Drohen nun Enteignungen?
Renaturierung
Drohen nun Enteignungen?
Auch Tiere fühlen sich wohler: Hier ein Graureiher an der renaturierten Boye, in Nordrhein-Westfalen.
Das von der EU verabschiedete Naturwiederherstellungsgesetz fordert mehr Biodiversität. Die Landwirtschaft befürchtet, dass Agrarflächen für den Naturschutz geopfert werden.
Es sei „ein historischer Tag. Ein Meilenstein für Natur und Mensch“: Umweltschutzorganisationen sparen nicht mit Superlativen. Nachdem das Renaturierungsgesetz auf der Kippe stand, haben es die EU-Umweltminister:innen am Montag verabschiedet. Das unerwartet positive Votum Österreichs gab den Ausschlag.
Mit diesem Teil des europäischen Green Deals sind die EU-Länder nun verpflichtet, schon bis 2030 ein Fünftel der Land- und Meeresflächen ökologisch wiederherzustellen und den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen. Es geht um die Wiedervernässung von Mooren, die Renaturierung von Flussauen, den Umbau zu Mischwäldern, die Einrichtung von Biotopzonen, weniger Agrarchemie und die sogenannte gute fachliche Praxis in der Landwirtschaft.
Schon im April wies der Umweltrechtler Wolfgang Köck bei einer Pressekonferenz in Berlin auf den Zusammenhang von Renaturierung und Klima hin. Klimaschutz könne nicht gelingen ohne die Wiederherstellung der Natur, und Klimaanpassung könne nicht gelingen, ohne dass Renaturierung ernst genommen werde, betonte der Experte vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ).
Entsprechende Regelungen sollten jedoch zusammen mit Landnutzer:innen, Organisationen und Öffentlichkeit entwickelt und umgesetzt werden, warnte Köck. Nur so ließen sich Lösungen finden, die vor Ort akzeptiert werden und sowohl dem Naturschutz als auch der Land- und Waldwirtschaft langfristig Vorteile bringen. Auch dürften die Renaturierungskosten Landnutzende nicht überfordern. Diese Kosten seien durch öffentliche Gelder abzufedern, forderte der Umweltsachverständige. Dafür gebe es eine Reihe europäischer wie nationaler Finanzierungsinstrumente, etwa das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz oder auch die Städtebauförderung. Köck: „Die Förderung des Umbaus ist essenziell für den Erfolg der Renaturierung.“
Was nämlich Naturschutzorganisationen begrüßen, erfreut Vertreter:innen von Landwirtschaft weniger: Viele befürchten Teile ihrer Flächen stilllegen zu müssen, die dann etwa in Hecken oder Brache zurückverwandelt werden. Neben der Förderung gilt deswegen die Freiwilligkeit als zweite Säule deutscher Naturschutzpolitik.
Im April bezweifelten Köck und Josef Settele – ebenfalls Forscher am UFZ und wie Köck Mitglied des Sachverständigenrats für Umweltfragen -, dass man mit diesen beiden Prinzipien wirklich Fortschritte bei der Renaturierung erzielen könne.
Aus Sicht des Umweltrechtlers Köck erfordert die „Transformationsaufgabe“ Renaturierung einen rechtlichen Rahmen, der ihre Erfüllung ermöglicht und nicht „ausschließlich vom Konsens aller abhängig macht“. Bleibe man beim Ansatz der Freiwilligkeit, gebe es keinen Rechtsrahmen, der es ermögliche, Landschaft auch neu zu gestalten, erklärte Köck eindringlich. „Dann werden wir einen Flickenteppich bekommen.“ Mit dem Flickenteppich kämpfen seit Jahren Initiativen, die zum Beispiel Moore wiedervernässen wollen. Einzelne Eigentümer:innen von Wald-, Grünland- oder Ackerflächen blockieren eine Renaturierung teilweise auf Jahre hin.
Anders verhält es sich in Deutschland beim Bergbau oder bei Infrastrukturprojekten wie neuen Straßen oder Stromtrassen. Widerspenstige werden hier meist schnell mit der Drohung einer Enteignung zur Räson gebracht. Wenn sich dagegen bei Moorprojekten die unterschiedlichen Eigentümer:innen nicht einigen, kann die Wiedervernässung der gesamten Fläche scheitern, darauf weisen auch die Sachverständigenräte in ihrer Stellungnahme hin. Daher sei fraglich, ob die bislang rein freiwilligen Ansätze der Moorschutzstrategie mittelfristig ausreichten, heißt es in dem Gutachten. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat auf 90 Seiten zusammen mit zwei weiteren Sachverständigengremien für Biodiversität und für Waldpolitik aufgeschrieben, wie die verbliebene Natur nicht nur erhalten, sondern der Zustand geschädigter Ökosysteme stärker als bisher verbessert werden kann.
Darauf deute auch die auf Freiwilligkeit basierende Umsetzung der europäischen Wasserrahmenrichtlinie hin, deren Ziele nicht zuletzt aufgrund dieses Ansatzes deutlich verfehlt werden, wird der Vergleich mit einem früheren Gesetzeswerk gezogen. Auch nach Ansicht der Umwelt-Sachverständigen gibt das Recht dem Staat die Möglichkeit, private Grundeigentümer:innen aus Gründen des Allgemeinwohls dazu zu verpflichten, zum Beispiel Wiedervernässungsmaßnahmen zu dulden. Als ultima ratio seien auch Enteignungen rechtlich möglich, räumt die Stellungnahme der Fachleute ausdrücklich ein. Dann müssten die Eigentümer:innen Ausgleichs- beziehungsweise Entschädigungszahlungen erhalten.
Die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür sollten nach Auffassung der Sachverständigenräte bundesweit einheitlich geregelt und rechtssicher ausgestaltet werden. Anderenfalls bestehe die Gefahr, dass unter großem Aufwand vorbereitete Projekte vor Gerichten an verfassungsrechtlichen Voraussetzungen scheitern.
Dass sich hinter dem Renaturierungsgesetz grundsätzliche Fragen verbergen, wissen auch dessen Kritiker:innen genau. Das Gesetz stehe für Überregulierung und Bürokratie und sei eine weitere „Bürde für eine nachhaltige multifunktionale Forstwirtschaft“, beschwerte sich noch am Montag die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände.
„Leider geht Brüssel mit diesem Gesetz erneut den Weg von immer mehr Auflagen und Verboten, statt auf Kooperation mit der Forstwirtschaft, Freiwilligkeit und Anreize zu setzen“, kritisierte Carl Anton Prinz zu Waldeck und Pyrmont vom AGDW-Präsidium.
Bleibt nur das Problem: Kooperation, Freiwilligkeit und Anreize, also Förderung, haben bisher nicht verhindert, dass rund 80 Prozent der geschützten natürlichen Lebensräume in Europa geschädigt sind. Das Thema scheint bisher wirklich sehr vernachlässigt worden zu sein.