Landrat im Interview - „Wir sind überfordert mit dem Ausländerhass, nicht mit den Flüchtlingen“
In Plastiksäcken tragen neu angekommene Geflüchtete ihre persönlichen Habseligkeiten zur Unterkunft. (Symbolbild) Boris Roessler/dpa
Im bayerischen Landkreis Miesbach ist der Streit um eine Flüchtlingsunterkunft eskaliert. Landrat Olaf von Löwis will trotz Anfeindungen nicht nachgeben – und setzt auf eine Transparenzoffensive.
Die Gemeinde Warngau ist ein Idyll im oberbayerischen Landkreis Miesbach. Doch spätestens seit Februar ist es dort vorbei mit der Ruhe. Weil in dem kleinen Ort ein Containerdorf für bis zu 500 Geflüchtete errichtet werden soll, ist die Empörung groß.
Warngau geriet sogar deutschlandweit in die Schlagzeilen, weil Landrat Olaf von Löwis zu Beginn des Jahres bei einer Infoveranstaltung beschimpft wurde. Er musste die Gemeinde unter Polizeischutz verlassen. Im Interview mit FOCUS online berichtet der CSU-Politiker davon, was sich seither getan hat und wie er den Landkreis wieder befrieden will.
Herr von Löwis, Warngau hat rund 3900 Einwohner, hinzu könnten bis zu 500 Geflüchtete kommen. Ist das eine gute Idee?
Olaf von Löwis: Es ist sicher nicht das, was wir uns gewünscht haben. Aber die Entscheidung ist aus der Not heraus geboren. In drei Turnhallen im Landkreis leben derzeit hunderte Geflüchtete unter Bedingungen, die eigentlich unwürdig sind, weil sie kaum Platz und Privatsphäre haben. Teilweise wohnen die Menschen schon seit zwei Jahren in dieser verheerenden Situation und genauso lange sind die Turnhallen für ihren eigentlichen Zweck blockiert.
Gibt es keine Alternativen?
Von Löwis: Wir würden die Flüchtlinge gerne auf die 17 Gemeinden im Landkreis aufteilen, sie sind zur Mitwirkung bei der Aufnahme gesetzlich verpflichtet. Aber sie haben wirklich große Probleme, dem gerecht zu werden. Deshalb bleibt uns nichts anderes übrig, als das Containerdorf als Übergangslösung zu errichten. Das liegt im Übrigen näher an Holzkirchen mit knapp 17.000 Einwohnern als an Warngau mit knapp 4000 Einwohnern.
Druck auf Bürgermeister verhindert Unterbringung in Wohnungen
Warum tun sich die Gemeinden so schwer, ihrer Pflicht zur Unterbringung nachzukommen?
Von Löwis: Wir sind schon seit vielen Jahren – auch vor dem Krieg in der Ukraine – unterwegs, um vor Ort Unterkünfte zu finden. Abgesehen davon, dass es von diesen kleinen Wohnungen sehr viel bräuchte und es nur wenige gibt, haben wir ein Problem: Wenn die Gemeinde eine Unterkunft in ihren eigenen Wohnungen plant, formiert sich in der Nachbarschaft sofort Protest. Und wenn Privatpersonen eine Wohnung zur Verfügung stellen wollen, werden sie ebenfalls von ihrem Umfeld unter Druck gesetzt, bis sie ihr Angebot zurückziehen.
Manche Bürgermeister sagen mir: „Tut mir leid, aber ich kann nichts machen. Ich verstehe dich, ich würde gerade nicht Landrat sein wollen.“ Dann schicken sie mich weiter in die nächste Gemeinde und so geht es immer weiter. Aber gleichzeitig kommt immer noch alle 14 Tage ein Bus mit 50 neuen Flüchtlingen an.
Welche Sorgen haben die Menschen in der Gemeinde?
