Brics: Bilden Türkei und Russland bald die neue „westasiatische Front“ zum Westen?

brics: bilden türkei und russland bald die neue „westasiatische front“ zum westen?

Russlands Präsident Wladimir Putin (l.) empfängt den türkischen Außenminister Hakan Fidan am 11. Juni in Moskau.

Die Türkei hat ihren Schabowski-Moment. Beinahe desinteressiert hatte der SED-Funktionär Günter Schabowski am 9. November 1989 auf die Nachfrage von Journalisten mal eben die Reisefreiheit angeordnet. Die innerdeutsche Grenze fiel über Nacht, und das Ende der DDR wurde eingeleitet.

Ähnlich lässig reagierte der türkische Außenminister Hakan Fidan bei seinem Besuch in China in der vergangenen Woche. Auf die Frage, ob die Türkei den Brics beitreten wolle, antwortete er: „Natürlich würden wir das gerne, warum auch nicht?“ Fehlte nur noch Schabowskis „nach meiner Kenntnis sofort“, und das Erstaunen wäre komplett gewesen.

Doch auch so verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. Die Türkei ist Nato-Mitglied, amerikanische Atomwaffen sind auf dem Luftwaffenstützpunkt in Incirlik stationiert. Ein enges Bündnis mit Russland und China dürfte man in Washington und Brüssel mit Besorgnis beobachten.

Das Verhältnis der Türkei zu den USA und zur EU ist belastet. Ankara macht die USA für den Putschversuch gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan 2016 verantwortlich. In Ankara hat man auch bis heute nicht vergessen, dass der über Jahre in Aussicht gestellte EU-Beitritt Mitte der 2010er-Jahre faktisch beerdigt wurde.

So verfolgt die Türkei eine Strategie des Ausgleichs zwischen Ost und West. Waffen kauft Ankara sowohl in den USA als auch in Russland ein. Im Ukrainekrieg ist die Türkei ein wichtiger Vermittler: Die unilateralen Sanktionen des Westens gegen Russland werden nur teilweise und widerwillig umgesetzt. Über die Pipeline Turkstream fließt russisches Gas nach Europa – Erdogan setzt auf das Beste aus beiden Welten.

Klar, dass die Aufregung angesichts eines möglichen Brics-Beitritts groß ist. In dem Staatenbündnis hat Russland die diesjährige Präsidentschaft inne. Sollte die Türkei „rübermachen“, würde der Westen einen wichtigen Brückenkopf nach Asien verlieren. Auf dem jüngsten Treffen in Nischni Nowgorod am vergangenen Montag und Dienstag bekräftigten die Brics-Außenminister erneut ihren Willen zum Aufbau einer multipolaren Weltordnung. Chinas Außenminister Wang Yi rief dazu auf, sich gegen einen „neuen Kalten Krieg“ zu stellen.

Der Sprecher des chinesischen Außenministeriums Lin Jian sagte auf einer Pressekonferenz am Mittwoch in Peking: „Wir leben in einer Zeit der Turbulenzen und des Wandels, in der bestimmte Länder, um ihre unipolare Hegemonie aufrechtzuerhalten, Verbündete um sich scharen, um massive einseitige Sanktionen zu verhängen, tiefe protektionistische Schranken zu errichten und wirtschaftliche und finanzielle Instrumente als Waffe einzusetzen.“ Die Kluft zwischen Nord und Süd vergrößere sich deshalb, und die Weltwirtschaft komme nicht in Schwung. „Allerdings ist dies auch eine Zeit, die durch den Aufstieg des globalen Südens und eine Welt, die sich wie nie zuvor verändert hat, gekennzeichnet ist“, sagte Lin. „Der globale Süden ist nicht mehr die schweigende Mehrheit, sondern eine neue, erwachende Kraft.“

Nicht weniger als den Aufbau einer neuen Weltwirtschaftsordnung haben sich die Brics zum Ziel gesetzt. Dabei bleibt es nicht bei bloßen Lippenbekenntnissen. „Die Brics bauen bereits Parallelstrukturen auf“, sagt Zafer Meşe, Experte für Außen- und Sicherheitspolitik und Leiter der türkischen Stiftung Seta in Deutschland, im Gespräch mit der Berliner Zeitung. „Viele Staaten leiden unter der starken Dominanz der USA im Bereich der Finanzpolitik. China, Russland und viele Länder des globalen Südens wollen das ändern und eine Alternative schaffen.“ Erste Schritte wurden bereits eingeleitet, erklärt Meşe: „Als Alternative zum Internationalen Währungsfonds wurde die Neue Entwicklungsbank eingerichtet, und ein eigenes Währungssystem soll bereits auf dem Brics-Gipfel im Oktober in Kasan auf der Agenda stehen.“

Auch in Geldfragen soll Multipolarität das Leitmotiv sein. „Die Brics-Mitglieder werden nicht ihre nationalen Währungen aufgeben“, erklärt Meşe, „stattdessen wird die Neue Entwicklungsbank der Brics Kredite aus einem Währungskorb der Mitgliedstaaten vergeben.“ Allerdings – und das steht im Vordergrund des Pakts – nicht in US-Dollar. Das Vorhaben der Brics könne auch zu Konflikten mit bestehenden Strukturen führen. „Wenn die Währung, die die Pax Americana ausmacht, im internationalen Handel an Gewicht verliert, dann ist das ein Problem für die Amerikaner“, betont Meşe. „Für die USA wäre ein globaler Austritt aus dem Dollar-System ein Casus Belli.“

Die Türkei könnte durch die Mitgliedschaft ihren Status als Regionalmacht untermauern. „Die wachsende geostrategische Bedeutung der Türkei muss mit einer soliden Finanz- und Wirtschaftspolitik unterfüttert werden“, sagt Meşe. „Die Türkei ist ja nicht nur ein europäischer, sondern auch ein asiatischer Staat. In den Brics könnte die Türkei zusammen mit Russland die westasiatische Front bilden.“ Mit dem sogenannten Mittleren Korridor innerhalb der Neue-Seidenstraße-Initiative Chinas biete die Türkei eine Energie-, Wirtschafts- und Transportverbindung durch Asien.

