Migranten als „Viecher“ beschimpft – NRW-AfD will Abgeordneten rauswerfen
Der Vorstand der NRW-AfD will den Bundestagsabgeordneten Helferich aus der Partei werfen. WELT liegt der Ausschlussantrag vor: Helferich habe die Abschiebung von Deutschen mit Migrationshintergrund gefordert und Migranten als „Viecher“ beleidigt. Den Begriff Remigration habe er „kontaminiert“.
AfD-Bundestagsabgeordneter Matthias Helferich picture alliance/dpa/Thomas Banneyer, Getty Images/Moment RF/Katsumi Murouchi; Montage: Infografik WELT
Wenn Matthias Helferich im Bundestag spricht, notieren die Stenografen bei jeder Rede Zwischenrufe aus den anderen Fraktionen. „Sie sind rassistisch und rechtsradikal! Das haben Sie bewiesen!“, heißt es da etwa von einem CDU-Abgeordneten. Oder: „Ekelhaft“, „Widerlich“, „Schäbig“, „Sie sollten sich was schämen!“. Und: „Gut, dass es den Verfassungsschutz gibt!“ Helferich gehört zu den Abgeordneten, die vom Präsidium am meisten Ordnungsrufe erhalten haben, etwa für die „pauschale Diffamierung einer Personengruppe“.
Der rechtsextreme Jurist war 2021 für die nordrhein-westfälische AfD in den Bundestag eingezogen. Die AfD-Bundestagsfraktion diskutierte damals über seine Aufnahme, Helferich verzichtete freiwillig – und scheiterte später mehrfach mit Aufnahmeanträgen. In Teilen der Fraktion, Partei und seines Landesverbands ist der 35-Jährige aber dennoch gut vernetzt.
Nun hat am vorvergangenen Sonntag eine Nachricht für ein Beben in der völkisch-nationalistischen Parteiströmung gesorgt. Der nordrhein-westfälische Landesvorstand um den innerparteilich gemäßigten Vorsitzenden Martin Vincentz hat die Einleitung eines Parteiausschlussverfahrens gegen Helferich sowie den sofortigen Entzug seiner Mitgliedsrechte beschlossen.
Helferich steht am äußerst rechten Rand der Partei. Besondere Bekanntheit hatte er mit geleakten Chatnachrichten aus den Jahren 2016 und 2017 erlangt, in denen er sich selbst als „das freundliche gesicht des ns“ (Schreibweise im Original) bezeichnet hatte. Die Nachrichten enthalten zahlreiche weitere positive Bezüge auf den Nationalsozialismus.
Screenshot: Facebook
Helferich schrieb damals etwa mit Bezug auf den Präsidenten des NS-Volksgerichtshofs, dass er beim Landeskongress der Jungen Alternative im Umgang mit einem innerparteilichen Gegner den „demokratischen Freisler“ geben wolle.
Screenshot: Facebook
In weiteren Nachrichten prahlte Helferich damals mit Kontakten in die Dortmunder Neonazi-Szene – und verschickte das Foto einer Kornblume mit dem Hinweis, dass er diese mit der „Erschießung der österreichischen staatsführung“ verbinde. Der österreichische Bundeskanzler Engelbert Dollfuß wurde 1934 von Nationalsozialisten ermordet, die Kornblume galt damals in Österreich als Symbol der deutschnationalen Bewegung.
Screenshot: Facebook
Der Rechtsanwalt wollte die Nachrichten nach dem Leak als „ironisch“ verstanden wissen und bezeichnete sie als „teils geschmacklos“. „Helferich vertritt ein geschlossen rechtsextremes Weltbild“, heißt es gegenüber WELT aus dem Umfeld des Landesvorstands. „All seine Aktivitäten belegen, dass die geleakten Chats keine Ausrutscher waren. Er hat seinen Ruf nicht wiederhergestellt, sondern weiter verschlechtert.“ Wenn man als Partei überleben wolle, müsse man sich von „solchen Personen“ trennen.
Helferich selbst sprach davon, dass man ihn vor dem Bundesparteitag Ende Juni in Essen „kaltstellen“ wolle. „Man trägt weiterhin seinen Meuthen im Herzen und geht mittels abstruser Ordnungsmaßnahmen gegen innerparteiliche Konkurrenten vor“, sagte Helferich im Gespräch mit WELT in Bezug auf den früheren Parteichef Jörg Meuthen, der sich mit mehreren Ausschlussverfahren gegen rechtsaußen abgegrenzt hatte.
„Widerspruch zu den Grundwerten der Partei“
WELT liegt nun die am 29. Mai an das AfD-Landesschiedsgericht versandte Antragsschrift des Landesvorstands gegen Helferich vor. Der Vorstand begründet den angestrebten Rauswurf darin damit, dass Helferich „die Außerlandesbringung von deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund und weiteren Personenkategorien unter Anwendung staatlicher Zwangsmittel als politische Zielstellung artikuliert und die Betroffenen dabei als ‚Viecher‘ adressiert“ habe. Damit habe Helferich in schwerwiegender Weise gegen das Grundgesetz und das Grundsatzprogramm der AfD verstoßen.
Letzteres bezieht sich auf ein Instagram-Posting von Helferich aus dem Mai dieses Jahres. Damals hatte der Bundestagsabgeordnete das Foto eines Autospiegel-Anhängers mit der Aufschrift „Raus mit die Viecher“ und dem Hashtag „Remigration“ gepostet – und sich damit positiv auf eine Entmenschlichung von Migranten bezogen.
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Der Landesvorstand nennt das Posting in der Antragsschrift eine „besonders krass die Menschenwürde verletzende Abqualifizierung von Migranten“. Der Ausdruck „Remigration“ sei vom Antragsgegner „auf hässlichste Weise kontaminiert worden“.
