Ist Belarus neuerdings eine blühende Demokratie?
Gefürchteter Gewaltherrscher: Alexandr Lukaschenko
Montenegro ist ein Beitrittskandidat zur Europäischen Union, und zumindest rhetorisch ist die junge montenegrinische Führung um Staatspräsident Jakov Milatović (37 Jahre alt) und Regierungschef Milojko Spajić (36) auch eifrig bei der Sache. Das offizielle Ziel in der montenegrinischen Hauptstadt Podgorica lautet: Vollmitgliedschaft bis 2028, also in kaum vier Jahren. Ob das nur ambitioniert oder vor allem unrealistisch ist, werden die kommenden Jahre zeigen. Doch stellt sich ganz abgesehen davon die Frage, ob in der montenegrinischen Führung alle verstanden haben, was die Europäische Union ist und wofür sie steht.
Die Frage ließe sich auch Radovan Popović stellen, dem stellvertretenden Innenminister des Landes, der auch für Fragen von Einbürgerungen und Staatsangehörigkeit zuständig ist. Der will nämlich einen belarussischen Asylbewerber abweisen und in sein Heimatland überstellen lassen. Begründung: Belarus sei ein demokratischer Staat, dem Abgewiesenen drohe dort keine Verfolgung. So steht es zumindest sinngemäß in einem Anfang dieses Monats von dem Vizeminister unterschriebenen Bescheid. Dieses Dokument fand seinen Weg zu dem montenegrinischen Investigativjournalisten Jovo Martinović, der es zur Grundlage einer Recherche in der Wochenzeitung „Monitor“ machte. Demnach begründet Popović seine noch nicht rechtsgültige Entscheidung damit, dass der Antragsteller eine Furcht vor Verfolgung in seinem Herkunftsland nicht glaubwürdig habe nachweisen können. Dass in Belarus ein Diktator an der Macht ist, der seine Gegner zu Hunderten oder Tausenden einkerkern lässt, dass Oppositionelle in belarussischen Gefängnissen systematisch gefoltert werden, wie es Menschenrechtsorganisationen, Dissidenten und Exilanten glaubwürdig berichten – all das scheint bei dieser Einschätzung keine Rolle zu spielen.
Politisch missliebige Personen werden wirtschaftlich attackiert
Laut den Recherchen in „Monitor“ stellt sich die Lage des belarussischen Schutzsuchenden, der in dem Text nur als „V. I.“ auftaucht, grundsätzlich anders dar als in der Beurteilung des Innenministeriums. Demnach hatte der Mann im Juli 2023, als er nach Montenegro einreiste und um Schutz bat, längst allen Grund, die Rache des belarussischen Gewaltherrschers Alexandr Lukaschenko zu fürchten. Vor allem deshalb, weil er ein zwanzigminütiges Video auf Youtube gestellt habe, in dem er sich eindeutig gegen Lukaschenko positionierte. Er habe darin seine Unterstützung ausgedrückt für jene, „die für ein freies Belarus kämpfen“, und festgestellt, da Lukaschenko die Proteste gegen ihn in Blut erstickt habe, solle sich das Volk „auf gleiche Weise“ dagegen wehren.
Die belarussischen Behörden wurden offenbar nicht sofort auf das schon im August 2020 aufgenommene Video aufmerksam. Zumindest habe I. die Antwort des Regimes erst mit Verspätung zu spüren bekommen. Die Reaktion war eine, die auch andere Oppositionelle kennen: Die Steuerfahndung rückte aus, um das Unternehmen des Verdächtigten zu prüfen. Behördliche Schikanen folgten. Die Hausbank des Unternehmers verweigerte ohne Erklärungen plötzlich jede weitere Zusammenarbeit. Zu solchen Mitteln greift der Staat in Belarus oft. Politisch missliebige Personen werden wirtschaftlich attackiert. Eine ähnliche Erfahrung machte der in Serbien unter Hausarrest stehende belarussische Regisseur und Aktivist Andrej Gnjot, dem ebenfalls die Auslieferung droht. Offiziell sucht ihn Belarus mit einem Interpol-Haftbefehl wegen Steuerhinterziehung, wenn auch aufgrund eines Gesetzes, das zum Zeitpunkt des vermeintlichen Vergehens noch nicht in Kraft getreten war. Tatsächlich vermutet der Exilant, gehe es um seinen politischen Aktivismus gegen Minsk, der unter anderem schon dazu geführt hat, dass dem Regime die Ausrichtung eines sportlichen Großereignisses entzogen wurde.
V. I. erlebte nach eigener Darstellung auch die zweite Stufe der Verfolgung: Der belarussische Geheimdienst, der immer noch KGB heißt, habe ihn im Juli vergangenen Jahres aufgefordert, zu einem klärenden Gespräch zu erscheinen. In diesem Augenblick habe er sofort verstanden, was die Stunde geschlagen habe. Umgehend habe er ein Flugticket nach Istanbul gebucht, um das Land zu verlassen. Die Ausreise gelang. Von der Türkei aus reiste I. weiter nach Montenegro. Im Falle einer Auslieferung in seine Heimat drohe ihm ein Schicksal als politischer Häftling, gibt er sich sicher.
Noch ist das Verfahren nicht beendet
Das montenegrinische Innenministerium hält dem entgegen, auch wenn es „bis zu einem gewissem Umfang“ Menschenrechtsverletzungen in Belarus gebe, drohten dem Antragsteller in seinem Land weder Gefahr für seine Freiheit noch für seine Sicherheit und sein Leben. Die Vereinigung der Belarussen in Montenegro, die nach eigenen Angaben 1400 Mitglieder zählt, versucht nun, mit einem offenen Brief auf das ihrem Landsmann drohende Schicksal aufmerksam zu machen. In dem passagenweise etwas polemischen Schreiben wird hervorgehoben, wie dankbar man Montenegro für die Zuflucht sei, die man in dem Balkanstaat gefunden habe. Um so mehr sei die belarussische Diaspora enttäuscht von der drohenden Abschiebung eines ihrer Mitglieder – beziehungsweise von der abwegigen Begründung, die der stellvertretende Innenminister dafür aufführe.
Noch ist das Verfahren nicht beendet. I. will vor dem Verwaltungsgericht Einspruch gegen die Entscheidung erheben. Sein Fall zeigt, was sich auch aus der ähnlich gelagerten Entwicklung in Belgrad ergibt: An sich sind Russen und Belarussen in Serbien und Montenegro zwar weiterhin willkommen. Für solche, die sich öffentlich gegen die Machthaber in Moskau und Minsk aussprechen, gilt das jedoch nicht unbedingt.