Mit Höhepunkt, der keiner ist: Im Landkreis mit dem Rad unterwegs
Mit Höhepunkt, der keiner ist: Im Landkreis mit dem Rad unterwegs
Einer der schönsten Moorseen: Grundloser See.
„Ab ins Paradies“, so heißt eine Serie, die passend zur Sommerzeit den Leser mit auf eine Reise durch den Landkreis Rotenburg nimmt.
Rotenburg – Der Fidi-Boon-Wech ist ein nagelneuer Radweg auf der alten Bahntrasse von Rotenburg nach Brockel. Es ging das Gerücht, er sei schon zu befahren, die Nachfrage bei der Stadt Rotenburg belehrt mich eines Besseren: „Die Inbetriebnahme des Radweges ist gemäß aktueller Terminplanung für Anfang/Mitte 2025 vorgesehen.“ Wie schade. Genau das sollte nämlich die Startetappe unserer Tour durch den Landkreis werden. Zufällig treffe ich zwei Tage vorher den Bürgermeister von Bothel. Dirk Eberle ist dieser Weg offensichtlich ein Herzensanliegen. Begeistert erzählt von der wunderbar breiten Strecke („Zwei-Meter-Fuffzig. Nur toll.“), dem erstklassigen Fahrbahnbelag und der wunderbaren Landschaft. „Schade, dass er noch nicht befahrbar ist“, werfe ich ein. „Ach was“, belehrt mich der Bürgermeister, „da laufen und fahren schon Hunderte.“ Na, denn…
Sozusagen mit behördlichem Wohlgefallen umkurven wir also alle Schilder, und – in der Tat: Dieser neue Radweg ist es wert. Traumhafte Streckenführung, wunderschöne Landschaft und immer geradeaus bis Brockel. Friedrich (Fidi) Boon war einst ein Lokführer, der vor langer, langer Zeit hier mit seiner Dampflok entlangfuhr. Nun ist die Strecke nach ihm benannt.
Unterwegs auf der ehemaligen Bahntrasse
Auf der ehemaligen Bahntrasse geht es dann weiter über Bretel und Wittorf nach Visselhövede. Es wird übrigens deutlich hügeliger. Was einem als Autofahrer kaum auffällt, der Radfahrer merkt’s. Und wir wollen noch ganz hoch hinaus, auf einen der höchsten Punkte im gesamten Landkreis Rotenburg: den Höllenberg bei Drögenbostel. Der ist leider nirgendwo ausgeschildert. Aus gutem Grund: Hier steht seit 1926 ein Denkmal für Albert Leo Schlageter. Als Spion und verantwortlich für mehrere Sprengstoffanschläge wurde er von Frankreich 1923 hingerichtet.
Das Denkmal wurde bald darauf (und später wieder) zu einer Art Wallfahrtsstätte rechter Gruppen. Inzwischen ist es kaum noch zu finden und fast zugewachsen. Gut so. Es lohnt sich nicht. Und auch der Blick von oben ist keinesfalls spektakulär. Also wahrlich kein „Höhepunkt“. Nur nebenbei: Dass die „Hölle“ in unserem Landkreis oben ist (exakt 93 Meter), mag etwas verwundern. Hier allerdings kommt die Bezeichnung wohl vom altdeutschen „Halde“, „Helde“, was nichts anderes als einen Abhang bezeichnete.
Mal eben über die Kreisgrenze hinaus
Aber wenn wir schon mal hier sind: Gar nicht weit entfernt, gerade eben über die Kreisgrenze hinaus, kurz vor Walsrode, liegt der Grundlose See. Ein traumhaft gelegener, wunderschöner Moorsee, der jeden Umweg und Abstecher lohnt. Auch wer aus Bremervörde oder Zeven mal Richtung Walsrode zur Autobahn fährt: In Ebbingen rechts ab und der Ausschilderung folgen. Beeindruckend. Nicht von ungefähr gibt es in dem kleinen Örtchen Ebbingen jede Menge Ferienwohnungen.
Auf dem Fidi-Boon-Wech.