Doch die Gefahr einer unmittelbaren Konfrontation mit dem Westen sieht Meşe nicht gegeben. „Ein Beitritt der Türkei zu den Brics wird das Verhältnis zu den USA nicht weiter belasten“, glaubt er. Anders wäre es, wenn die Türkei der Shanghai-Organisation für Zusammenarbeit beitreten würde. Bislang hat Ankara einen Beobachterstatus. „Eine Vollmitgliedschaft wäre aus Sicht Washingtons sicher nicht kompatibel mit der Nato-Mitgliedschaft der Türkei“, erklärt Meşe.

Auch im Westen wird die Veränderung der Weltwirtschaft analysiert. Einer Alternative zum US-Dollar sieht man in der Finanzwelt aber noch gelassen entgegen. Jared Cohen, Co-Präsident des Goldman Sachs Global Institute, schrieb diese Woche in Foreign Affairs: „Seit acht Jahrzehnten werden Vorhersagen über den bevorstehenden Untergang des Dollars gemacht.“ Doch die Debatte über die Zukunft des Dollars sei verfehlt. „Die Frage ist nicht, ob ein Ereignis, eine Krise oder eine neue Technologie den Dollar von seinem Sockel stoßen wird“, schreibt Cohen. „Es geht vielmehr darum, wie die Konkurrenten und sogar Partner der USA die Grenzen des Finanzsystems in einer Weltwirtschaft verschieben, in der der Dollar zwar noch immer dominiert, der Konsens aus der Zeit nach dem Kalten Krieg jedoch zusammenbricht.“

In einer Welt mit mehr Konflikten und Wettbewerb werde die Debatte über eine Entdollarisierung weitergehen. „Wäre der US-Dollar nicht von zentraler Bedeutung für die Weltwirtschaft, könnten Gegner Sanktionen leichter umgehen, und es könnte schlagkräftigere alternative Wirtschaftsblöcke geben“, warnt Cohen.

Nicht weniger als das steht auf dem Spiel: die Schaffung einer Zahlungsalternative zum US-Dollar, die Staaten immun gegen Sanktionen macht, und die Aufteilung in einen westlichen und einen östlichen Wirtschaftsblock. Der Türkei könnte in der Auseinandersetzung eine Schlüsselrolle zukommen. Der Präsident des türkischen Verbands der Wirtschaftsjournalisten (EGD), Recep Erçin, sagt im Gespräch mit der Berliner Zeitung: „Viele Staaten haben gesehen, wie die USA den Dollar als eine Waffe benutzen.“ Die Sanktionen gegen Russland hätten viele Länder abgeschreckt, darunter auch die Türkei, obwohl sie ein Nato-Mitglied ist, sagt Erçin.

Aus diesem Grund hat sich auch die EU gegen den Vorschlag der USA gewehrt, das eingefrorene russische Zentralbankvermögen in Höhe von rund 300 Milliarden US-Dollar komplett an die Ukraine zu überweisen. Ausländische Investoren in der EU könnten den Schritt als Präzedenzfall werten, ihre Geldanlagen bedroht sehen und ihr Kapital aus der EU abziehen. Als Konsequenz daraus haben sich die G7 darauf verständigt, lediglich die Zinsgewinne des russischen Zentralbankvermögens mit einem Wert von 50 Milliarden US-Dollar nach Kiew zu überweisen.

„Der Handel zwischen Russland und der Türkei hätte sich vervielfachen können“, erklärt Erçin, „aber wegen der amerikanischen Sanktionen nimmt er im Gegenteil langsam ab.“ Die türkische Regierung scheine diesen Umstand zu akzeptieren, aber unter der Oberfläche brodele es. „Das ist der Grund, warum die Erdogan-Regierung immer wieder aufruft, den Handel mit nationalen oder lokalen Währungen voranzutreiben und zu vertiefen“, sagt Erçin.

Auch von der EU, mit der die Türkei eine Zollunion unterhält, erwarte Ankara keine großen Impulse. „In Ankara herrscht die Meinung vor, dass mit von der Leyen kein Tsatsiki zu machen ist“, bemüht Erçin eine populäre türkische Metapher. Soll heißen, dass Brüssel bis heute keine nachhaltige Strategie gegen die globale Wirtschaftskrise formuliert hat – während China, Russland und die USA hohe Wachstumszahlen aufweisen.

Die Brics-Offerte werde in Ankara ernst genommen. „Dabei handelt es sich nicht um kurzfristiges Denken oder Populismus“, betont Erçin. „Die Türkei will sich gezielt in einer neuen globalen Konfrontation platzieren. Und zwar in jenem Camp, das am Aufsteigen ist.“

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