„Die einzige Versicherung für die Ukraine ist eine Nato-Mitgliedschaft“

BERLIN. Der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, zum bevorstehenden Nato-Gipfel, 75 Jahren Allianz, eine Beitrittsperspektive für die Ukraine, Chancen auf Frieden, die Gefahr durch Russland und die künftige Rolle von Atomwaffen

„die einzige versicherung für die ukraine ist eine nato-mitgliedschaft“

Der frühere deutsche UN-Botschafter und heutige Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, wirbt für maximale Härte gegen Russland

Herr Heusgen, die Nato wird 75. Wie fit ist der Jubilar?

Heusgen Die Nato ist das erfolgreichste Verteidigungsbündnis der Geschichte. Sie ist fit, was nicht heißt, dass sie nicht noch fitter werden muss.

Kein „Hirntod“ der Allianz mehr. Hat Wladimir Putin die Nato womöglich so geeint wie lange nicht mehr seit Ende des Kalten Krieges?

Heusgen Ja, Putin hat mit seinem unverantwortlichen Angriffskrieg die Nato geeint und gekräftigt. Mit Schweden und Finnland sind zwei neue, verteidigungsstarke Länder beigetreten.

Vertraute Gewissheiten gelten nicht mehr. Welche Rolle muss die Nato in einer Zeit einnehmen, in der sich die alte Ordnung nach und nach auflöst?

Heusgen Die Nato kehrt zu ihren Wurzeln zurück: sie ist wieder in erster Linie ein Verteidigungsbündnis. So wie es die Sowjetunion erfolgreich abgeschreckt hat, muss es heute das aggressive Russland abschrecken.

Die Nato wird kein Land im Krieg aufnehmen. Doch wie klar muss die Beitrittsperspektive für die Ukraine sein, die von diesem Gipfel ausgehen sollte?

Heusgen Die Aufnahme der Ukraine in die Nato steht nicht auf der Tagesordnung dieses Gipfels. Ich bin aber der Überzeugung, dass langfristig nur eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine eine langfristige Aussicht auf Frieden bietet. Vereinbarungen mit Russland sind nicht das Papier wert, auf das Putin seine Unterschrift setzt. Diese bittere Erfahrung musste die Ukraine machen. Die einzige Versicherung ist eine Nato-Mitgliedschaft.

Wie viel von der Ukraine wird nach diesem Krieg noch übrig sein?

Heusgen Ich bin mir sicher, dass die Internationale Staatengemeinschaft keine Veränderung von Grenzen akzeptieren wird. Der Einsatz von Gewalt darf sich nicht lohnen. Die Stärke des Rechts darf im Wettbewerb mit dem Recht des Stärkeren nicht als Verlierer vom Platz gehen.

Die Nato hat sich bislang als Bündnis ganz bewusst nicht direkt an der Unterstützung der Ukraine beteiligt, sondern es einzelnen Nato-Staaten überlassen. Jetzt will das Bündnis die Koordination der Waffenhilfe übernehmen. Tritt der Krieg damit in eine neue Phase?

Heusgen Es ist Wladimir Putin, der ständig eskaliert, der Tag für Tag Völkerrecht bricht. Die Internationale Staatengemeinschaft und dazu gehört die Nato muss sich so organisieren, dass Wladimir Putin endlich einsieht, dass sich seine Aggression nicht auszahlt.

Trauen Sie Putin einen Angriff gegen das Baltikum und damit gegen die Nato zu?

Heusgen Er hat das ja angekündigt! Er will die Sowjetunion wiederherstellen; dazu gehörte das Baltikum. Wenn wir ihn lassen, wird er weitermachen.

War Deutschland, war Bundeskanzler Olaf Scholz zu lange zu zögerlich bei der Lieferung auch weitreichender Waffensysteme und Raketen an die Ukraine?

Heusgen Für die Bundesregierung war es ein schwerer Schritt, die Politik der Zurückhaltung aufzugeben. Es gab ja die Regel, dass wir keine Waffen an Parteien liefern, die sich in bewaffneten Konflikten befinden. Diese Politik zu ändern, hat sich die Bundesregierung schwer getan, dieses Zögern bestimmt bis heute ihre Politik. Ich hätte mir gewünscht, sie wäre frühzeitig auf die Linie von Wirtschaftsminister Habeck eingeschwenkt, der sich schon Monate vor dem russischen Angriff für Waffenlieferungen an die Ukraine eingesetzt hat.

Inzwischen erfüllen 23 von 32 Nato-Staaten das 2014 beim Gipfel in Wales verabredete Zwei-Prozent-Ziel? Kann es dabei bleiben oder wird die Sicherheitslage künftig gar drei Prozent oder mehr für Investitionen in die nationalen Armeen des Bündnisses erforderlich machen?

