Rapper Pimf über die Fußball-EM: „Diesen Nationalismus kann ich nur schwer nachvollziehen“
Interview über Patriotismus
Rapper Pimf über die Fußball-EM: „Diesen Nationalismus kann ich nur schwer nachvollziehen“
Fußball-Fan: Rapper Pimf.
Rapper Pimf ist leidenschaftlicher Fußball-Fan und schaut sogar Zweitligaspiele in Frankreich. Gerade ist er im EM-Fieber, aber nicht nur den deutschen Nationalismus findet er schwierig.
Hofgeismar – Von Fußball kann Pimf nicht genug kriegen. Der aus Hofgeismar stammende Rapper schaut jedes EM-Spiel, hat eine Dauerkarte beim FC St. Pauli und reist auch schon mal nach Frankreich, um Zweitligaspiele zu sehen. Zur Deutschlandfahne hat der 31-Jährige ein gespaltenes Verhältnis. Hier erklärt Pimf, der gerade die Single „Alles nie genug“ mit der Band Revolverheld veröffentlicht hat, warum er das Wort Sommermärchen nicht mehr hören kann.
Pimf, in Deutschland sieht man in diesen Wochen immer mehr Schwarz-Rot-Gold. Warum fühlen Sie sich mit nationalen Symbolen unwohl?
Bei dem Konzept Länder und Grenzen fühle ich mich grundsätzlich etwas unwohl. Mich triggert zwar nicht jeder Mensch, der nun Schwarz-Rot-Gold am Auto hat, aber ich kann diesen Nationalismus nur schwer nachvollziehen - gerade in diesen Zeiten. Ich finde es beängstigend, dass die AfD im Landtag, im Bundestag und im EU-Parlament sitzt. In ganz Europa gibt es Neonazistrukturen. Gerade haben Recherchen eine Sonnenwendfeier von Rechtsradikalen in Eschede öffentlich gemacht. All das finde ich beängstigend. Ich kann das nicht einfach wegen eines Fußballturniers vergessen. Während der Flüchtlingskrise hing ein Nachbar in Hofgeismar eine Deutschlandfahne an sein Haus. Ich habe das als Statement gegen die Aufnahme von Menschen in Not verstanden.
Wie finden Sie die EM-Stimmung im Land? Erleben wir gerade ein Sommermärchen 2.0?
Ich kann das Wort Sommermärchen nicht mehr hören. Bei der WM 2006 war ich 13 und hatte noch kein politisches Verständnis. Damals habe ich das total enjoyed und bin mit Deutschlandfahnen auf den Wangen rumgelaufen. Auch heute feier ich die EM und gucke alle Spiele. Ich sehe aber auch, dass österreichische Fans ein rechtsextremes Banner in der Kurve aufhängen. Und nicht nur nationalistische Anhänger aus Serbien und Kroatien tragen rechtes Gedankengut auf die Bühne. Ungarische Fans hielten „Free Gigi“-Plakate hoch - in Anspielung auf „L‘Amour toujours“ von Gigi D’Agostino, das gern von Rechtsradikalen gegrölt wird. Trotzdem liebe ich es, die EM zu schauen. Es gibt nichts Schöneres. Georgien gegen Tschechien habe ich live im Stadion in Hamburg gesehen. Es war eine mega Stimmung.
Zuletzt haben Sie für das ZDF ein Streitgespräch mit dem Bremer FDP-Politiker Ole Humpich geführt und nach ihren Aussagen über Ihr Verhältnis zu Deutschland einen ziemlichen Shitstorm erlebt. Einer schrieb, es sei schade, dass man Sie nicht abschieben könne.
Es ging darum, zwei Menschen mit unterschiedlichen Meinungen in eine offene Diskussion zu setzen, das waren in dem Fall eine eine liberale und eine linke Position. Vor dem Gespräch wusste wir nicht, auf wen wir treffen werden. In manchen Dingen waren wir gar nicht so weit auseinander und wir hatten einen sehr angenehmes Gespräch. Hinterher hieß es dann aber in den Kommentaren: „Der will uns die Deutschlandfahne wegnehmen.“ Das will ich gar nicht. Ich will nur dafür sensibilisieren, dass es einige Probleme gibt. Fußball macht Spaß, aber Fußball ist auch politisch und es geht gerade richtig viel Scheiß ab. Deshalb sollten wir kritisch sein.
Der Nationalspieler Leon Goretzka macht sich immer wieder gegen Rechtsextremismus und Rassismus stark und sagt: „Schwarz-Rot-Gold sind die Farben unserer Demokratie und nicht der Rechten.“ Ist es nicht kontraproduktiv, die Deutschlandfahne der AfD zu überlassen?
