„Sind in der Vorrunde ausgeschieden“ – Industrie-Chef legt neue Forderungen an Ampel vor
Erst vor einigen Wochen hatte Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung scharf kritisiert. In einem neuen Interview legt er nach und erklärt, was sich aus seiner Sicht ändern muss.
Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) dpa/Monika Skolimowska
Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, sieht noch keine Konjunktur-Trendwende in Deutschland. Es gebe zwar – in Form leichten Wachstums – einen „Silberstreif am Horizont“, so Russwurm am Montag im „Deutschlandfunk“. „Aber so, wie es momentan aussieht, ist das die übliche Welligkeit von Konjunktur und noch nicht eine wirkliche Trendwende.“ Die deutsche Wirtschaft wachse nicht im Tempo etwa der USA oder Chinas. Der BDI rechnet für 2024 in Deutschland mit 0,3 Prozent Wirtschaftswachstum. „Das ist noch nicht die Trendwende, die wir brauchen. Das unterliegende, langfristige Wachstum ist das, was uns am meisten Sorgen macht.“
Im April hatte Russwurm Schlagzeilen gemacht mit einem kritischen Interview zur Wirtschaftspolitik der Ampel-Koalition. Es seien zuletzt „zwei verlorene Jahre“ gewesen, hatte Russwurm der „Süddeutschen Zeitung“ gesagt.
Der BDI forderte später ein Investitionspaket von 400 Milliarden Euro. Dazu sagte Russwurm nun, man habe schlicht zusammengezählt, was in Deutschland an Investitionen nötig sei. Die 400 Milliarden Euro seien der Nachholbedarf, um etwa Infrastruktur auf Vordermann zu bringen.
Man wolle Deutschland dabei allerdings nicht über Gebühr verschulden, sondern bestehende Reserven anzapfen. „Zum Beispiel Effizienzreserven durch höhere Digitalisierung des Staates“, so Russwurm. „Man wird auch um Priorisierungen nicht herumkommen.“ An weitere Mittel gelange man durch verstärktes Wirtschaftswachstum, weil das die Steuereinnahmen erhöhe. „Wenn das alles nicht reicht – und nur, wenn das alles nicht reicht –, dann wird man auch, und das ist politische Klugheit, über Kreditfinanzierung reden müssen.“ Das dürfe dann aber nicht durch ein Aufweichen der Schuldenbremse geschehen, sondern müsse über „sehr gezielte Pakete“ bei Einzelthemen erreicht werden, mit parlamentarischer Legitimation. Eine „Generalermächtigung“ hingegen dürfe es nicht geben.
„Ein Industrial Deal neben dem Green Deal – das muss das Ziel sein“
Mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sei er im Gespräch, so Russwurm – „nicht nur über Interviews“. Mit ihm wolle er eine „konstruktive Debatte“ darüber führen, wie man das Land aus der Krise herausbekomme. Zu den Anstrengungen der Bundesregierung sagte er: „Wenn man im Beispiel des Fußballs bleibt: Wenn ich mir die Ergebnisse anschaue, dann sind wir gegenwärtig in der Vorrunde ausgeschieden. Und dann ist die Frage, ob wir schön gespielt haben dabei, eher zweitrangig.“
Das Thema Wirtschaftswachstum müsse in Deutschland und in Brüssel fortan prioritär angegangen werden – zusammen mit anderen wichtigen Themen. Man müsse etwa Klimaschutz und Wirtschaftswachstum „klug“ miteinander verbinden. Man könne sich den „Luxus“, auf Klimaschutz zu verzichten, nicht leisten. Die beiden Themen seien aber ohnehin nicht automatisch ein Gegensatz. „Ein Industrial Deal neben dem Green Deal – das muss das Ziel sein.“
Dazu müsse man Bürokratie abbauen, um effizienter, und mehr Handelsabkommen abschließen, um unabhängiger zu werden. Bei Letzterem seien die vergangenen Jahre „einfach enttäuschend“ gewesen. Man sei „kaum weitergekommen“.
„Viele Länder auf der Welt gibt es nicht, die 40 Prozent ihres Geschäftes im Export machen“. Deutschland habe „wie kaum ein anderes Land ein Interesse dran, dass es Freihandel weiter gibt.“ Berlin – genauso wie Brüssel – müsse eine Balance finden zwischen Freihandel und der Sanktionierung von Wettbewerbsverstößen etwa durch China.
Der Erfolg der deutschen Wirtschaft wiederum sei auch für Brüssel ein vitales Interesse. Die Bundesregierung müsse klarmachen: „Die größte Volkswirtschaft in der EU, die kann nicht über die Kante fallen. Sondern das muss auch im Interesse des europäischen Binnenmarktes sein, dass wir weiter erfolgreich sind, denn der Export aus Deutschland ist auch ein Exporterfolg der Europäischen Union.“
Auf die Frage nach Gründen für Optimismus wollte Russwurm sich nicht konkret festlegen. „Wenn man als Unternehmer nicht Optimist ist, dann ist man im falschen Beruf“, so der BDI-Präsident. „Es muss besser werden, denn wir können es uns für das Industrieland Deutschland nicht leisten, auf den Abstiegsplätzen weiterzuspielen.“