Von Löwis: Am schlimmsten finde ich Aussagen, dass alle Flüchtlinge zu Straftätern würden. Die Mädchen im Landkreis seien alle höchst gefährdet, weil es massenhaft Vergewaltigungen geben würde. Es gibt natürlich tragische Fälle in Deutschland, aber in unserem Landkreis haben wir kein so großes Problem, wie behauptet wird. Manche sorgen sich auch um den Wertverfall ihrer Immobilie oder um Lärm, wenn eine Flüchtlingsunterkunft in der Nähe entsteht. Leider kommt man mit diesen Bürgerinnen und Bürgern schwer ins Gespräch, sie wollen nur ihre undifferenzierten Behauptungen loswerden.
„Die Wut wäre nicht verschwunden“
Die Wut der Menschen in Warngau ging so weit, dass Sie im Februar eine Informationsveranstaltung unter Polizeischutz verlassen mussten. Wie haben Sie sich gefühlt, als die Situation eskaliert ist?
Von Löwis: Ich hatte mich auf einen schwierigen Abend vorbereitet, aber mit dieser Welle von Wut habe ich nicht gerechnet. Es gab ein Pfeifkonzert, ich wurde persönlich beleidigt, die Kritik war tief unter der Gürtellinie. Dabei wollte ich nur informieren und mich gar nicht politisch äußern. In dem Moment war es sehr unangenehm für mich. Aber ich bin froh, dennoch stark geblieben zu sein. Ich habe den Leuten gesagt, dass die Würde des Menschen unantastbar ist – auch bei Flüchtlingen. Die Veranstaltung hat für mich eine Zäsur bedeutet.
Wie meinen Sie das?
Von Löwis: Ich hätte dem Mob auch nachgeben und die geplante Unterkunft verkleinern oder an einen anderen Ort verlegen können. Aber was hätte das gebracht? Wahrscheinlich nichts, die Wut wäre nicht aus dem Landkreis verschwunden und die Flüchtlinge auch nicht. Zudem hat sich später herausgestellt, dass die Stimmung bewusst von Rechten befeuert wurde, die gar nicht aus Warngau oder dem Landkreis kommen. Mir ist also klargeworden, dass man dem Hass etwas entgegensetzen muss.
Wie sieht ihre neue Strategie aus?
Von Löwis: Transparenz, Transparenz, Transparenz. Ich will die Lage so zeigen, wie sie ist. Zum Beispiel bin ich in regem Kontakt mit der Initiative „Warngau ist menschlich“. Dort sind nicht nur Befürworter der Unterkunft aktiv, sondern auch Menschen, die skeptisch sind. Zusammen mit der Gruppe gelingt es, dass man seine Sorgen und Ängste äußern kann und wir an konkreten Lösungen arbeiten.
Zum Beispiel wollen wir die Mobilität der Flüchtlinge mit einer neuen Buslinie und gespendeten Fahrrädern ermöglichen. Dann sitzen sie nicht nur in der Unterkunft, sondern können zum Beispiel auch einen Job in einer Nachbargemeinde annehmen. Ich sage komplett offen, dass wir diese Flüchtlinge anständig unterbringen wollen, ich versuche meinen Standpunkt zu erklären und keine Probleme zu vertuschen.
„Uns wurde aber von den Behörden geraten, den Ball flach zu halten“
Ist das nicht selbstverständlich?
Von Löwis: Selbstkritik ist wichtig, deshalb sage ich ehrlich, dass wir in der Vergangenheit zu wenig transparent waren. Wir wollten zum Beispiel nicht, dass die Presse sich ein Bild von den Turnhallen-Unterkünften macht und die Lage dort kritisch bewertet. Das war ein Fehler, denn Transparenz hätte vielleicht dazu geführt, dass es mehr Verständnis für die teilweise schlimmen Zustände in den Turnhallen gibt und alternative Unterkünfte eher akzeptiert werden. Uns wurde aber von den Behörden und Ministerien dazu geraten, den Ball flach zu halten und nicht zu viel über die Missstände zu sprechen.
Was raten Sie also anderen Landräten, die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben?