Wir allerdings wollen noch wieder zurück nach Visselhövede, wo wir die erste Nacht auf unserer Tour verbringen werden. Überall, zum Teil neu angepflanzt, gibt es ganze Reihen von diversen Obstbäumen. Schilder weisen darauf hin, dass man sich hier selbst bedienen darf. Die Äpfel sind noch längst nicht reif, aber in den Kirschen tummeln sich bereits die Stare. Vermutlich konnten auch sie die Schilder lesen. Viele Störche treffen wir unterwegs. Auf einer abgemähten Wiese bei Kettenburg sind’s ganze zehn!
Eine Unterkunft in Visselhövede zu finden war gar nicht so einfach: Zwei große Hotels gibt es direkt im Ort, die aber nur für Seminare, Feiern oder eben größere Gruppen vorgesehen sind. Immerhin ist hier mit der Firma Hoyer eines der umsatzstärksten und größten Familienunternehmen der Republik beheimatet. Da dürfte auch hotelmäßig einiges anfallen. Zwei schlichte Radwanderer aber haben da keine Chance. So landen wir in der Villa Vissel, wo Elvira Schneider seit einigen Jahren Zimmer an Gäste vermietet. Ein Haus voller Kunst, alter Uhren und allerlei „Krimskrams“. In einem schönen Restaurant in der Visselhöveder „City“ bekommen wir auch noch was zu essen. Ansonsten gibt’s viel Leerstand in der Stadt. Unbewohnte Häuser, geschlossene Geschäfte. Schade. Auf manche Frage, warum das so sei, gibt es meistens Achselzucken.
75,2 Kilometer sind wir auf dieser ersten Etappe geradelt. Ganz schön für den ersten Tag. Ein treuer Begleiter war immer dabei: Der Wind. Das hatte ich schon mal zu einem Bekannten aus Bayern gesagt, der meinte, dass Norddeutschland ja geradezu popelig für Radfahrer sei, so ganz ohne Berge: „Unser Berg heißt Wind.“ Und der bläst heute gar gewaltig. Warum, verdammt noch mal, aber kommt der eigentlich immer von vorne?
Am nächsten Tag, Richtung Nordwesten, müsste er ja eigentlich eher von hinten kommen. Wir hoffen das Beste. Immerhin ist es heute, allen Wettervorhersagen zum Trotz, trocken geblieben.
Mit dem Fahrrad kreuz und quer durch den Landkreis
Die „offizielle Karte des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (adfc)“ muss es ja wissen: „Radlerparadies Rotenburg (Wümme). Zwischen Hamburg und Bremen“ heißt es auf der entsprechenden Umschlagseite. Vor zwei Jahren hatte ich den gesamten Landkreis an fünf Tagen zu Fuß durchwandert. Eine harte Tour! Fünf Tage lang jeweils etwa 25 Kilometer wandern. Schon damals hatte ich gemerkt, dass unser Landkreis zwar wirklich schöne Wege hat, aber – abseits der Nordpfade – nicht unbedingt das Paradies für Wanderer ist.
Wohl aber für Radfahrer?! Das habe ich nun in Angriff genommen. In wiederum fünf Tagen will ich es schaffen: Von Rotenburg in den Süden nach Visselhövede, Rundtour zu den „Grundlosen Seen“, dann über Kirchwalsede und Nartum nach Zeven. Von dort über Godenstedt, Huvenhoopsmoor, Augustendorf und Bremervörde nach Gräpel. Das ist der äußerste Norden. Rücktour über Bremervörde nach Heeslingen und wieder nach Rotenburg. Geplant sind täglich etwa 70 Kilometer. Das müsste doch zu schaffen sein, obwohl ich kein durchtrainierter Pedalritter bin. Deshalb (und aufgrund meines Alters) erlaube ich mir, etwas zu „mogeln“: Das Zauberwort heißt E-Bike! Eine geradezu paradiesische Erfindung. Passt doch! Auch ganz schön: Meine Frau wird mich begleiten und Freunde wollen auch mal eine Tagestour mitmachen. msc