Hans Fallada: Ein Leben im Exzess in der NS-Zeit

hans fallada: ein leben im exzess in der ns-zeit

Hans Fallada im Jahr 1917

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Es dürfte kaum einen Schriftsteller von Weltrang geben, der wie Hans Fallada viermal aus drei verschiedenen Gründen inhaftiert wurde. Zweimal wegen Unterschlagung von Geld zur Finanzierung seiner Drogensucht, einmal 1933 als politischer „Schutzhäftling“ zu Beginn der Nazi-Zeit, einmal weil er 1944, betrunken, in einem Streit mit seiner Frau Suse einen Schuss mit seiner Pistole abgegeben hatte. Die Erfahrungen, die er während seiner Haftzeiten machte, prägten sein Leben und Werk gleichermaßen.

Fallada zählt ohnehin zu den Schriftstellern, die mehr gefunden als erfunden haben. Aber in den Untersuchungsgefängnissen in Berlin-Moabit und Kiel, in den Haftanstalten seiner Geburtsstadt Greifswald, von Neumünster und Fürstenwalde sowie schließlich in der „Landesanstalt Neustrelitz-Strelitz“ fand er besonders viel Material für seine Romane und Erzählungen.

„Den deutlichsten Niederschlag finden Hans Falladas Gefängniserfahrungen natürlich in seinem Roman ‚Wer einmal aus dem Blechnapf frißt‘“, sagt Roland Knüppel, Leiter des Fallada-Hauses in Carwitz, einem Ortsteil der Gemeinde Feldberger Seenlandschaft im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte, direkt an der Grenze zum Land Brandenburg. Im „Blechnapf“ erfährt der Leser, was es hieß, als Häftling in einem Gefängnis um seine Würde zu kämpfen – und ebenso nach der Entlassung: Der Hauptfigur Willi Kufalt gelingt es trotz großer Anstrengungen nicht mehr, in der bürgerlichen Gesellschaft Fuß zu fassen.

Doch auch über den „Blechnapf“ hinaus „'profitierte' Fallada in seinem schriftstellerischen Schaffen von seiner Zeit hinter Gittern“, so Knüppel: „Immer wieder finden sich in seinen Romanen kriminelle Figuren oder Milieus, deren außerliterarische Vorbilder ihm nicht selten bei Hofgängen oder bei der Sträflingsarbeit begegnet sein dürften.“ Ganz besonders sollten sich „seine Knastaufenthalte aber auf die Gaunersprache in seinen Romanen und Geschichten ausgewirkt haben: Sie klingt so echt, dass sie nur abgelauscht sein kann“. Im Gefängnis wurde Fallada zum glaubwürdigen Chronisten der „kleinen Leute“ und dessen, was Kurt Tucholsky einmal als „Atmosphäre der ungewaschenen Füße“ bezeichnete.

Sogar noch vor seiner ersten Haft war Fallada, geboren am 21. Juli 1893 als Rudolf Ditzen, mit dem Strafrecht in Berührung gekommen. Mit 18 Jahren fand er sich 1911 in einem Gerichtsverfahren wieder, in dem eine Anklage wegen Mordes gegen ihn im Raum stand. Im nicht untypischen Nietzsche-Wahn seiner Zeit wollten er und sein Freund Hanns-Dietrich von Necker sich in einem inszenierten Duell gegenseitig aus der Welt schaffen. Der Freund wurde getroffen und starb, Fallada musste sich zweimal selbst in die Brust schießen, überlebte aber.

hans fallada: ein leben im exzess in der ns-zeit

Das Hans-Fallada-Haus in Carwitz

Sein Haus in Carwitz, das er sich nach seinem Welterfolg mit dem Roman „Kleiner Mann, was nun?“ 1932 kaufen konnte, ist ein romantischer Ort. Ein besonders schöner Fleck etwa zwei Stunden nördlich von Berlin, der unbedingt einen Besuch wert ist. Es sollte Falladas Sanssouci sein, hier wollte der liebevolle Vater seinen Kindern eine behütete Kindheit ermöglichen. Aber hier kann man heute auch eine der Pistolenkugeln sehen, die ihm 1911 aus der Brust entfernt werden mussten. Dieses wohl kleinste Exponat der Ausstellung führt symbolträchtig vor Augen: Fallada war ein extrem schwieriger, psychisch labiler Mensch. Letztlich wurde die Anklage wegen Mordes fallen gelassen. Fallada wurde für strafunmündig erklärt und kam nicht ins Gefängnis, sondern in eine Heilanstalt.

