Richtungsentscheidung in Frankreich Erste Runde der vorgezogenen Parlamentswahl beginnt
Nach nur 20 Tagen Wahlkampf startet in Frankreich die erste Runde der Parlamentswahl. Die Abstimmung könnte den Weg für eine rechtspopulistische Regierung bilden - in Umfragen dominiert der rechtsnationale Rassemblement National.
In Frankreich beginnt heute die erste Runde der richtungsweisenden Parlamentsneuwahl. Rund 49,3 Millionen eingetragene Wählerinnen und Wähler dürfen abstimmen.
Wegen der Zeitverschiebung wurde in einigen Überseegebieten bereits am Samstag abgestimmt. Die ersten Wahllokale öffneten gestern auf der kleinen französischen Inselgruppe Saint-Pierre und Miquelon vor der kanadischen Ostküste.
Parlamentsauflösung nach Europawahl
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte nach dem Wahltriumph des rechtsnationalen Rassemblement National (RN) um Marine Le Pen bei der Europawahl am 9. Juni die Nationalversammlung aufgelöst und Neuwahlen ausgerufen. Macrons Hoffnung, die Franzosen würden bei einer nationalen Wahl anders abstimmen als bei dem EU-weiten Urnengang, scheint sich den Umfragen zufolge nicht zu bestätigen. Demnach erreicht Macrons Lager in der ersten Wahlrunde nur Platz drei. Auf Platz eins liegt Le Pens RN, gefolgt vom Linksbündnis Nouveau Front Populaire.
Die wenigsten Sitze werden jedoch in der ersten Runde vergeben. Aus jedem Wahlkreis zieht nur die Person ins Parlament ein, die die meisten Stimmen erhalten hat. Entscheidend sind in den meisten Wahlkreisen die Stichwahlen am 7. Juli. Bisher ist es daher schwierig, verlässliche Prognosen für die tatsächliche Verteilung der 577 Sitze in der Nationalversammlung zu treffen. Analysten gehen dennoch davon aus, dass die Rechtsnationalen stärkste Kraft in der Nationalversammlung werden könnten. Ob sie die absolute Mehrheit von 289 Sitzen holen könnten, ist unklar.
Macrons Lager hatte zuletzt eine relative Mehrheit in der Parlamentskammer, könnte nun aber erheblich an Sitzen verlieren. Um sein Präsidentenamt geht es bei der vorgezogenen Neuwahl jedoch nicht. Der Präsident ist selbst bis 2027 gewählt. Im Fall einer absoluten Mehrheit der Rechtspopulisten im Parlament nach der Wahl könnte er gezwungen sein, deren Parteichef Jordan Bardella zum Regierungschef zu machen. Dies wiederum könnte der früheren RN-Parteichefin Le Pen den Weg eben, 2027 Präsidentin zu werden.
Harte Auseinandersetzungen in kurzem Wahlkampf
Der nur 20 Tage dauernde Wahlkampf war von heftigen Auseinandersetzungen geprägt, in dem sich sowohl die Rechtspopulisten als auch die linke Neue Volksfront mit Vorwürfen konfrontiert sahen, ihre Wahlversprechen möglicherweise nicht finanzieren zu können.
Der RN stellte zudem die bisherigen Befugnisse des Präsidenten in der Außen- und Verteidigungspolitik in Frage. Die Partei zog außerdem heftige Kritik mit geplanten Berufsverboten für Franzosen mit doppelter Staatsangehörigkeit auf sich, welche gegen das Gleichheitsgebot der Verfassung verstoßen würde.
Die Nationalversammlung ist eine von zwei französischen Parlamentskammern. Sie ist an der Gesetzgebung beteiligt und kann per Misstrauensvotum die Regierung stürzen. Die zweite Parlamentskammer ist der Senat. Dieser ist derzeit konservativ geprägt.
Warnung vor Unruhen
Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin hatte am Freitag vor Unruhen nach den anstehenden Parlamentswahlen gewarnt. "Am Abend des ersten Wahlgangs und zweifellos auch am Abend des zweiten Wahlgangs bei Bekanntgabe der endgültigen Ergebnisse könnten Ultralinke und Ultrarechte die Gelegenheit nutzen, um eine Art Chaos zu stiften", sagte Darmanin dem Sender France Info.
In einem Rundschreiben an die Polizeipräfekten, das dem Sender vorliegt, sprach Darmanin von einem "von mehreren Sicherheitsrisiken geprägten Kontext" und der Sorge vor "gezielten Destabilisierungsaktionen". Mehr noch als unmittelbar nach der Wahl fürchtet Darmanin aber "extrem schwere Unruhen"nach der politischen Sommerpause von September, falls bei der Parlamentswahl die extreme Rechte oder extreme Linke an die Macht gelangen sollte.
Soziale Unruhen drohten nach den Sommerferien, wenn eines der beiden Lager dann seine wirtschaftlichen Pläne umzusetzen begänne und Frankreich auf den Finanzmärkten unter Druck gerate. Traditionell organisieren die Gewerkschaften in Frankreich im Herbst ohnehin Kundgebungen mit sozialen Forderungen oder Kritik an Regierungsplänen.