Von Löwis: Wir dürfen den rechten Parolen nicht nachgeben und müssen gelassener werden, wenn die Flüchtlingsfeinde uns mit ihren Forderungen provozieren. Ich würde aber auch dazu raten, künftig zum Beispiel Turnhallen erst gar nicht mehr als Unterkünfte in Erwägung zu ziehen. Sie sind einfach nicht geeignet und hat man dort einmal Flüchtlinge untergebracht, wird eine Verlegung in andere Wohnungen schwierig, weil es sofort wieder zu Diskussionen bei den Bürgerinnen und Bürgern kommt. Wir sollten die Menschen von Anfang an in kleinen Einheiten wie zum Beispiel einzelnen Wohnungen unterbringen, wenn irgendwie möglich.
Verfängt ihre offene Kommunikation oder besteht die Wut weiter fort?
Von Löwis: Bei den meisten bewirkt es etwas, glaube ich. Aber eine kleine Gruppe ist tatsächlich nicht mehr empfänglich für Argumente oder die menschlichen Schicksale der Flüchtlinge. Ich habe zum Beispiel kürzlich einen Inklusionsspielplatz eröffnet für Kinder mit und ohne Behinderung. Obwohl der Termin nichts mit Flüchtlingen zu tun hatte, wurde ich als „Judas“ beschimpft. Das Thema ist allgegenwärtig. Deshalb müssen wir hellwach sein, meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden leider auch angegangen.
„Wir können noch mehr leisten“
Wie hat sich die Lage insgesamt seit dem Vorfall im Februar verändert?
Von Löwis: Wir arbeiten an der Umsetzung des Bauprojekts, bis zum Herbst soll die Containerunterkunft fertig sein. Sie soll dann für zwei Jahre betrieben werden, danach brauchen wir definitiv eine andere Lösung. Wir schauen uns deshalb jetzt schon um. Die Stimmung in Warngau hat sich momentan etwas beruhigt, weil die Entscheidungen getroffen sind und die Unterkunft noch nicht bezogen wurde. Von einer vollständigen Befriedung kann aber keine Rede sein, der Schein trügt. Wir bereiten uns auf weitere Proteste nach Beginn der Baumaßnahmen vor.
Seit einigen Jahren wird davon gesprochen, dass die Kommunen bei der Unterbringung von Flüchtlingen an ihrer Belastungsgrenze oder gar schon darüber hinweg sind. Trifft das auf den Landkreis Miesbach und die Gemeinde Warngau zu?
Von Löwis: Das ist zumindest die Wahrnehmung vieler Menschen. Aber ich denke, wir können die von uns erwartete Quote bei der Flüchtlingsunterbringung erfüllen. Wir sind überfordert mit dem Ausländerhass, nicht mit den Flüchtlingen selbst.
Also sind sie nicht dafür, den Zuzug von Flüchtlingen zu begrenzen?
Von Löwis: Doch, es würde schon helfen, wenn nicht alle 14 Tage ein Bus mit 50 Flüchtlingen im Landkreis ankommt und es stattdessen mal eine Atempause gibt. Die Belastung in der Ausländerbehörde ist außergewöhnlich hoch, weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so viele Fälle prüfen müssen. Ich kann sie aber auch nur noch schwer motivieren, weil keine Entlastung in Sicht ist.
„Was die Situation verschärft, sind die Probleme bei der Integration“
Gehen die Pläne der Bundesregierung Ihrer Meinung nach in die richtige Richtung?
Von Löwis: Der Bund ist gefordert, die Flüchtlingszahl perspektivisch nach unten zu führen. Ich bin froh, dass die Regierung die Idee von Einreisezentren an den EU-Außengrenzen aufnimmt. Das ist hilfreich, weil wir dann das gleiche Ziel verfolgen: Die Flüchtlinge in echten Notlagen haben unsere Hilfe verdient. Aber wir können nicht alle aufnehmen, die aus anderen Gründen zu uns kommen wollen. Schaffen wir diese Differenzierung, würde das auch die Lage derer verbessern, die schon hier sind.
Warum?
Von Löwis: Die Unterbringung ist letztendlich eine Frage, die man technisch immer irgendwie lösen kann, zum Beispiel eben mit vorübergehenden Containerdörfern. Aber was die Situation wirklich verschärft, sind die Probleme bei der Integration. Bei dieser Größenordnung des Zuzugs können wir trotz aller Anstrengungen die Integration nicht mehr gewährleisten.