Auch in solchen sollte er immer wieder einen nicht unbeträchtlichen Teil seines Lebens verbringen. Im zarten Alter von 16 Jahren kam er erstmals mit Morphium in Berührung. Er wurde damit nach einem schweren Verkehrsunfall mit einer Straßenbahn behandelt - und so vermutlich fürs ganze Leben auf ein falsches Gleis gesetzt. Nach dem gescheiterten Selbstmordversuch mittels „Duell“ mit 18 Jahren wurde er erneut mit Morphium behandelt.

Falladas Biograph Peter Walther hebt die Bedeutung der ersten, knapp fünf Monate dauernden Haft 1924 in Falladas Geburtsstadt Greifswald für dessen schriftstellerische Entwicklung hervor: Fallada interessierte sich zunehmend für das Leben anderer, insbesondere das seiner Knastbrüder. Und er nutzte die Zeit zum Schreiben. So entstanden in der ersten Haftzeit allein im ersten Monat einhundert Seiten Tagebuchaufzeichnungen, der „Blechnapf“ wurde hier begonnen, das Romanfragment „Im Blinzeln der Großen Katze“ entstand.

Selbst in der nur zwei Wochen währenden „Schutzhaft“ 1933 begann Fallada umgehend mit dem Schreiben. Er war denunziert und wegen angeblicher „Verschwörung gegen die Person des Führers“ weggesperrt worden. Im Gefängnis nahm Fallada sofort die Arbeit am damals noch immer unvollendeten „Blechnapf“ wieder auf, die Gitter vor dem Fenster oder die Wanzen auf der Pritsche mögen ihn dazu inspiriert haben. Der diensthabende Wachtmeister beobachtete, wie der berühmte Schriftsteller vorschriftsmäßig sein Bett machte und stellte treffend fest: „Zum ersten Mal sind Sie aber nicht im Kittchen.“

Während seiner zweiten Haft (1925-1928) insgesamt zweieinhalb Jahre, durfte Fallada, von Briefen abgesehen, nicht schreiben. Das muss für ihn eine besondere Qual gewesen sein, denn Schreiben war für Fallada Therapie – und Sucht zugleich. Er war darin ebenso unmäßig, wie in seinem Morphium-, Alkohol-, Kaffee- und Tabakkonsum. Wenn ihn ein Thema gepackt hatte und dazu noch Druck von seinem Verleger Rowohlt kam, konnte er bis zu 25 Manuskriptseiten am Tag produzieren. Dazu rauchte er mitunter weit mehr als 100 Zigaretten. Sein spätes, auf wahren Begebenheiten beruhendes Meisterwerk über den einsamen Widerstand eines Berliner Arbeiterpaares gegen Hitler („Jeder stirbt für sich allein“) schrieb er kurz vor seinem Tod in nur 24 Tagen – ein Roman von fast 700 Seiten.

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Blick auf die Justizvollzugsanstalt Moabit (urpsrünglich errichtet als Königliche Untersuchungsgefängnis im Stadtteil Moabit), in der Fallada unter anderem inhaftiert war.

Fallada konnte vom Schreiben nicht lassen, und in seiner vierten Haftzeit (1944) brachte er sich damit wissentlich in Lebensgefahr. Denn in der Landesanstalt Neustrelitz-Strelitz, einer Mischung aus Gefängnis und psychiatrischer Anstalt, schrieb er nicht nur innerhalb eines Monats einen Roman („Der Trinker“) und fünf Erzählungen, sondern auch seine Abrechnung mit dem Nationalsozialismus in Form von Memoiren der Jahre 1933 bis 1939. Fallada schrieb zwar absichtlich fast unleserlich. Aber die Gestapo hätte den Text sicherlich entziffert und darin den Grund für das Todesurteil gegen den Schriftsteller gesehen. Während eines Hafturlaubs im Oktober 1944 gelang es ihm jedoch, das Manuskript aus dem Gefängnis zu schmuggeln und zu verstecken.

