Ursula von der Leyen: EU-Kommission behält Chefin, Portugiese führt EU-Rat
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Kommissionschefin Ursula von der Leyen soll für eine zweite Amtszeit nominiert werden. Aber wer wird die EU in den kommenden fünf Jahren außerdem noch prägen?
Die Unterhändler der europäischen Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen haben am Dienstag eine Vorentscheidung über die EU-Spitzenjobs getroffen.
Die christdemokratische Amtsinhaberin Ursula von der Leyen soll Kommissionschefin bleiben. Der sozialdemokratische Ex-Premier Portugals, Antonio Costa, soll EU-Ratspräsident werden, die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas, eine Liberale, neue EU-Außenbeauftragte.
Die sechs Unterhändler im Rat, darunter auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), einigten sich in einer Telefonschalte auf das Personalpaket. Offiziell beschlossen werden soll es beim EU-Gipfel am Donnerstag. Da die drei Parteienfamilien die Mehrheit der 27 Regierungschefs stellen, ist die Zustimmung sicher.
Die Einigung gelang, weil die Europäische Volkspartei (EVP) ihre Forderung aufgab, den Ratsvorsitz nach zweieinhalb Jahren mit einem Christdemokraten zu besetzen. Der Sozialdemokrat Costa soll nun – wie bisher üblich – eine zweite Amtszeit erhalten, wenn er seinen Job gut macht.
Zudem gilt es als sicher, dass die Präsidentin des Europaparlaments, die konservative Malteserin Roberta Metsola, ihr Amt fortführen kann. Diese Entscheidung ist aber nicht Teil des Personalpakets im Rat der Mitgliedstaaten, sondern wird separat vom Parlament getroffen.
EU-Kommission: Ursula von der Leyen
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte die Europawahl am 9. Juni als Spitzenkandidatin der Europäischen Volkspartei (EVP) gewonnen. Die 65-jährige CDU-Politikerin hat die EU in ihrer ersten Amtszeit durch die Coronapandemie und den Ukrainekrieg geführt. Dabei hat sie der Behörde neue Macht und Aufmerksamkeit verschafft.
Sie präsentiert sich als starke Anführerin, die auf Augenhöhe mit den USA und China verhandelt. Die Regierungschefs und -chefinnen respektieren sie, zugleich wollen sie Kontinuität an der Spitze der Kommission. „Ursula hat einen großartigen Job gemacht“, sagte die sozialdemokratische dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen kürzlich.
Ursula hat einen großartigen Job gemacht.
Nach ihrer Nominierung durch den Rat muss sie auch noch im Europaparlament gewählt werden - voraussichtlich Mitte Juli. Dort benötigt sie mindestens 361 von 720 Stimmen. Ihre bisherige Unterstützerplattform aus Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen hat rund 400 Sitze. Da die Kommissionschefin in der geheimen Abstimmung jedoch mit zahlreichen Abweichlern rechnen muss, wird sie wohl auch noch um die Unterstützung der Grünen oder rechter Parteien werben müssen.
Im Parlament ist von der Leyen umstritten, beim letzten Mal wurde sie nur mit einer knappen Mehrheit bestätigt. Den einen ist sie zu grün, den anderen zu rechts. Dieses Mal, hofft man in der EVP, könnte der Schock über den Rechtsruck bei der Europawahl dazu führen, dass die drei Parteien der Mitte geschlossener abstimmen und von der Leyen eine Mehrheit verschaffen.
EU-Rat: António Costa
Weil die Christdemokraten die Kommissionspräsidentschaft für sich beanspruchen, dürfen die bei der Europawahl zweitplatzierten Sozialisten den Vorsitz im Rat der 27 Mitgliedstaaten bestimmen. Der Ratspräsident wird für zweieinhalb Jahre gewählt und leitet die Gipfel der Regierungschefinnen und Regierungschefs.
Die Wahl fiel auf den ehemaligen portugiesischen Ministerpräsidenten António Costa. Der 62-jährige Sozialist ist dank seiner umgänglichen Art sehr beliebt. Er gilt als geschickter Verhandler und Pragmatiker. Seine konservativen Kollegen rechnen es dem linken Politiker hoch an, dass er als Regierungschef den portugiesischen Haushalt saniert und Schulden abgebaut hat.