Die Antragsteller um Landeschef Vincentz erheben in dem Antrag auf den Parteiausschluss weitere schwere Vorwürfe gegen Helferich. Dieser kündige mit der Abqualifizierung von Migranten und deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund als „Viecher“ „jeglichen Konsens über Grundbegriffe menschlicher Gemeinwesen auf und bricht bewusst mit dem Bereich der Zivilisation“. Und weiter: „Die Szenarien, die drohen, sollten Personen wie Matthias Helferich jemals politisch-exekutive Macht erhalten, erinnern an die finstersten Kapitel der Menschheitsgeschichte und speziell auch der deutschen Geschichte.“
Martin Vincentz, AfD-Vorsitzender in Nordrhein-Westfalen picture alliance/dpa
In einem Posting zur AfD-nahen Aktivistin Ronai Chaker, die jesidischer Herkunft und Ehefrau eines AfD-Bundestagsabgeordneten ist, habe Helferich zum Ausdruck gebracht „dass für ihn Personen jesidischer Herkunft per se nicht und niemals Deutsche sein oder werden können“, heißt es in der Antragsschrift weiter. Obwohl aus einem Austausch auf der Plattform X hervorgehe, dass die in Deutschland geborene Chaker seit dem sechsten Lebensjahr die deutsche Staatsbürgerschaft besitze und sich als Deutsche fühle, bleibe diese für Helferich „von der Zugehörigkeit zu Deutschland ausgeschlossen“.
Helferich hatte sich im Dezember 2023 positiv auf die Forderung zweier Aktivisten der Jungen Alternative bezogen, Chaker abzuschieben. Die Antragsteller sind der Auffassung, dass Helferich mit seinem Posting eine deutsche Staatsbürgerin, die die deutsche Sprache und Kultur verinnerlicht habe, „mit aufenthaltsunberechtigten Ausländern“ gleichgesetzt und sich damit „in groben Widerspruch zu den Grundwerten der Partei“ gestellt habe.
Helferich vertrete damit einen „ethnisch-biologischen Volksbegriff, welcher die Zugehörigkeit zu einer Ethnie als unveränderliche, quasi anlagebedingte ‚Substanz‘ betrachtet“ und verknüpfe diesen Volksbegriff „mit politischen Zielstellungen, mit denen die rechtliche Gleichheit aller Staatsangehörigkeiten in Frage gestellt wird, und zwar in gravierender Weise“. Die verfassungsrechtlich geschützte deutsche Staatsbürgerschaft erscheine „als ungültiges Konstrukt“.
Der Landesvorstand wirft Helferich außerdem eine „mantraartige Wiederholung des Ausdrucks ‚millionenfache Remigration‘“ vor, wobei offen gelassen werde, um wen genau es sich handeln solle. „Auf die rechtsstaatliche Notwendigkeit der Einzelfallbetrachtung bei Abschiebungsentscheidungen wird dabei an keiner Stelle hingewiesen.“
Ein sofortiger Entzug der Mitgliedsrechte ist laut AfD-Satzung möglich, wenn ein Mitglied der Partei „einen schweren Schaden“ zufügt und ein „dringender Fall“ vorliegt, der ein „sofortiges Eingreifen“ erfordert. Über die Aufrechterhaltung oder Aufhebung der Eilmaßnahme muss das Landesschiedsgericht binnen zwei Wochen nach einer Stellungnahme des Antragsgegners entscheiden. Laut Zivilprozessordnung kann auch ein staatliches Gericht „eine vorläufige oder sichernde Maßnahme in Bezug auf den Streitgegenstand des schiedsrichterlichen Verfahrens“ anordnen.
Nach WELT-Informationen behält sich Helferich vor, vor dem Landgericht Düsseldorf eine einstweilige Verfügung zu beantragen, um die Mitgliedsrechte zurückzuerhalten. Demnach erwägt Helferich auch eine Kandidatur für den Bundesvorstand.
Im Februar dieses Jahres war es dem Landesvorsitzenden Vincentz und seinen Unterstützern nicht gelungen, Helferich aus dem Landesvorstand fernzuhalten. Der Landesparteitag wählte zwar Vincentz mit 78 Prozent Zustimmung als Landeschef wieder, später aber auch Helferich als Beisitzer knapp in den Vorstand, mit 55 Prozent Zustimmung. Helferich beklagt, in dem Gremium als „politischer Fremdkörper“ behandelt worden zu sein. Nach WELT-Informationen hatte der Landesvorstand ihm keinen Geschäftsbereich zugewiesen. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit sei nicht möglich gewesen, heißt es aus Parteikreisen.
Insbesondere im Jugendverband Junge Alternative hat Helferich Unterstützer. Parteiinterne Kritiker sprechen mit Bezug auf häufig getragene Frisuren von einer „Scheitelarmee“. Helferich gehört außerdem einem informellen Netzwerk um den Bundestags-Fraktionsvize Sebastian Münzenmaier an, das nach eigenen Angaben für eine „Professionalisierung“ der Partei steht und über Lagergrenzen hinweg versucht, Mehrheiten für Listenaufstellungen und Gremienwahlen zu organisieren.
Der damalige Parteichef Meuthen war im August 2021 im Bundesvorstand mit dem Antrag gescheitert, aufgrund der zuvor aufgetauchten Chats ein Parteiausschlussverfahren gegen Helferich einzuleiten. Meuthen bezeichnete dies später als wichtigen Grund dafür, als Bundesvorsitzender zurück- sowie aus der Partei ausgetreten zu sein.