Fallada wollte, ja musste, schreiben. Und er wollte unbedingt publizieren – auch um den Preis der persönlichen Glaubwürdigkeit. Anders als die meisten bedeutenden deutschsprachigen Autoren blieb er nach der Machtübernahme der Nazis in Deutschland. Es kann keinen Zweifel daran geben, dass Fallada den Nationalsozialismus zutiefst ablehnte. Zugleich musste er sich bis zu einem gewissen Grad mit der NS-Kulturbürokratie einlassen, um weiter im „Dritten Reich“ veröffentlichen zu können. Als er 1934 den „Blechnapf“ herausbrachte, stellte er ihm ein Vorwort voran, das die Aussage des Buches praktisch auf den Kopf stellte – ein Zugeständnis an die neuen Machthaber.

Er distanzierte sich darin vom „sogenannten humanen Strafvollzug“, bezeichnete ihn als „grotesk“ und „lächerlich“. Stattdessen lobte er, wie sich nach 1933 durch die Nazis „auch dieses Stück deutscher Wirklichkeit“ verwandelt habe: „Kein Geschwätz von Humanität für Strafgefangene, sondern Arbeit für Strafentlassene“.

Tatsächlich ist der Roman jedoch eine Kritik am Strafvollzug und an einer Gesellschaft, die auch einem Entlassenen – trotz Reformen des Strafvollzugs in der Weimarer Republik und verstärkter Resozialisierungsbemühungen - kaum eine Chance ließ, wieder ein „normales“ Leben zu führen. Der Protagonist Willi Kufalt arbeitet hart, strampelt sich ab für ein kleinbürgerliches Glück – und scheitert doch an der sozialen Not seiner Zeit und den Vorurteilen seiner Mitmenschen. Am Ende landet Kufalt wieder im Gefängnis und empfindet dies angesichts der Ablehnung in der bürgerlichen Welt „draußen“ schon fast als Heimat: „Wer einmal aus dem Blechnapf frißt“ – der kommt vom Gefängnis-Geschirr nicht los.

Falladas Thema ist vor allem die Resozialisierung. Voller Empathie wirbt er für eine zweite Chance für Straftäter und einen menschenwürdigen Umgang mit ihnen – innerhalb und außerhalb der Gefängnismauern. Das war ein Mut erforderndes, zeitgemäßes Thema.

In Falladas Vorwort der Nachkriegsausgabe vom Dezember 1945 liest es sich dann wieder so, wie es ursprünglich gemeint war. „Jede Zeile“ seines Romans richte sich gegen die „Auffassung, die von den Nationalsozialisten über den Verbrecher gehegt“ worden sei. Jetzt sei „wieder Platz für Humanität“ die frei sei „von jeder Gefühlsduselei“, aber die Gesellschaft immer an die sozialen Wurzeln von Kriminalität erinnern solle: „Ihr lasst den Armen schuldig werden“.

Falladas Roman konnte 1934 zwar erscheinen. Dennoch wurde er 1935 vorübergehend zum „unerwünschten Autor“ erklärt und in seiner publizistischen Tätigkeit eingeschränkt. Trotzdem hatte er sich in den Augen Thomas Manns und vieler anderer durch sein Vorwort („devoter Schwindel“, so Mann) und sein Verbleiben im „Dritten Reich“ diskreditiert. Fallada saß zwischen allen Stühlen. Er blieb angefeindet von wichtigen NS-Literaturkritikern und Teilen der Un-Kulturbürokratie des Hitler-Reiches, wurde aber zugleich aus letzterer heraus auch zu Beiträgen und Mitarbeit aufgefordert.

Wenn man Falladas Vorwortpolitik beiseitelässt, liest man im „Blechnapf“ noch heute ein künstlerisch starkes, erfahrungsgesättigtes Stück Zeitgeschichte über Menschen am Rande der Gesellschaft.

Falladas Leben in den Jahren 1933 bis 1945 ist nicht nur ein Lehrstück über die vielen Nuancen zwischen Ablehnung, Resistenz und Mitläufertum. Es ist auch ein Beleg für die These, dass das NS-Regime kein „monolithischer“ Block war, sondern oft ein Chaos, in dem die linke Hand erlaubte oder gar förderte, was die rechte verbot und mit scharfem Schwert bekämpfte.

Hans Fallada wurde nur 53 Jahre alt. Er starb, zugrunde gerichtet von all den giftigen Substanzen, die er konsumiert hatte, am 5. Februar 1947 in Berlin.

Ralf Gebel ist Historiker und lebt in Berlin.

Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag allen Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.

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