Frühere Cum-Ex-Ermittlerin Anne Brorhilker: »Da kapituliert der Staat häufig«
Jahrelang ermittelte Anne Brorhilker gegen Banker, Anwälte und Steuerberater wegen illegaler Steuerdeals. Nach ihrem spektakulären Abgang warnt die frühere Cum-ex-Jägerin vor anhaltenden Defiziten bei der Strafverfolgung.
Frühere Cum-Ex-Ermittlerin Anne Brorhilker: »Da kapituliert der Staat häufig«
Erst am Montag wurde das Cum-Ex-Steuerstrafverfahren gegen den früheren Hamburger Warburg-Bankier Christian Olearius eingestellt. Illegale Aktiengeschäfte, mit denen der Staat um Milliarden gebracht werden, sind indes nach Ansicht der lange Zeit wohl profiliertesten Strafverfolgerin weiterhin ein großes Problem.
»Nach meinem Eindruck laufen die kriminellen Geschäfte weiter. Das System hat sich weiter perfektioniert und viele verschiedene Varianten hervorgebracht«, sagte die langjährige Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker der »Zeit«. Bei der Verfolgung von Wirtschaftskriminalität gebe es »starke strukturelle Defizite, die es erschweren, die Täter zu überführen.«
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Die Juristin machte dem bestehenden System der Strafverfolgung schwere Vorwürfe: »Es wird zwar immer gesagt, vor dem Gesetz sind alle gleich, aber ich habe festgestellt: In Fällen, in denen es schwieriger, komplizierter und langwieriger wird, da kapituliert der Staat häufig.« Brorhilker hatte als erste Staatsanwältin Cum-Ex-Täter wegen des milliardenschweren Steuerbetrugs angeklagt und ins Gefängnis gebracht.
Muss sich das BKA einschalten?
Nach ihrem Ausscheiden aus dem Staatsdienst und ihrem Wechsel zur Bürgerbewegung Finanzwende war jüngst jedoch auch über die Bilanz von Brorhilker diskutiert worden. Im Bereich der Staatsanwaltschaft Köln, in dem sie die Steuerverfahren verantwortete, war zuletzt bekannt geworden, dass nach jahrelanger Arbeit ihres Teams aus Dutzenden Anwälten erst ein Prozent der rund 1700 Cum-ex-Beschuldigten angeklagt wurde.
Nach ihrem Abgang forderte Brorhilker nun, der Staat müsse entschiedener vorgehen. Es dürfe »nicht mehr jeder in seinem Bundesland und in seiner Behörde relativ alleine vor sich hin wurschteln«. Bei Cum-Ex und ähnlichen Geschäften handele es sich um international organisierte Kriminalität. Nötig sei deshalb ein Expertenteam auf Bundesebene. »Das BKA ist beispielsweise für international organisierte Geldwäsche zuständig, warum dann nicht auch für international organisierte Steuerhinterziehung?«
Das von Bundesfinanzminister Christian Lindner angekündigte Bundesfinanzkriminalamt löse das Problem nicht. »Der Straftatbestand der Steuerhinterziehung gehört leider nicht zu deren Aufgabengebiet. Dabei wäre das sinnvoll gewesen.« Bei Cum-ex-Geschäften schoben Investoren Aktien rund um den Dividendenstichtag mit (»cum«) und ohne (»ex«) Ausschüttungsanspruch hin und her. Finanzämter erstatteten daraufhin Kapitalertragsteuern, die gar nicht gezahlt worden waren. Dem Staat entstand ein Schaden von geschätzt zehn Milliarden Euro.
Zum Verfahren gegen Olearius, welches das Landgericht Bonn wegen des schlechten Gesundheitszustands des 82-Jährigen eingestellt hat, sagte Brorhilker rückblickend: »Die Inhaber der Warburg-Bank waren nach meinem Empfinden sehr laut und haben sich Verteidiger besorgt, die Konfliktverteidigung betreiben, wie man das nennt.« Sie kündigte nun an, sich auch bei Finanzwende weiter mit den Banken anzulegen. »Ich werde die Probleme öffentlich benennen, Gegenvorschläge machen und Lösungen aufzeigen.«