Ein amerikanischer Albtraum für Europa
Ein amerikanischer Albtraum für Europa
Nicht mehr lang, dann wird die Nato an ihren Gründungsort, nach Washington D.C., zurückkehren und ihren 75. Geburtstag zelebrieren. Und es ist ein offenes Geheimnis, dass dieser Jubiläumsgipfel im Juli immer auch als Wahlkampfparty für Joe Biden geplant war, der im Übrigen sechs Jahre älter als die Nato ist. Vor heimischer Kulisse wollte das Bündnis Biden als Anführer der freien Welt in Szene setzen.
Aber viel nutzen werden die schönen Bilder dem Transatlantiker nicht. Das liegt auch an den anderen Bildern, die Biden diese Woche beim TV-Duell mit Donald Trump produziert hat und die ihn in diesem Wahlkampf verfolgen werden: Sie zeigen einen zuweilen konfusen und stammelnden US-Präsidenten. Viele Amerikaner fürchteten schon vor dem Auftritt, dass Biden zu alt ist, um das mächtigste Amt auszuüben. Der US-Präsident hat die Zweifel nicht entkräftet, er hat sie zementiert. Ein Austausch Bidens erscheint nun als letzte Hoffnung, wobei sich Spitzenkandidaten erstens nicht so einfach auswechseln lassen wie Nationalspieler bei der Fußball-EM und die Demokraten zweitens auch keinen „Edeljoker“ auf der Reservebank sitzen haben.
Europa muss sich nach dieser Woche mit einer Dringlichkeit auf Trump vorbereiten, als wäre die Rückkehr des Nato-Kritikers keine Möglichkeit mehr, sondern schon Gewissheit. Einige Vorkehrungen hat die Nato bereits getroffen. Das Bündnis wird künftig selbst die Waffenhilfe für die Ukraine koordinieren. Eine solche Rolle hat es bisher abgelehnt, aus Sorge, tiefer in den Krieg hineingezogen zu werden. Aber die Angst vor einem Ausfall von Koordinator USA unter Trump ist größer. Und bei der Kür von Mark Rutte zum nächsten Nato-Chef diese Woche hat eine Nebenrolle gespielt, dass der Niederländer einen Draht zum Ex-Präsidenten hat: Man nennt ihn „Trump-Flüsterer“. Das kann helfen, wenn auch nicht viel. Wer jedenfalls nur hofft, dass es unter Trump schon nicht so schlimm kommen wird, ist Hasardeur.
Trump kann die USA zwar nicht formal aus der Nato führen – dafür braucht er den Kongress. Aber er kann die Glaubwürdigkeit des Bündnisses beschädigen, was er auch schon mehrfach getan hat, etwa mit der Drohung, säumige Nato-Mitglieder Russland zum Fraß vorzuwerfen, und er kann die US-Präsenz in Europa dramatisch zurückfahren, wofür die Denkfabriken im Umfeld Trumps auch bereits Pläne entwerfen. Ein Rückzug der USA wäre ein Fiasko für Europa, das es verabsäumt hat, seine Abhängigkeiten von Amerika zu reduzieren – eine grobe Fahrlässigkeit.
Die gute Nachricht ist, dass Europa auf lange Sicht niemanden fürchten muss, wenn es zusammensteht und seine Anstrengungen verstärkt. Die Wirtschaftskraft der EU ist neunmal so groß wie jene Russlands. Die schlechte Nachricht ist, dass es Europa an beidem mangelt: am Zusammenhalt, aber auch an den Anstrengungen in der Praxis. Es fehlt etwa eine europäische Rüstungsindustrie aus einem Guss anstelle des ineffizienten Fleckerlteppichs. Strategien dafür gibt es. Aber es hakt bei der Umsetzung, etwa zwischen Paris und Berlin. Nationale Interessen stehen im Weg, Eitelkeiten vielleicht auch. Das Problem würde noch größer, falls bei den Parlamentswahlen in Frankreich heute die Nationalisten die Macht erringen.
Eine Trump-Präsidentschaft würde den Zusammenhalt in Europa weiter schwächen. Die Putin-freundlichen Rechtspopulisten in Ungarn, der Slowakei und anderswo würden sich im Aufwind wähnen, falls ihr Liebling ins Weiße Haus einzieht. Eine gute Woche vor dem Jubiläumsgipfel herrscht bei der Nato jedenfalls keine Feierlaune. Im Kreml dagegen vermutlich schon.
Europa muss sich jetzt mit einer Dringlichkeit auf Trump vorbereiten, als wäre sein Comeback schon sicher. |