„Costa ist jemand, der mit allen gut kann“, sagt ein EU-Diplomat. Er habe sehr gute Beziehungen zu allen Regierungschefs und sei damit für die Vermittlerrolle im Rat gut geeignet. Der Politologe António Costa Pinto von der Universität Lissabon sagt: „Costas Vorteil ist, dass er aus einem kleinen Land kommt, das sehr proeuropäisch ist und immer die europäische Mainstream-Politik unterstützt hat – also am Ende das, was Frankreich und Deutschland wollen.“
Die Regierungschefs sind sogar bereit, über den Makel des Portugiesen hinwegzusehen. Denn der joviale Politiker trat vergangenes Jahr von seinem Amt als Premier zurück, nachdem die Justiz Ermittlungen gegen enge Vertraute Costas wegen Korruptionsverdachts aufgenommen hatte.
Costas Stabschef wurde kurzzeitig festgenommen, sein Infrastrukturminister zählte zu den Verdächtigen. Costa begründete den Rücktritt damit, er habe ein reines Gewissen, aber der Verdacht sei mit seinem Amt nicht vereinbar.
Inzwischen sind etliche Ermittlungsfehler bekannt geworden, die Vorwürfe sind größtenteils in sich zusammengefallen. Mit Costa als neuem EU-Ratspräsidenten gehen die EU-Regierungschefs aus Sicht von Experten daher kein Risiko ein. „Wenn es etwas gegen ihn gäbe, wäre er wie die anderen inzwischen beschuldigt“, sagt Costa Pinto.
EU-Außenbeauftragte: Kaja Kallas
Beim EU-Personalpaket müssen Geografie und Parteienfamilie stimmen. Deshalb ist neben der westeuropäischen Konservativen von der Leyen und dem südeuropäischen Sozialdemokraten Costa auch die osteuropäische Liberale Kaja Kallas vorgesehen.
Die 46-jährige estnische Ministerpräsidentin wollte eigentlich Nato-Generalsekretärin werden. Für den Posten galt die härteste Gegenspielerin von Russlands Präsident Wladimir Putin jedoch als zu undiplomatisch. Nun könnte sie als EU-Außenbeauftragte in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik mitreden.
Kallas’ Warnungen vor Russland sind auch biografisch begründet. Ihre Mutter, ihre Großmutter und ihre Urgroßmutter wurden im Zweiten Weltkrieg von den Sowjets nach Sibirien verschleppt und kehrten erst Jahre später nach Estland zurück.
Der amtierende Außenbeauftragte Josep Borrell hatte in einer Rede kürzlich daran erinnert, dass man auf diesem Posten wenig Macht habe, weil für das Thema die Mitgliedstaaten zuständig seien. Aber Kallas hatte es schon als Regierungschefin eines kleinen Landes verstanden, Schlagzeilen zu machen. Sie dürfte der Rolle der Außenbeauftragten eine neue Sichtbarkeit verschaffen.
Von Kallas stammt die Idee, einen europäischen Verteidigungsfonds aufzulegen, um die hiesige Rüstungsindustrie zu stärken. Sie müsste sich dann künftig mit dem neuen Verteidigungskommissar arrangieren, den von der Leyen für ihre Kommission ernennen will.
EU-Parlament: Roberta Metsola
Die Parlamentspräsidentin wird nicht von den Mitgliedstaaten bestimmt. Sie wird gewählt, sobald sich das neue Parlament konstituiert hat. Üblicherweise besetzen die beiden stärksten Fraktionen, die EVP und die Sozialdemokraten, den Posten für je die Hälfte der fünfjährigen Legislaturperiode. Deshalb kann die amtierende Präsidentin Roberta Metsola noch eine zweite Amtszeit dranhängen.
Die Wahl der konservativen Politikerin aus Malta gilt als sicher. Bekannt wurde sie durch den Korruptionsskandal im Europaparlament Ende 2022. Nachdem in der Wohnung ihrer Vizepräsidentin Eva Kaili mehrere Hunderttausend Euro Bargeld gefunden worden waren, die angeblich aus Katar und Marokko stammten, versprach Metsola eine lückenlose Aufklärung.
Zwar versandete der „Katargate“-Skandal, und die Reform der Ethikregeln im Parlament fiel weniger ambitioniert aus als angekündigt. Doch Metsola hat die Episode offenbar nicht geschadet. Sie gilt als kompetente Parlamentspräsidentin und wurde von EVP-Chef Manfred Weber zwischenzeitlich sogar als Alternative zu von der Leyen ins Spiel gebracht.