Sparliste für Berliner Verkehr: Wo der Rotstift angesetzt wird
Die BVG musste bereits das Fahrtenangebot im Busverkehr kürzen, auch die Elektrifizierung des Busverkehrs wird sich vermutlich verzögeren.
Das ist ganz schön viel Geld. 191,2 Millionen Euro, die im Haushalt eingeplant sind, wird die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt in diesem Jahr nicht ausgeben. So möchte sie den Sparforderungen des Senats gerecht werden. Das geht aus einem Bericht hervor, den Verkehrsstaatssekretär Johannes Wieczorek jetzt dem Abgeordnetenhaus übermittelt hat. Die Botschaft lautet: Alles nicht so schlimm. Es sind diverse Projekte betroffen, die noch nicht in Gang gekommen sind. Die Grünen und die Linke haben sich die Liste genauer angeschaut – und kritisieren den Senat.
Die fetten Zeiten sind vorbei. Nach einigen Jahren, in denen Berlins Verwaltung nach langer Dürre wieder genug Mittel zur Verfügung standen, hat Finanzsenator Stefan Evers (CDU) den Geldhahn wieder zugedreht. Die Senatskanzlei und alle Senatsverwaltungen wurden aufgefordert, Etatposten zu benennen, die gekürzt werden oder gar ganz wegfallen können. Die Regel lautet, dass zwei Prozent der vorgesehenen Ausgaben wegfallen sollen. 569,2 Millionen Euro: Auf diese Summe sollen sich die pauschalen Minderausgaben, kurz PMA, in Berlin dieses Jahr insgesamt summieren.
Bislang will sich Ute Bonde (CDU), die neue Senatorin für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt, nicht öffentlich dazu äußern, was die neuen Sparzwänge für ihr Ressort bedeuten. Doch jetzt hat Johannes Wieczorek, der neue Staatssekretär, dem Parlament die Liste übermittelt. Danach werden 61.246.500 Euro dieses Jahr nicht ausgegeben. Hinzu kommt ein zusätzlicher Sparbeitrag, der dieser Verwaltung auferlegt wurde. Minderausgaben im öffentlichen Nahverkehr von 130 Millionen Euro.
So wird der Haushaltstitel „Förderung des Wirtschaftsverkehrs“ um zwei Millionen Euro gekürzt. Dabei gehe es um die Ausweitung des Programms zur Lastenradförderung, erläutert der Senat. Da die Förderrichtlinie aber noch nicht finalisiert sei, wäre es unrealistisch, für dieses Jahr von einer Umsetzung auszugehen. Gestrichen wurden auch 170.000 Euro, die für Unterhaltungsmaßnahmen vorgesehen waren, die der barrierefreien Gestaltung von Bushaltestellen zugutekommen. Dieses Geld muss von den Bezirksämtern abgefordert werden, da sie für solche Maßnahmen zuständig sind. Die bisherigen Forderungen ließen nicht erwarten, dass der Ansatz ausgeschöpft wird.
Ähnlich ist die Lage beim Haushaltstitel 72002, mit dem passiver Lärmschutz entlang der Heidestraße in Mitte und des Markgrafendamms in Friedrichshain finanziert werden soll. Er wird um 491.000 Euro gekürzt, weil die bisher eingetragenen Anträge erwarten lassen, dass nicht das ganze Geld in diesem Jahr gebraucht wird. Komplett gestrichen wurden die Fahrbahnsanierungen auf der Karl-Liebknecht-Straße in Mitte und der Mehrower Allee in Marzahn. Bei beiden Projekten sei erst 2025 mit einem Baubeginn zu rechnen, lautet die Erklärung. Das gilt auch für das geplante Dach für 200.000 Euro, das das Umsteigen zwischen dem S-Bahnhof Charlottenburg und dem U-Bahnhof Wilmersdorfer Straße erleichtern soll. Hier wäre das Bezirksamt noch nicht so weit.
Historischer Bahnstandort: Ein Lok-Radsatz ist ein Blickfang an der Goerzbahn im Zehlendorfer Ortsteil Schönow. Politiker fordern, die Strecke wieder zu beleben. Doch das Projekt zieht sich.
Auch 4,5 Millionen Euro, die für „Sonstige Zuschüsse für konsumtive Zwecke im Inland“ vorgesehen waren, werden eingespart. Das betrifft den Testbetrieb der Goerzbahn für den Personenverkehr sowie das geplante Pilotprojekt Wassertaxi in Spandau. Die Bahn verbindet Lichterfelde West mit dem Zehlendorfer Ortsteil Schönow. „Für die Goerzbahn wird derzeit eine Bedarfsanalyse vorbereitet und ein Konzept für die Klärung der notwendigen technischen Rahmenbedingungen und infrastrukturellen Voraussetzungen erarbeitet. Der Beginn eines Testbetriebes ist in 2024 daher nicht realistisch“, so die Verwaltung. Auch das Wassertaxi in Spandau kann in diesem Jahr noch nicht starten. So werde noch an einem Betreiberkonzept gearbeitet.
Doch es gibt auch echte Sparopfer. So wird der Haushaltstitel für das öffentliche Leihfahrradsystem, bisher 1,5 Millionen Euro, um 250.000 Euro gekürzt. Hier steht ein Betreiberwechsel an. „Der Vertrag zum öffentlichen Fahrradverleihsystem läuft bis 31. Juli 2024, hierfür sind die Mittel vollumfänglich abgesichert. Die vorhandenen Mittel ermöglichen einen Übergangsbetrieb bis Herbst“, hieß es. Der Bau der Schlossparkbrücke III, die im Schlosspark Niederschönhausen über die Panke führt, wird auf 2025 verschoben. Eine Ausweichroute stehe zur Verfügung, erklärt Staatssekretär Wieczorek.
