Italien – Spanien: Das perfekte Spiel existiert nic… Oh!
Spanien plättet das chancenlose Italien und weist ihm den Platz bei der EM zu. Ein spanischer Stürmer ist gar außer Kontrolle. Und bald könnte es gegen Deutschland gehen.
Spaniens Mittelfeldspieler Nico Williams während des Spiels gegen Italien in der Arena AufSchalke in Gelsenkirchen
Mitleid ist keine Empfindung, die Fußballer in Anspruch nehmen wollen. Nicht mal der arme Giovanni Di Lorenzo, Rechtsverteidiger des italienischen Nationalteams. Dabei gäbe es an diesem Abend Grund genug dafür. Nur 25 Sekunden lang musste man sich nicht um ihn sorgen. Gleich nach dem Anstoß, da hatte Italien einen Einwurf, Di Lorenzo warf ins Aus. Eine Minute später sah man ihn schon in der Pose, die er so oft an dem Abend einnehmen würde: Er hastete Spaniens Nico Williams hinterher.
Die erste Flanke von Williams köpfte Pedri knapp drüber. Eine Minute später lief Williams gleich gegen mehrere Italiener Slalom, und in der zehnten Minute köpfte er selbst knapp daneben. Álvaro Morata war auf seine Seite ausgewichen und hatte geflankt. Jeder durfte ran gegen Di Lorenzo, die Spanier spürten sofort, dass hier was ging, und so ging es immer weiter. Als der Knoten in Di Lorenzos Beinen fertig geschnürt war, waren 15 Minuten gespielt. Völlig zu Recht wurde das Meme-Potenzial in diesem ungleichen Duell erkannt. Wie lange wird er von diesem Waschgang träumen? Di Lorenzos bester Moment: als Nico Williams ausgewechselt wurde.
Und das war nur die eine Seite. Auf der anderen hatte der 16-jährige Lamine Yamal vom FC Barcelona mit Federico Dimarco ebenso wenig Gnade. Auch der war die Pasta unter der Gabel der Spanier: Er wurde immer weiter gerührt. Das Faszinierende an Spielern wie Yamal oder Williams ist, dass sie mit einem Dribbling Platz schaffen, wo vorher keiner war. Etwa in der 25. Minute, als Yamal seinen Flügel verließ, um den Ball in der Mitte entgegenzunehmen. Der Mut von Innenverteidiger Robin Le Normand für seinen steilen Pass wurde belohnt. Yamal nahm dessen Pass auf, kein ganz sauberer erster Kontakt, aber die Italiener hielten an diesem Abend gebührenden Abstand. Yamal nahm Fahrt auf, dribbelte, zwei Italiener versuchten es jetzt mit eingesprungener Kampfkunst, doch selbst für ihre Grätschen war er zu flink. Am Ende lagen die Italiener am Boden. Einer der Momente, in denen das Publikum Ohhh rief, bei Williams Kunststücken auch gerne erst Oh, dann Ah!
Spanien wetzte über Italien hinweg. Es war das niedrigste 1:0 aller Zeiten, noch dazu, weil die Spanier beim Toreschießen Hilfe brauchten. Zum dreihundertachtzigsten Mal hatte Nico Williams in der 55. Minute Di Lorenzo überwunden, in seine Flanke hielten Freund und Feind noch einen Fuß und Kopf rein, sodass Italiens Riccardo Calafiori nicht mehr ausweichen konnte.
Dieses Duell gab es seit 2008 bei jeder EM, 2021 gewann Italien im Halbfinale im Elfmeterschießen. Nun sollte es das erste große Schwergewichtsboxen dieser EM werden, doch es wirkte eher, als hätten die Spanier all ihre Exponate mit nach Gelsenkirchen gebracht, damit die Italiener sie bestaunen können.
Spanien bildete auf dem ganzen Feld perfekte Passdreiecke, die Picasso nicht schöner hätte malen können. Immer waren zwei Mitspieler anspielbar, gemeinsam trugen sie das Spiel nach vorne. 20 Schüsse und 50 spanische Attacken zählte man am Ende. Sie taten es mal mit dem Kopf, mal mit einer schnellen Kurzpassstafette, wie beim Schuss von Rodri. Mal versuchten sie es aus 30 Meter Entfernung, am Ende konterten sie. Spanien hat dem Turnier seine Werkzeugkiste gezeigt und mit jedem Teil mal ein bisschen rumgeschraubt. "Wir können noch besser werden", sagte Trainer Luis de la Fuente, "ich sehe bei dieser Mannschaft kein Limit. Die Spieler verstehen, was wir wollen, und sie haben alle diese enormen Fähigkeiten." Er sprach selbst vom besten Spiel seiner eineinhalbjährigen Amtszeit.
Manchester Citys Rodri hat es perfektioniert, dem Spiel unterschiedliche Rhythmen zu geben, der Strafraum ist fast immer mit einem oder zwei Spielern besetzt. De la Fuente kann es sich sogar leisten, den Leipziger Dani Olmo und den Leverkusener Alejandro Grimaldo 90 Minuten auf der Bank zu lassen, immerhin zwei der besten Spieler der Bundesliga.
Es war ein Statementsieg in Gelsenkirchen. Nimmt man das Ergebnis nicht als Maßstab und lässt man sich von dem mehrfach aus dem spanischen Block angestimmten Gigi-d'Agostino-Lied nicht irritieren, war es gar das perfekte Spiel. Spanien steht nach zwei Spielen in der schwersten Gruppe als Gruppensieger fest und hat noch kein Gegentor kassiert. Ihr Passspiel kann noch immer langwierig sein, doch Yamal, Williams und auch Pedri wechseln rasend schnell Tempo und Richtung, ohne dabei die Grundordnung aufzugeben. Das Spiel wird dadurch schwerer auszurechnen, eigentlich kann sich kein Gegner ganz sicher sein, wem und was er gegenübertritt.
Für Italien war das 1:0 ein schmeichelhaftes Ergebnis, dessen ausbleibende Höhe auch nicht durch italienische Abwehrkunst zu erklären ist. Sie sind mit Glück und Torhüter Gianluigi Donnaruma einer Blamage entkommen. Wie, das wissen sie wohl selbst nicht. Vielleicht ein letzter Titelverteidigerbonus. Trainer Luciano Spalletti rätselte über die Fitness seiner Spieler, tatsächlich aber waren sie den Spaniern in wirklich allem unterlegen. "Spanien hat das Spiel von uns ungestört beherrscht", sagte Spalletti.
Am Horizont schimmert damit das große Duell dieser EM auf. Gewinnen Deutschland und Spanien weiterhin ihre Spiele wie bisher, sehen sie sich schon im Viertelfinale. Es wären zwei Mannschaften, die von sich behaupten: Uns muss man schlagen. Schöner kann es nicht werden, oder?