Das Ende der Beratenden Kommission: Ohne Kompass durch den Raum der Geschichte

Die Ampelregierung hatte versprochen, jenes Gremium zu stärken, das in Streitfällen um mögliche NS-Raubkunst schlichtet. Stattdessen servierte Kulturstaatsministerin Roth die Mitglieder nun ab – lud sie aber noch mal ins Kanzleramt ein.

das ende der beratenden kommission: ohne kompass durch den raum der geschichte

Das Ende der Beratenden Kommission: Ohne Kompass durch den Raum der Geschichte

Im Raum der Geschichte geht es derzeit hin und her.

Anfang Juni lud Kulturstaatsministerin Claudia Roth Vertreter der NS- und SED-Gedenkstätten zu einem ihrer Runden Tische ins Kanzleramt ein. In den Wochen zuvor waren sie gegen einen Reformentwurf der Kulturpolitikerin Sturm gelaufen. Kurz gesagt: Roth wollte das Bundeskonzept für Erinnerungskultur unter anderem um den deutschen Kolonialismus erweitern, die Gedenkstätten sahen darin wenig Sinn. Bei dem Termin mit Roth sollten sie nun ein bisschen beruhigt werden, wahrscheinlich wollte Roth auch ihren durch die Kritik angeschlagenen Ruf retten. Doch es kam zu einer Überraschung.

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Die Grünenpolitikerin kam ihnen über alle Erwartungen hinaus entgegen. Sie nahm nicht etwa einen Teil ihrer Vorschläge, sondern gleich alle zurück. Was ihr gerade noch unverzichtbar erschien, tilgte sie flott mit der Delete-Taste. Wie sich jetzt zeigt, ist das nicht der einzige Vorgang aus der jüngsten Zeit, der ein leichtfertiges Verhältnis zur Vergangenheit offenbart.

Auch bei anderen Formen der Aufarbeitung rotiert der historische Kompass der Ampelregierung.

Wie nun erst öffentlich wurde, hatte Roth Ende Mai bereits andere Aufarbeiter dieses Landes ins Kanzleramt eingeladen, es handelte sich um Mitglieder der Beratenden Kommission. Längst war klar, dass Roth sie abservieren will. Und dieses Mal überraschte sie ihre Gäste nicht durch Entgegenkommen.

Eine Farce im Kanzleramt

Das neunköpfige Gremium, das es nur wegen der düsteren Geschichte des Landes gibt, wird nun in absehbarer Zeit selbst Geschichte sein. Und das, obwohl im Koalitionsvertrag der Ampelparteien die Stärkung dieser Einrichtung zugesagt worden war.

Das Treffen im Kanzleramt fühlte sich für einige der Gäste wie eine Farce an, so erzählen sie es. Roth habe sie ihre Einwände gegen das Ende ihrer Kommission vorbringen lassen und sie sogar gebeten, noch weiterzuarbeiten. Von der angekündigten Auflösung rückte sie aber nicht ab. Warum?

Die Kommission war 2003 gegründet worden, weil die von Deutschland angekündigte Suche und Restitution von NS-Raubgut nicht so gut funktionierte wie einige Jahre zuvor in Aussicht gestellt. Das Gremium sollte als Schlichtungsstelle in Streitfällen zwischen deutschen Museen und den oft im Ausland lebenden Erben jüdischer Sammler dienen.

Doch in all den Jahren konnte die Runde nur 24 Mal tätig werden. Sie durfte nur arbeiten, wenn beide Seiten sich das wünschten. Das ist unglücklich, nicht nur für die Kommission selbst. Das zeigt etwa das Beispiel Bayern: Der Freistaat weigert sich seit vielen Jahren, die Geschichte eines Picasso-Gemäldes aus den Staatsgemäldesammlungen von den Experten untersuchen zu lassen. In der aktuellen Regelung kommen diese dann auch nicht zum Zug, es fehlt die so genannte einseitige Anrufbarkeit – bei der es eben reichen würde, wenn nur eine Partei eine Prüfung wünscht.

Dazu kommt, dass die Erben jüdischer Opfer jahrelang schamlos diskreditiert wurden. Wer eine Rückgabe beantragte, wurde vom Kunstbetrieb als gierig dargestellt. Eine der schrecklichsten Unterstellungen stammt aus einer Rede, die ein Auktionator 2007 im Kanzleramt hielt: »Man sagt Holocaust und meint Geld.«

Auch deshalb war das Bestehen und die Arbeit der Kommission (obgleich sie wegen der fehlenden einseitigen Anrufbarkeit nicht so häufig tätig konnte) ein wichtiges Signal: Es wirkte dem Eindruck entgegen, ausgerechnet dieses Land meine es nicht ernst mit der Wiedergutmachung.

Aber nun ist man sich da nicht mehr ganz sicher.