Ich verstehe den Ansatz dieses Arguments. Auch der FDP-Politiker Ole Humpich meint, dass wir uns die Fahne zurückholen sollten, nachdem sie etwa zum Symbol der Pegida-Proteste geworden ist. Ich fühle mich aber schlecht dabei. Es gibt viele Menschen in diesem Land, die Schwierigkeiten haben, sich zugehörig zu fühlen. Ein Deutschland-Trikot transportiert fü rmich dagegen ein ganz anderes Gefühl. Es zeigt: „Ich drücke der Mannschaft die Daumen.“ Vielleicht steht auf dem Rücken auch noch der Name des Spielers aus meinem Verein.
Kann es sein, dass die Diskussion, die wir jetzt führen, so nur in Deutschland geführt wird - aufgrund unserer Geschichte?
Andere Länder, die eine andere Historie haben, gehen damit vielleicht anders um, aber auch in denen gibt es kritische Stimmen. Aufgrund unserer Geschichte ist Verantwortung ein Teil unserer Identität, dazu gehört auch das Ermahnen. Für mich muss deutsche Identität immer antifaschistisch sein. Dies ist ein wesentlicher Punkt, um eine gute Zukunft zu gestalten.
Gibt es etwas, auf das Sie stolz sind in diesem Land?
Da gibt es vieles. Zum Beispiel bin ich stolz darauf, dass viele engagierte Menschen den Mund aufmachen. Auf St. Pauli sagt sich „Nazis raus“ sehr leicht, aber auf dem Land, wo es gewachsene Faschostrukturen gibt, ist das keine Selbstverständlichkeit. Ich bin stolz auf den Teil der Gesellschaft, der sich auch dort dagegen stellt.
Wie laut jubeln Sie, wenn Deutschland im Achtelfinale am Samstag gewinnt?
Nicht so laut wie bei einem Tor von meinem Verein. Aber natürlich habe ich mich auch gefreut, als Niclas Füllkrug am Sonntag gegen die Schweiz in der Nachspielzeit die Hütte gemacht hat. Mehr habe ich allerdings gejubelt, als Georgien gegen Tschechien das 1:1 schoss. (Die haben das 1:0 geschossen, lagen also in Führung) Für Underdogs habe ich große Sympathien. Das Schlimmste ist für mich jetzt, dass es keine 15-Uhr-Spiele mehr gibt, weil ich auch da schon gern vor der Glotze hänge. Ich finde es einfach geil, wenn alle Fußball spielen. Genauso cool ist es, dass es bei dieser EM keine Mannschaft gibt, die alle auseinander nimmt - auch wenn Spanien schon stark ist. In den K.o.-Spielen kann ein Underdog die vermeintlich großen Fußballnationen schlagen. Auch wenn Deutschland ausscheiden sollte, werde ich die EM bis zum Ende genießen.
In Ihrer Single „Mitchell Weiser“ heißt es: „Ich spuck auf Deutschland wie Frank Rijkaard“. Eine Anspielung auf das WM-Achtelfinale 1990 gegen die Niederlande.
Die Zeile ist eine überspitzte Version der Kritik, die ich auch hier geäußert habe. Rijkaard hat damals Rudi Völler in die Haare gespuckt. Ich fand es einen passenden und lustigen Vergleich, um zu zeigen, was heute nicht so toll läuft. Der Track spuckt quasi ein bisschen in die Suppe.
Warum finden Sie Mitchell Weiser von Werder Bremen so gut?
Als junger Spieler bei Bayern München konnte er sich nicht durchsetzen. Seine Karriere hat erst im zweiten Anlauf Feuer gefangen. Der Verlauf seiner Karriere erinnert mich ein bisschen an meine: Nach einem steilen Start gab es einen Karriereknick, ehe es stabil wurde. Heute ist er bei Werder ein toller Spieler und zudem ein sehr angenehmer Typ, der auf dem Boden geblieben ist.
Wie gut fühlt es sich an, dass Ihr Verein FC. St. Pauli in der ersten Liga spielt, während der Hamburger SV nur im Unterhaus kickt?
Gegenüber dem HSV habe ich gar keinen Hate. Im Gegenteil: Ich würde mir wünschen, dass er in der Bundesliga spielt, denn da gehört er hin. Ich freue mich einfach, dass St. Pauli in der ersten Liga spielt. Ich würde mich so freuen, wenn wir den Klassenerhalt schaffen. Letzte Saison hatte ich eine Dauerkarte. Auch anderswo gucke ich gern Fußball. Ich finde es auch geil, wenn Greuther Fürth gegen Sandhausen spielt. Wenn ich samstags zum Beispiel ein Konzert in Nürnberg habe, versuche ich sonntags zum Heimspiel des Clubs zu gehen. (Matthias Lohr)