Zudem entfallen 6,5 Millionen Euro, die für die Verbesserung des Lärmschutzes insbesondere an der A114, der Avus und der Märkischen Allee vorgesehen waren. Damit sollten unter anderem mobile Lärmschutzwände an Autobahnbaustellen finanziert werden. Doch dafür sei die Autobahn GmbH des Bundes zuständig, wendet die Senatsverwaltung ein. Das Land Berlin könne nicht auf deren Flächen Lärmschutzwände errichten und unterhalten. „Hinzu kommt, dass nach aktuellem Kenntnisstand für keine der hier angedachten Maßnahmen an Autobahnen schon Planfeststellungsbeschlüsse oder zumindest Planungen vorliegen, auf deren Basis gebaut werden könnte“, hieß es.
Das Berlin-Abo, Nachfolger des 29-Euro-Tickets, steht ebenfalls auf der Liste. Aber wie bei manchen anderen Etatposten werden die Bürger von dieser Einsparung nichts spüren. Der bisherige Ansatz von 150 Millionen Euro, mit dem die Einnahmeausfälle der Verkehrsunternehmen ausgeglichen werden, wird um 20,015 Millionen Euro gekürzt. „Dies geschah vor dem Hintergrund, dass sich einerseits die Verkaufszahlen bislang nicht so dynamisch entwickeln wie erwartet“, hieß es. Bislang wurde das neue Abo, das ab Juli gilt, nur 150.000-mal bestellt. 650.000 Käufer waren erwartet worden.
130 Millionen Euro: Die vorgesehenen Minderausgaben im Berliner Nahverkehr wirken einschneidend. Doch auch hier sind die konkreten Auswirkungen für die Bürger gering. Ein Beispiel: Weil die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) ihr Fahrtenangebot im Busverkehr kürzen mussten, ist zu erwarten, dass sie weniger Geld vom Land beanspruchen dürfen. Deshalb wird der Haushaltsposten für Leistungen des innerstädtischen Nahverkehrs schon mal um 25,2 Millionen Euro verringert. Auch bei der S-Bahn liegen die Ist-Leistungen unter dem Soll. 25 Millionen Euro werden voraussichtlich nicht gezahlt.
Weil sich bei der BVG der Bau der nötigen Betriebshöfe verzögert, müssen nur noch rund acht Millionen Euro für die Beschaffung neuer Elektrobusse eingeplant werden. Minderausgabe: 25 Millionen Euro. Ein weiteres Beispiel aus diesem Bereich: Anders als erwartet muss das Land Berlin zum Ausbau der Bahnstrecke zwischen Angermünde und Stettin (Szczecin) in diesem Jahr nicht sechs Millionen Euro beitragen. Grund ist, dass für dieses Projekt europäische Mittel eingeworben wurden.
Ein Elektrobus der BVG. Weil sich der Bau von Betriebshöfen für Elektrobusse verzögert, wird in diesem Jahr weniger Geld für die Vergrößerung der Flotte benötigt.
Für den Ausbau der Energieversorgung der S-Bahn werden in diesem Jahr 35 Millionen Euro nicht benötigt, so die Senatsverwaltung weiter. Er verzögert sich, weil bei der Deutschen Bahn (DB) die Planungen noch nicht so weit sind. Der Linke-Politiker Kristian Ronneburg sieht dennoch Gefahren. „Der Ausbau der S-Bahn und die Steigerung der Attraktivität durch eine neue Angebotsdichte ist abhängig vom Ausbau der Energieversorgung“, mahnt der Abgeordnete. „Es ist daher äußerst bedenklich, wenn die Koalition in diesem Jahr 35 Millionen Euro weniger einplant, da sich die geplanten Maßnahmen weiter verzögern würden. Das sind keine rosigen Aussichten.“
Ronneburg befürchtet auch, dass sich die Elektrifizierung des Busverkehrs verzögert. Dass der Senat beim Leihfahrradsystem kürzt, erwecke den Eindruck, dass er „nicht gut aufgestellt ist, ein neues und attraktives Angebot an Leihrädern aufzubauen“. Dass Anwohner von Autobahnbaustellen auf mobilen Lärmschutz verzichten müssen, sei ebenfalls kritisch zu sehen. Die Mittel würden nicht abfließen, weil keine Planungen dafür vorliegen würden, so Ronneburgs Analyse. „Das zeigt, wie dilettantisch CDU und SPD im Ausschuss an Änderungen im Haushalt herangegangen sind.“
Kritik kommt auch von den Grünen. „Die Koalition schröpft mit ihren massiven Haushaltskürzungen bei BVG und S-Bahn die Lebensadern unserer Stadt. So kann Berlin nicht funktionieren“, warnen die Verkehrspolitikerinnen der Grünen-Fraktion, Oda Hassepaß und Antje Kapek. „Wir sind entsetzt über das Vorgehen von CDU und SPD. Den Preis dafür werden alle Menschen zahlen, die tagtäglich auf den Nahverkehr angewiesen sind und heute schon unter der Ausdünnung von Fahrplänen, gefährlichen Haltestellen und überfüllten Zügen leiden. Dass nun neben dem ohnehin schon Not leidenden Betrieb auch die Zukunftsinvestitionen in E-Busse und neue Infrastruktur zusammengestrichen werden, ist unverantwortlich und verschärft die Krise des Berliner ÖPNV.“