weiter breite internationale Unterstützung genießt. Ob sie einen Frieden in Zukunft wahrscheinlicher macht, vermag indes niemand zu sagen.