Heusgen Die Beschlusslage ist klar: vor einem Jahr hat die Nato die zwei Prozent als Untergrenze festgelegt. Wenn alle Bündnispartner diese Entscheidung langfristig konsequent umsetzen, sind wir ein ganzes Stück weiter.

Hat die Ukraine-Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock in der Schweiz tatsächlich Bewegung gebracht oder war sie mehr Symbolik?

Heusgen Es ist wichtig, dass das Thema „Ukraine” auf der internationalen Agenda bleibt, nicht nur auf der europäischen und transatlantischen. Dazu hat Bürgenstock gedient.

Die Position des Westens ist: Es darf keinen Diktatfrieden von Putins Gnaden geben. Welche Lösung sehen Sie?

Heusgen Es wird nur eine Lösung geben, wenn Putin einsieht, dass er mit seiner Strategie nicht mehr weiterkommt. Das wird nur geschehen, wenn die Ukraine in einer Position der Stärke ist. Putin glaubt, dass er mehr Durchhaltevermögen hat als die Ukraine und die sie unterstützende Allianz. In der AfD und im BSW hat Putin Alliierte, die in seinem Sinne agitieren. Ähnliche Kräfte gibt es in anderen Ländern, zum Beispiel in Frankreich. Sie dürfen keinen Erfolg haben.

Muss die Nato ihre Partnerschaftspolitik vor dem Hintergrund des Weltmachtstrebens von China und der Aggression Russland überdenken und falls ja, in welche Richtung?

Heusgen Die Nato ist in erster Linie ein Verteidigungsbündnis. Sie hat damit alle Hände voll zu tun. Partnerschaften mit gleichgesinnten Staaten außerhalb der Allianz sollten gepflegt werden, aber nur als zweite Priorität.

Putin spielt ja auch mit der Drohung des Einsatzes von Atomwaffen. Ist das bei ihm mehr als Drohkulisse?

Heusgen Putin ist ein Meister im Schüren von Ängsten. Dies ist die Absicht hinter seinen Andeutungen und den Drohungen, die er sein Umfeld ausstoßen lässt.

Kommt ein neues Atomwaffen-Zeitalter und wie muss sich die Nato darauf vorbereiten?

Heusgen Wir sehen in der Tat ein neues atomares Aufrüsten. Das ist sehr traurig in Anbetracht der Tatsache, dass das viele Geld an anderer Stelle fehlt, etwa bei der dringenden Bekämpfung des Klimawandels.

Kann es eigenes atomares Schutzdach nur für Europa geben, wie es – grob skizziert – Emmanuel Macron anderen Staaten in Europa angeboten hat? Oder wäre das für die Nato kontraproduktiv?

Heusgen Alles, was der Sicherheit Europas dient, ist wichtig. Ich finde es deswegen richtig, dass mit Macron konkret darüber gesprochen wird, wie die französischen Nuklearwaffen auch der europäischen Sicherheit dienen können. Wir sollten auch die Briten in diese Gespräche miteinbeziehen. Auch sie verfügen über Atomwaffen. Von einem eigenen atomaren Schutzdach nur für Europa sind wir allerdings noch weit entfernt. Die genannten Gespräche werden bis auf weiteres nicht die nukleare Teilhabe im Rahmen der Nato ersetzen Dennoch sollte die Möglichkeit einer zweiten Lebensversicherung ausgelotet werden.

Das Bündnis bekommt mit Mark Rutte einen neuen Generalsekretär. Ist er in der Lage, einen irrlichternden Donald Trump, sollte dieser nochmal US-Präsident werden, in der Rationalität des Nordatlantischen Bündnisses zu halten?

Heusgen Marc Rutte ist ein erfahrener Transatlantiker. Seine Wahl ist eine gute! Er ist seinerzeit mit Trump prima zurechtgekommen. Ich traue ihm zu, das Bündnis zusammenzuhalten.

Glauben Sie daran, dass die Nato-Europäer eines Tages tatsächlich in der Lage sein werden, sich ohne Hilfe der USA selbst zu verteidigen?

Wir sollten nicht spekulieren, sondern unsere Hausaufgaben machen. Alle amerikanischen Präsidenten haben ihre europäischen Partner aufgefordert, ihren Teil zur Bündnisverteidigung beizutragen. Die Amerikaner sehen nicht ein, dass sie mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukt für Verteidigung ausgeben und wir weniger als zwei. Wenn wir Europäer unsere eingegangenen Verpflichtungen jetzt endlich erfüllen, dann ist mir nicht bange um das Bündnis!

Was wünschen Sie der Nato zum 80. Geburtstag in fünf Jahren?

Heusgen Dass die neue Nato genauso erfolgreich ist wie die alte!

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