Neuwahl in Frankreich: Le Pen vor Wahlsieg - aber zittern muss sie trotzdem
Mehr als ein Drittel der Franzosen will Le Pens Partei RN ihre Stimme geben. Grund zum Jubeln ist das für die Rechtspopulistin allerdings noch nicht. Präsident Macron hat noch Gelegenheiten, ihr einen Strich durch die Rechnung zu machen.
Marine Le Pens Partei RN kann im ersten Wahlgang stärkste Kraft werden - ein Wahlsieg ist das aber noch nicht.
Es läuft für den Rassemblement National (RN). Bereits aus der Europawahl sind die französischen Rechtspopulisten als Sieger hervorgegangen. Jetzt bescheinigt ihnen eine Umfrage des Instituts Ifop Fiducial gute Chancen, auch bei der Neuwahl in Frankreich die Mehrheit zu holen. Der RN liegt demnach bei 36 Prozent, deutlich vor dem linken Wahlbündnis Front Populaire mit 29,5 Prozent und dem liberalen Lager um Präsident Emmanuel Macron mit 20,5 Prozent.
Strippenzieherin des RN ist Marine Le Pen, die den 28-jährigen Jordan Bardella vor knapp zwei Jahren zum Parteivorsitzenden ernannt hat. Bardella bekräftigt in jedem Interview, er wolle Premierminister werden, sollte der RN die Wahl gewinnen. Doch die guten Umfrageergebnisse sind noch kein Garant für einen künftigen Regierungschef aus den Reihen des RN.
Die Partei muss nämlich nicht nur beim ersten Wahlgang am kommenden Sonntag punkten, sondern auch beim zweiten in der Woche darauf. Frankreich stimmt nach einem Mehrheitswahlrecht ab: Den Parlamentssitz kann sich ein Kandidat am ersten Wahlsonntag nur sichern, falls er in seinem Wahlkreis mehr als die Hälfte der Stimmen bekommt. Die zweite Bedingung: Mindestens ein Viertel aller dort eingeschriebenen Wähler muss das Kreuz bei ihm machen. Meistens klappt das in der ersten Runde noch nicht. Dann kommt es eine Woche später zur Stichwahl zwischen dem Erst- und Zweitplatzierten.
Konservative Républicains zerbrochen
"Es ist besonders spannend, was zwischen dem ersten und dem zweiten Wahlgang in Frankreich passiert", sagt Ronja Kempin, Frankreich-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik, ntv.de. Denn dann eröffnen sich Möglichkeiten für neue politische Bündnisse, die in den Wahlkreisen gemeinsam Kandidaten gegen den RN aufstellen könnten. Auch Zusammenschlüsse von Parteien, die zuvor noch gegeneinander Wahlkampf gemacht haben, wären denkbar. Zumindest theoretisch. "Für Macrons Lager kommen vor allem die Républicains und gemäßigte Linke als Partner infrage", sagt Kempin. Die könnten aber unter Umständen wenig Lust auf eine Kooperation mir Macron haben.
Auf der einen Seite macht das linke Wahlbündnis Front Populaire Stimmung gegen Macrons liberale Politik, insbesondere gegen seine Rentenreform. Auf der anderen Seite sind die konservativen Républicains - die französische Schwesterpartei der CDU - zerbrochen. Ein Teil der Partei macht gemeinsame Sache mit dem RN. Den Anstoß dazu gab Éric Ciotti, ehemaliger Vorsitzender der Republikaner. Im Geheimen legte er gemeinsam mit dem RN Dutzende Wahlkreise fest, in denen er mit ihnen gemeinsame Kandidaten aufstellen will. Die Républicains, die sich in der Tradition des Gaullismus sehen, schlossen Ciotti deshalb aus der Partei aus.
Die Mehrheit der Républicains - die nicht mit Ciotti zum RN abgewandert sind - könnten sich nach dem ersten Wahlgang mit Macron verbünden. Dies wäre jedoch mit erheblichen Risiken verbunden. Die Partei der ehemaligen französischen Präsidenten Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy kämpft heute um ihr politisches Überleben. Bei Umfragen bewegt sie sich im einstelligen Bereich. Mit den paar Dutzend Sitzen, die sie erobern könnten, sind die Républicains auch keine allzu große Hilfe für Macron auf der Suche nach Mehrheiten. Und sie haben Macron bereits nach der Präsidentschaftswahl 2022 den Laufpass gegeben: Damals lehnten sie sein Angebot ab, einen Koalitionsvertrag zu entwerfen.
Antisemitismus kann linkes Wahlbündnis sprengen
Auf der linken Seite des parlamentarischen Spektrums stehen die Chancen für ein Bündnis mit dem liberalen Präsidentenlager etwas besser. Dort haben sich gemäßigte Sozialdemokraten und Grüne mit extremen Gruppen wie den Linkspopulisten von La France insoumise zu dem Verbund Front Populaire, zu Deutsch: Volksfront, zusammengeschlossen. "Macron könnte darauf spekulieren, dass dieses Bündnis vor dem zweiten Wahlgang zerbricht. Das ist nach den Präsidentschaftswahlen 2022 schon einmal passiert, als der Vorsitzende von La France insoumise, Jean-Luc Mélenchon, die Bündnispartner mit antisemitischen Äußerungen verprellte", sagt Kempin.
Falls gemäßigte linke Parteien zum Macron-Lager überlaufen und dem Präsidenten eine Mehrheit sichern, könnte einer ihrer Spitzenpolitiker Regierungschef werden. Dies sei jedoch nur möglich, falls der RN die absolute Mehrheit im zweiten Wahlgang verpasse, betont Kempin. "Bei einer absoluten Mehrheit für den RN kommt Macron nicht drumherum, Bardella zum Premierminister zu ernennen - sonst würde er den Wählerwillen komplett ignorieren", sagt Kempin.
Klar ist allerdings: Ein Wahlsieg im ersten Durchgang reicht Le Pen nicht. Endgültige Klarheit gibt es erst eine Woche später.
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