Seit 2017 führt Hans-Jürgen Papier das Gremium an. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts war auch bei dem Treffen in Berlin dabei, das ihm »irritierend« erschien. Schon länger mahnt er, dieses Land komme seiner Verantwortung nicht nach – auch, weil die Kommission in ihrer jetzigen Form zu schwach sei. Die Abschaffung sei für ihn ganz sicher nicht die richtige Antwort, vielmehr kann er sich – im Rahmen eines zu schaffenden Restitutionsgesetzes – ihre Fortführung als Bundesbehörde vorstellen.

Das aber würde wiederum für Roths Behörde bedeuten, Macht abzugeben. Vielleicht war das bereits Grund genug, die Idee nicht in Erwägung zu ziehen. Zwar bekräftigte die Kulturstaatsministerin noch im November 2023 in einem Interview ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag: Ihr Haus, sagte sie, arbeite mit »mit Hochdruck« an konkreten Vorschlägen, wie die Beratende Kommission zu stärken sei. Aber im März kam es dann anders. Da wurde bereits ein Deal publik, der in die entgegengesetzte Richtung geht. Gemeinsam mit Vertretern der Länder und der kommunalen Spitzenverbände beschloss Roth, die Kommission nicht zu stärken, sondern ad acta zu legen und an ihre Stelle »eine Schiedsgerichtsbarkeit zu setzen«.

Den Vorsitzenden Papier erstaunt, wie wenig scharf gestellt das Nachfolgevorhaben ist. Denn ein Schiedsgericht in seiner gewohnten Form widerspricht dem anderen großen Versprechen Roths: Dass es für ein Verfahren künftig reichen soll, wenn nur eine Partei Aufklärung fordert. Schiedsgerichte seien allerdings ohne doppelte Zustimmung kaum denkbar, sagt Papier.

Und selbst wenn es anders kommt: Warum hat die Regierung diese einseitige Anrufbarkeit mit dem Ende des Gremiums verbunden? Was steckt hinter dem Gemurkse?

Die Bundesländer, die bisher um die Schätze in ihren Museen fürchten, erhoffen sich von neuen Schiedsinstanzen vermutlich mehr Einfluss – die bisherige Kommission erscheint vielen Kulturpolitikern jedenfalls zu restitutionsfreundlich. So nimmt es der Kunsthistoriker Wolf Tegethoff wahr, auch er ein Mitglied des Gremiums.

Eine erstarkte und mit einseitiger Anrufbarkeit ausgestattete Kommission hätten die Länder vielleicht nicht anerkannt. Und das wäre ein Rückschlag für die höchste Kulturpolitikerin des Bundes gewesen.

Was bedeutet Neutralität im Land der Täter?

Jene, die die Abberufung dagegen für eine gute Idee halten, beziehen sich gern auf ein Gutachten des Juristen Matthias Weller. Der fordert, dass die künftigen Schiedsrichter nach ihrer fachlichen Expertise auszuwählen seien. Es brauche eine »strikte und uneingeschränkte Neutralitätserwartung«, heißt es darin.

Papier allerdings fragt sich, was Neutralität »im Land der Täter« bedeuten solle. Schließlich sitzt das Land noch immer auf viel NS-Raubgut und will dieses oft genug auch nicht herausrücken. Die öffentliche Hand sei in der Regel Streitpartei, bald darf sie wohl mehr denn je mitreden. Wie neutral wäre das?

Natürlich gibt es zusätzliche Meinungen in diesem weiten Feld. Provenienzforscherinnen und -forscher, die in der Regel von den eben nicht neutralen Museen beschäftigt oder beauftragt werden, sehen vieles anders als Papier. Sie finden, dass doch viel geschehen und durchaus viel zurückgegeben worden sei. Schätzungen zufolge mehr als 30.000 Einzelobjekte. Vieles sei ohne Streit abgelaufen, ganz ohne Mithilfe der Kommission.

Ohne das einschlägige Bekenntnis Deutschlands, das 1998 die Prinzipien von Washington anerkannte und so Rückgaben jenseits von Verjährungsfristen möglich machte, wäre es allerdings nicht zu einer einzigen Restitution gekommen. Doch längst ist diese weiche Selbstverpflichtung an ihre Grenzen gestoßen. Sie sollte nicht durch eine noch weichere Ersatzlösung ad absurdum geführt werden. Eine gestärkte Kommission könnte dagegen viel ausrichten – und zugleich eine vertrauensbildende Maßnahme sein. Nicht ganz unwichtig in diesen Zeiten.

Dass es dazu nicht kommt, lässt auch den Koalitionsvertrag als Farce erscheinen.

Schließlich stand darin, dass die Regierung »die ›Beratende Kommission‹ stärken« werde. Aber das wurde jetzt von der Delete-Taste gelöscht.

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