Gaza-Krieg: Bundesregierung schließt Vollstreckung eines Haftbefehls gegen Netanjahu nicht aus
ARCHIV - 06.05.2024, Israel, Jerusalem: Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu nimmt an data-portal-copyright=
Als Unterstützer des Internationalen Gerichtshofs wäre Deutschland verpflichtet, den israelischen Ministerpräsidenten bei einem Staatsbesuch festzunehmen. Berlin vermeidet dazu eine klare Aussage.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu könnte bei einem entsprechenden Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) auch in Deutschland verhaftet werden. Das deutete Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Mittwoch in Berlin an.
„Wir halten uns an Recht und Gesetz“, sagte Hebestreit auf die Frage, ob sich Deutschland grundsätzlich an Entscheidungen des IStGH halten werde. Deutschland sei „grundsätzlich“ Unterstützer des Internationalen Strafgerichtshofs, und dabei bleibe es. Zu der Forderung Israels, dass Regierungen der „zivilisierten Welt“ jetzt erklären sollten, einen möglichen Haftbefehl auf keinen Fall zu vollstrecken, äußerte sich Hebestreit nicht.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) vermied im Interview mit der „Bild“ eine klare Antwort zu einer möglichen Festnahme. Die Bundesregierung habe den Internationalen Strafgerichtshof immer unterstützt. Man schätze die Unabhängigkeit von Gerichten, sagte Baerbock. „Wir können uns doch nicht aussuchen: Heute gefällt uns ein Gericht und morgen nicht“, sagte sie.
Deutschland müsste Netanjahu bei Haftbefehl nach Den Haag überstellen
Der Chefankläger des IStGH, Karim Khan, hatte am Montag Haftbefehle gegen Netanjahu und Verteidigungsminister Joaw Galant sowie drei Anführer der palästinensischen Terrororganisation Hamas wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit beantragt. Netanjahu nannte Khan daraufhin einen „der großen Antisemiten der Moderne“.
Das Gericht hat zwar keinerlei Möglichkeiten, Haftbefehle selbst zu vollstrecken, jedoch ist die Bewegungsfreiheit der Gesuchten dadurch erheblich eingeschränkt. Alle Vertragsstaaten des Gerichts sind verpflichtet, Beschuldigte mit offenen Haftbefehlen festzunehmen und nach Den Haag zu überstellen, sobald sie sich in ihrem Land befinden.
Das gilt auch für Deutschland. Im Gegensatz zu Israel und seinem wichtigsten Verbündeten, den USA, erkennt die Bundesrepublik den Internationalen Strafgerichtshof an. Deshalb gilt es in Regierungskreisen als sehr schwierig, einen möglichen Haftbefehl gegen Netanjahu nicht zu vollstrecken. Andererseits gilt die Verhaftung eines israelischen Regierungschefs wegen der deutschen Verantwortung für den Holocaust als extrem heikel.
CDU-Verteidigungsexperte Johann Wadephul übte deutliche Kritik an der Bundesregierung. „Diese Aussage, noch dazu auf völlig hypothetischer Grundlage, ist verstörend“, schrieb der Politiker auf X (Twitter). „Es ist absolut unvorstellbar, dass ein demokratisch gewählter Regierungschef des Staates Israel auf deutschem Boden mit staatlichem Zwang festgehalten wird.“
Bis zum Erlass eines Haftbefehls können noch Monate vergehen. Der jüngste Fall eines Staatsoberhaupts, gegen das der Strafgerichtshof einen Haftbefehl verhängte, zeigt zudem, dass die Durchsetzung des Rechts ihre Grenzen hat: Russlands Staatspräsident Wladimir Putin, gegen den seit März 2023 ein Haftbefehl wegen schwerer Kriegsverbrechen in der Ukraine vorliegt, ist weiterhin auf freiem Fuß.
Die drohenden Haftbefehle gegen Netanjahu und seinen Verteidigungsminister Galant könnten sich aber auf die Rüstungslieferungen an Israel auswirken. Die Regierungen der Unterstützerländer könnten sowohl innen- als auch außenpolitisch unter Druck geraten, die Lieferungen einzustellen.