Fachkräftemangel im NRW-Einzelhandel – „Handel als Arbeitgeber völlig unattraktiv“
Düsseldorf. Der Fachkräftemangel ist in vielen Branchen in Deutschland ein großes Problem. Warum Experten den Einzelhandel dabei in größeren Schwierigkeiten sehen als andere Wirtschaftsbereiche.
Nordrhein-Westfalen ist ein wichtiger Wirtschaftsstandort und spielt auch international eine bedeutende Rolle. So liegt laut dem NRW-Wirtschaftsministerium das Bundesland gemessen an der Wirtschaftsleistung vor Staaten wie Saudi-Arabien, der Türkei und anderen europäischen Ländern wie der Schweiz, Polen, Schweden und Belgien. Ein Überblick über die zehn größten Unternehmen in NRW im Bezug auf die Mitarbeiterzahl. Platz 10 – Ceconomy AG, 52.000 Mitarbeiter* Firmensitz: Düsseldorf Branche: Elektrowaren Zum Elektronikhändler Ceconomy AG gehören MediaMarkt & Saturn und die Deutsche Technikberatung. * alle Zahlen beziehen sich auf die Anzahl der Mitarbeiter weltweit Quelle: Wirtschaftsportal „Die deutsche Wirtschaft“, die-deutsche-wirtschaft.de
Im nordrhein-westfälischen Einzelhandel fehlen Zigtausende Mitarbeiter. „Nach unserer Einschätzung könnten wir noch 35.000 bis 40.000 Stellen besetzen“, sagte Peter Achten, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes NRW, unserer Redaktion. Aktuell hat die Branche in Nordrhein-Westfalen rund 700.000 Beschäftigte, das sind knapp 25 Prozent aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Handel bundesweit.
Die gesamtdeutsche Betrachtung sieht kaum anders aus. Der Einzelhandel sei mit der Rekordzahl von mehr als 3,1 Millionen Beschäftigten einer der größten Arbeitgeber in Deutschland, sagte zwar HDE-Präsident Alexander von Preen jüngst, aber rund 120.000 Stellen seien unbesetzt. Hier schlage der Arbeits- und Fachkräftemangel auch auf die Branche durch.
Das Fehlen von qualifiziertem Personal trifft den Handel in NRW schwer. Im bevölkerungsreichsten Bundesland kommen im Einzelhandel den jüngsten Arbeitslosenzahlen zufolge auf eine offene Stelle für eine Fachkraft mit beruflicher Bildung rund 2,2 Bewerber mit entsprechender Ausbildung. Das ist weniger als das Verhältnis über alle Branchen, wo im Schnitt auf eine offene Stelle 2,5 qualifizierte Bewerber kommen. „Ein Engpasskriterium ist eine Stelle auf zwei Bewerberinnen oder Bewerber, bei den Fachkräften im Einzelhandel ist es also sehr nah dran“, erklärt dazu ein Sprecher der Regionaldirektion NRW der Agentur für Arbeit. Erfasst würden in dieser Statistik die offenen Stellen, die Unternehmen meldeten. Das bedeutet: Im Zweifel sind noch mehr Jobs offen, sodass für eine Auswahl unter den Bewerbern noch weniger Kandidaten zur Verfügung stünden.
Im Einzelhandel ist der Fachkräftemangel nach Einschätzung des Handelsexperten Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein besonders gravierend. „Das hat auch mit dem schlechten Image der Branche zu tun. Der Handel als Arbeitgeber ist derzeit für die nachfolgenden Generationen völlig unattraktiv“, so Heinemann. Das habe einerseits mit den Insolvenzen in der Branche zu tun, aber auch mit der Bezahlung und den Arbeitszeiten. Und schließlich schrecke auch der Umgang mancher Kunden mit der Belegschaft manche Anwärter ab. Nach einer Studie der Universität Leipzig seien in Deutschland über alle Wirtschaftsbereiche rund 250.000 Migrantinnen und Migranten nötig, um die Löcher auf dem Arbeitsmarkt zu stopfen.
Im Modehandel ist das aber auch nur eine begrenzte Lösungsmöglichkeit. Zwar ist der Handel nach Einschätzung von HDE-Präsident von Preen ein „echter Integrationsmotor für Geflüchtete“, doch das hilft längst nicht allen Unternehmen. „Bei uns ist die Sprache ganz wichtig, weil sie ein großer Teil der Beratungsleistung ist. Das können Migranten mit begrenzten Sprachkenntnissen nicht immer leisten“, sagt ein Sprecher des Textilhandelsverbandes BTE.
Das Personalproblem entstehe auch dadurch, dass jetzt immer mehr Menschen aus den geburtenstarken Jahrgängen in Rente gingen. Tatsächlich ist bei Helfern (nach BA-Definition Menschen ohne volle formale Qualifikation) das Verhältnis aus Sicht der Unternehmen deutlich besser, weil auf rund 1200 offene Stellen mehr als 46.000 Kandidaten kommen.
Deutsche Supermärkte und Discounter könnten hier zwar weniger Probleme haben, weil sie weniger Bedienpersonal brauchen und durch Self-Check-Out-Kassen weniger Personal im Kassenbereich benötigten. Aber auch hier ist Heinemann skeptisch: „Bei vielen dieser Kassen ist trotzdem noch Personal notwendig, weil ein Teil der Kunden mit der Technik nicht klarkommt. Dadurch geht aber wieder Produktivität verloren.“
Auch Insolvenzen wie die des Warenhauskonzerns Galeria, bei der erneut etwa 1000 Arbeitsplätze gestrichen und damit viele Arbeitskräfte frei für andere Stellen werden, trügen kaum zur Problemlösung bei. „Das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, so Heinemann.
Der Handel setzt auf eine Ausbildungsoffensive und auf die Hilfe der Politik. Es komme auch darauf an, die Attraktivität der dualen Berufsausbildung zu stärken, digitale Beratungsangebote auszubauen und eine Berufsorientierung an allgemeinbildenden Schulen verlässlich durchzuführen, so von Preen. Chancen und Möglichkeiten einer Ausbildung im Handel müssten noch besser kommuniziert werden.
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