Kommentar zum Fall Assange: Am Ende haben alle ihr Gesicht verloren
Daumen hoch in Canberra: Julian Assange bei seiner Rückkehr nach Australien
Julian Assange ist auf freiem Fuß, und man kann sich nur mit ihm freuen. Selbst seine Gegner hatten am Ende Mitleid mit dem körperlich und seelisch sichtlich angeschlagenen Gründer der Digitalplattform Wikileaks. Vierzehn Jahre in Unfreiheit, davon fünf in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis – das erschien den meisten gerecht denkenden Menschen als unangemessene Strafe für einen Mann, der nicht mehr und nicht weniger getan hatte, als geheime Daten ins Netz zu stellen.
Vor allem für die Vereinigten Staaten war die Causa Assange vom Anfang bis zum Ende ein Publicity-Gau. In den Augen vieler führte der amerikanische Staat einen Rachefeldzug, der seinem Ruf, die freie Welt zu repräsentieren, erheblich schadete. Mit dem selten in Anschlag gebrachten Spionagegesetz von 1917 fuhr Washington schwerstes rechtliches Geschütz auf, um – so schien es jedenfalls – an dem Australier ein Exempel zu statuieren. Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Vehemenz des Vorgehens auch mit der öffentlichen Düpierung der amerikanischen Sicherheitsbehörden zu tun hatte.
Futter für Amerikas Gegner
Assange und sein damaliger Datenzuträger Bradley Manning hatten mit den 2010 veröffentlichten Geheimdokumenten und Filmaufnahmen nicht nur Sicherheitslücken im Heiligsten des amerikanischen Militärapparats aufgedeckt. Die Offenlegung von Kriegsverbrechen in Afghanistan und im Irak verwundete die Position der Vereinigten Staaten als moralische Weltmacht. Assange hatte all jenen wertvolles Futter gegeben, die den Vereinigten Staaten nichts Gutes wünschen, darunter nicht nur die üblichen „Imperialismus“-Kritiker im Westen, sondern feindlich gesinnte Regierungen in vielen Teilen der Welt. Die globale Vertrauenskrise des „Westens“ hat auch mit Wikileaks zu tun.
Assange würde vielleicht von mehr Menschen als heroischer Kämpfer gegen das Unrecht gewürdigt, wäre er nicht offenkundig von Hass auf Amerika getrieben. Ähnlich wie der Whistleblower Edward Snowden, der inzwischen die russische Staatsbürgerschaft hat, konnte Assange nie den Verdacht abschütteln, als Aktivist vor allem ideologischen Zielen zu dienen. Bis heute wird er vom russischen Staatssender RT, für den er einst arbeitete, instrumentalisiert, wogegen sich Assange nie zur Wehr gesetzt hat.
Fragwürdig ist auch sein Anspruch, als Journalist wahrgenommen zu werden und gleichsam für den weltweiten Berufsstand in die Schlacht um die Meinungsfreiheit zu ziehen. Assange hatte sich und sein Medium als überlegen empfunden und hochmütig über jene Standards hinweggesetzt, denen sich Journalisten gemeinhin verpflichtet fühlen. Wer ohne Rücksicht auf Verluste Informanten und andere gefährdete Akteure mit Klarnamen ins Netz stellt, verletzt auch dann Grundsätze eines verantwortungsvollen Journalismus, wenn nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden kann, ob dadurch Schaden entstanden ist.
Der „Deal“ mit den Vereinigten Staaten, der Assange nun den Weg in die Heimat freimachte, symbolisiert das Kontrastlose, das diesen Fall bis zum Ende kennzeichnete. Amerika baute eine juristische Brücke, die den Eindruck rechtsstaatlichen Vorgehens halbwegs aufrechterhält. Dafür bekannte sich Assange, die Faust in der Tasche, in einigen Punkten für schuldig, weil das der Preis für die Freiheit war. Die scheinbar gesichtswahrende Lösung beendet ein unseliges Ringen, bei dem die Beteiligten ihr Gesicht längst verloren hatten.