Letzter Neustart
Leitartikel
Letzter Neustart
Finanzminister Christian Lindner hat bei den Verhandlungen über den Haushalt 2025 eine besondere Rolle.
Die Ampel hat mit einer klugen Einigung auf den Haushalt 2025 noch eine Chance, sich zu berappeln und Vertrauen wiederherzustellen. Doch der Glaube fehlt.
Die Sommerpause soll den Koalitionären Erholung bringen, nach der Rückkehr Ruhe in der Ampel einkehren und der Streit endlich ein Ende haben. Das war die Losung des Bundeskanzlers bereits vor einem Jahr. Passiert ist das Gegenteil, weswegen inzwischen ein vorzeitiges Ende der Regierung wahrscheinlicher erscheint, als dass ihr Streit aufhört.
Die Ampel hat genau noch eine Chance, um sich zu berappeln und der Bevölkerung einen letzten Rest von Vertrauen zu vermitteln: mit einer klugen Einigung auf den Haushalt 2025 – an die sich dann ausnahmsweise auch alle Beteiligten halten und sich niemand über den Sommer neue Querschüsse ausdenkt. Die Erfahrung mit dieser Koalition ist in dieser Hinsicht aber derart schlecht, dass der Glaube an ihre Verantwortung und auch an ihre Vernunft erschüttert ist.
Olaf Scholz hat die Missklänge in seiner Regierung so oft beklagt, dass man sich fragt, wer sie eigentlich führt. Seine Bereitschaft, Auseinandersetzungen vor allem zwischen FDP und Grünen in der Erwartung laufen zu lassen, dass die Kontrahenten schon selbst auf die beste Lösung kommen werden, ist ein netter Zug. Nur zeugt das nicht von Weitsicht. Der Regierungschef hat es bei Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nicht mit aufmüpfigen Jungs auf dem Spielplatz zu tun, sondern mit knallharten Politspitzen, die ihre Parteiklientel bedienen.
Die weiße Salbe, die Scholz und seine SPD auch noch auf ihre Wunde des desaströsen Europawahlergebnisses von 13,9 Prozent auftragen, kann nicht wirken. Das Eingeständnis, dass sich „etwas ändern muss“, kommt viel zu spät. Im September ist in drei ostdeutschen Ländern Landtagswahl. In Brandenburg liegt die SPD laut Umfragen auf Platz drei, in Thüringen und Sachsen ist sie einstellig – und überall ist die AfD vorn. Scheitert die SPD an der Fünfprozenthürde, obwohl sie seit drei Jahren den Bundeskanzler stellt, werden Zweifel an einer zweiten Kanzlerkandidatur von Scholz laut werden.
Er hatte einen hoffnungsvollen Start in seine Amtszeit. Mit der „Zeitenwende“-Rede nach Russlands Überfall auf die Ukraine hatte Scholz vielen Menschen Sicherheit und Stärke vermittelt. Aber abgesehen von seinem anschließenden oft unentschlossenen Kurs gegenüber Moskau ist ihm und seiner SPD etwas anderes gründlich missglückt: der eigenen Bevölkerung Gerechtigkeit zu vermitteln.
Die einst tiefen Einschnitte mit den Hartz-IV-Reformen ins Sozialsystem hat die SPD gespalten und Platz links von ihr frei gemacht. Gerupft wollten die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten diese Schmach wieder wettmachen und überzogen in die andere Richtung. Aus Hartz IV wurde das Bürgergeld und die – gut gemeinte – Botschaft, dass jeder und jede in diesem Land vom Staat aufgefangen wird. Dem Fördern fehlte jedoch das Fordern. Wer nicht arbeiten will, kommt auch so gut durch.
Der Dreh- und Angelpunkt ist gar nicht das Geld, das Deutschland einsparen würde, wenn gänzlich tatenlose Männer und Frauen arbeiten gingen. Ein schärferer Kampf gegen Steuerhinterziehung von Wohlhabenden könnte ebenfalls Erträge einbringen. Es ist das Gefühl, dass die altehrwürdige Arbeiterpartei beim Kümmern um Bürgergeldempfänger die hart arbeitende Bevölkerung vernachlässigt hat.
Scholz hat in seiner ersten Regierungserklärung gesagt, viele Menschen fragten sich, ob die globalen Veränderungen gut für sie persönlich ausgingen. Seine Antwort war: Es werde gut ausgehen. Wirklich? Ohne einen tragfähigen Neustart jetzt werden sich viele Menschen vielmehr fragen, ob eine Neuwahl für sie persönlich nicht viel besser wäre. Bericht S. 5