Klimaschutz: Ampelregierung muss Ökostrom billiger machen und fossile Brennstoffe verteuern
Geht es nach der Ampelregierung, läuft die Energiewende prima. Ein Expertengremium widerspricht: Ökostrom müsse billiger, fossile Brennstoffe müssten teurer werden. Andere Länder gehen schon jetzt viel weiter.
Klimaschutz: Ampelregierung muss Ökostrom billiger machen und fossile Brennstoffe verteuern
Deutschland ist auf einem guten Weg, klimafreundlich zu werden – zumindest beim Strom. 58,4 Prozent stammten im ersten Quartal 2024 aus erneuerbaren Quellen, teilte das Statistische Bundesamt Anfang Juni mit. Ein neuer Rekordwert; einen so großen Anteil hatten Wind, Wasser, Fotovoltaik und Biogas noch nie in den ersten drei Monaten eines Jahres seit Beginn der Datenerhebung im Jahr 2018. Live beobachten lässt sich der Strommix übrigens über das Agorameter des Thinktanks Agora Energiewende. Dort kann man die gelben Ausschläge (Solar) und die blauen Wellen (Wind) auf den Tag genau verfolgen.
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Das macht Mut, ist aber leider nur die halbe Wahrheit. In Deutschland kommen noch rund 80 Prozent der Primärenergie aus Kohle, Erdöl und Erdgas. Und diese Zahl bewegt sich nur sehr langsam nach unten. Mit rund 35 Prozent ist Mineralöl derzeit der wichtigste fossile Energieträger. Gesprochen wird gefühlt trotzdem vor allem über Erdgas und Kohle. Die Deutschen fahren, wohnen und produzieren immer noch mehrheitlich mit klimaschädlichen Brennstoffen. Damit sich das ändert, muss die Gesellschaft elektrifiziert werden – vom Ölkessel zur Wärmepumpe, vom Dieselauto zum Elektroauto.
Dafür braucht es mehr Anreize, denn gerade im Verkehr (Stichwort Mineralöl) gingen die Absätze von E-Autos gegenüber dem Vorjahr stark zurück. Branchenkenner führen die schlechte Nachfrage auf den Wegfall von Subventionen (E-Auto-Prämie) und die Diskussion über ein Revival von Autos mit Verbrennungsmotor zurück. Letztere verdanken wir auch der CDU, die damit in den Europawahlkampf zog. Da hilft es anscheinend nur wenig, dass nun selbst der Satiriker Jan Böhmermann in seiner Sendung »Fest und Flauschig« lautstark Werbung für Elektroautos macht und dafür viel Lob und Prügel einsteckt.
Dass die Regierung ein wenig Nachhilfe in Sachen Energiewende benötigt, bescheinigt ihr diese Woche auch die unabhängige Expertenkommission zum Energiewende-Monitoring. Das Beratergremium soll überprüfen, wie gut Maßnahmen zur Energiewende umgesetzt werden. Fazit: Der Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland geht zwar voran, trotzdem sehen die von der Bundesregierung beauftragten Expertinnen und Experten weiter Nachholbedarf in nahezu allen Bereichen. Damit Deutschland seine Klimaziele einhalten kann, schlägt die Kommission eine radikale Preisreform vor. Diese soll an den Ausstoß von klimaschädlichem CO₂ gekoppelt werden.
Energiewende-Ampel steht auf Gelb und öfter auch auf Rot
Die Idee: Die Umlagen und Abgaben auf Strom sollen gesenkt und dies mit einer höheren CO₂-Bepreisung fossiler Energieträger gegenfinanziert werden. Von den 80 Prozent fossiler Energieträger komme man nur runter, so die Ansage, wenn umverteilt werde. Die Anreize, Erdgas, Kohle und Mineralöl zu konsumieren, müssten sinken, der Umstieg auf erneuerbare Energien gefördert werden, sagte Kommissionsmitglied Anke Weidlich bei der Vorstellung am Mittwoch. »Das fördert insbesondere die verstärkte Elektrifizierung, etwa durch Wärmepumpen für Gebäudeheizungen, Elektroautos im Verkehr und neue Prozesstechnologien in der Industrie.«
Für ein abschließendes Fazit haben die Autorinnen und Autoren zudem eine Energiewende-Ampel (keine Anspielung auf die Regierung!) eingeführt: Nur wenige Bereiche stehen auf Grün (etwa der steigende Ökostromanteil), viele auf Gelb (steuerbare Kraftwerke, Batteriespeicher u.a.) und einige auf Rot (etwa der Ausbau der Übertragungsnetze).
Symptomatisch für diesen eher mittelmäßig bis schlechten Status quo sind die in dem Bericht erwähnten Umfragen, wie die Deutschen zur Energiewende stehen: Während eine Mehrheit diese immer noch befürworte, steigt anscheinend die Angst davor, man könnte negativ betroffen sein. In der Energiewende-Ampel steht die Akzeptanz deshalb auf Grün, die Betroffenheit hingegen auf Rot. »Insbesondere beim persönlichen Umfeld hat sich der Anteil der Befragten, die positive Auswirkungen der Energiewende erwarten, fast halbiert«, heißt es da bezogen auf den Zeitraum 2017–2023.
Das zeigt wieder: Alles hängt nun daran, wie die Energiewende umgesetzt wird. Das schließt mit ein: wie sozial und gerecht sie ist, und vor allem, wie sie kommuniziert wird. Mit dem sogenannten Heizungsgesetz im vergangenen Jahr hat die Regierung auf diesem Feld eine Menge Porzellan zerschlagen.
Dänemark elektrifiziert sich – und besteuert Massentierhaltung
Anderen Ländern geht das alles etwas leichter von der Hand, zum Beispiel Dänemark. Dort habe ich vor rund einem Jahr den Bürgermeister von Esbjerg, Jesper Frost Rasmussen, besucht und ihn gefragt, wie die Bürger die hundertprozentige Umstellung ihrer Wärmeversorgung auf eine Großwärmepumpe aufgenommen haben. Rasmussen schaute mich etwas verwirrt an, als verstünde er die Frage nicht. Die Bürger hätten ihn dazu gedrängt, die Stadt klimaneutral zu machen, sagte er dann. Die Lehre nach dem Ukrainekrieg sei gewesen: elektrifizieren statt verbrennen.
Das Land prescht übrigens gerade mit einer neuen politischen Initiative vor, die hierzulande undenkbar scheint – trotz eines grünen Landwirtschaftsministers. Dänemark will als erstes Land der Welt eine Klimasteuer für Schweinemast- und Milchbetriebe einführen.
Vorgesehen ist, dass Bauern umgerechnet etwa 40 Euro pro Tonne CO₂ im Jahr 2030 zahlen, die dann auf etwa 100 im Jahr 2035 steigen sollen. Im Gegenzug haben Landwirtinnen und Landwirte einen Anspruch auf steuerliche Entlastungen und Subventionen. Das helfe beim Umstellen der Betriebe auf klimafreundlichere Produktion. Auch hier gilt das Prinzip: klimaschädliche Praktiken teuer machen und klimafreundliche begünstigen.
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Ihre Susanne Götze
Redakteurin Wissenschaft