Unvorbereitet in die nächste Gaskrise
Sonderbericht
Unvorbereitet in die nächste Gaskrise
Von Schleppern begleitet transportiert der LNG-Tanker „Arctic Lady“ eine Ladung Flüssiggas zum Energie-Terminal „Deutsche Ostsee“.
Der Europäische Rechnungshof kritisiert die EU für ihren Umgang mit dem fossilen Energieträger nach dem Ausbruck des Ukrainekrieges. Er warnt zudem, dass der Staatenbund in die nächste Abhängigkeitsfalle tappt.
Der Europäische Rechnungshof hat davor gewarnt, dass die Gasversorgung in der Europäischen Union nicht gesichert ist. Nach dem Ausbruch des Angriffskriegs auf die Ukraine hatten die EU-Staaten den Gasimport aus Russland gestoppt und damit Sorgen vor möglichen Engpässen geweckt. Die EU-Kommission steuerte mit einem großen Maßnahmenbündel gegen, doch in einem Sonderbericht des Rechnungshofs werden nun Zweifel an der Wirksamkeit dieser Maßnahmen laut. Die Fachleute warnen zudem, dass die EU in die nächste Abhängigkeitsfalle tappt. Auf eine Gaskrise, so ihr Fazit, sei die EU noch immer nicht umfassend vorbereitet.
„Angesichts ihrer Abhängigkeit von Gas aus dem Ausland wird die EU nie einfach die Hände in den Schoß legen können, wenn es um die Versorgungssicherheit geht“, sagte Rechnungshofprüfer João Leão. „Auch die Konsumenten haben für den Fall eines künftigen größeren Engpasses keine Garantie, dass die Preise bezahlbar bleiben.“ Wie gut etwa die Gaspreisbremse der EU funktioniert, konnte bisher nicht festgestellt werden. Denn der Wert, bei dem der Mechanismus ausgelöst wird, lag immer deutlich oberhalb des tatsächlichen Gaspreises.
Damit Russland Gas nicht länger als Waffe einsetzen kann, hatte die EU-Kommission Milliarden in die Hand genommen und Sofortmaßnahmen in die Wege geleitet. Der Nutzen dieser Maßnahmen sei aber nicht immer eindeutig nachweisbar, bemängelt der Rechnungshof. Zwar hatten die EU-Staaten während der Krise den Gasverbrauch um 15 Prozent gesenkt. Allerdings sei unklar, ob dies auf EU-Maßnahmen oder den warmen Winter und die hohen Gaspreise zurückzuführen ist. Sowohl Privathaushalte als auch die Industrie verbrauchten zuletzt weniger Gas. Die kriselnde Wirtschaftslage könne ebenfalls zur geringeren Gasnachfrage geführt haben.
Für Michael Bloss, industriepolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament, legt der Bericht den Finger in die Wunde. „Zwar wurde der Gaskonsum während der Krise um knapp ein Fünftel reduziert, aber das war nicht von langer Dauer. Bemühungen, auf die nächste Krise besser vorbereitet zu sein, sind eingeschlafen“, sagte Bloss dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Damit es nicht wieder ein böses Erwachen gibt, muss die EU jetzt einen Aktionsplan vorlegen.“
Bloss hält eine Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien, der Elektrifizierung von Industrie und Gebäuden sowie der Energieeffizienz für nötig. „Europa braucht das Ziel, aus der Nutzung von Erdgas auszusteigen“, fügt er hinzu. Dies würde auch dauerhaft niedrige Strompreise garantieren und die Wettbewerbsfähigkeit steigern.
Deutschland und andere EU-Staaten haben seit Kriegsbeginn große Mengen des russischen Pipelinegases durch Flüssiggas (LNG) aus anderen Teilen der Welt ersetzt. Der Rechnungshof sieht bereits eine „zunehmende Abhängigkeit der EU von Flüssigerdgas“. Außerdem müssten die EU-Staaten mehr tun, um den Gasverbrauch CO2-neutral zu gestalten. Viele EU-Staaten hoffen auf Lösungen zur Abscheidung und unterirdischen Speicherung von CO2, dem sogenannten Carbon Capture and Storage (CCS). Derzeit gibt es aber lediglich vier in der EU kommerziell betriebene CCS-Projekte, die gerade einmal 1,5 Millionen Tonnen CO2 speichern. Nur ein Tropfen auf dem heißen Stein im Vergleich zu den 450 Millionen Tonnen CO2, die bis 2050 jährlich gespeichert werden müssten, um die Klimaziele der EU zu erreichen, so der Rechnungshof.
Zudem zögern laut dem Sonderbericht viele EU-Länder immer noch, bilaterale Solidaritätsabkommen für die Gasversorgung zu schließen. Einige würden sogar planen, im Notfall ihre Gaslieferungen an einen Nachbarn zu kappen.
Die Mitgliedsstaaten müssten „endlich den Sonntagsreden der Solidarität noch mehr Taten folgen lassen und miteinander Abkommen zum Gasteilen schließen“, sagte Christian Ehler, energiepolitischer Sprecher der EVP-Fraktion. Die EU ist von Gasimporten aus Drittstaaten abhängig: Mehr als drei Viertel ihres Gases importieren die EU-Staaten, sowohl zum Heizen als auch zur Stromproduktion. Der größte Teil kam bis zu Beginn des Kriegs aus Russland.