Orban erstmals seit neun Jahren wieder in der Ukraine
Und sofort zeigten sich wieder die bekannten Meinungsunterschiede: Der ungarische Regierungschef verlangte einen raschen Waffenstillstand mit Russland, der ukrainische Präsident betonte den Wunsch nach gerechtem Frieden.
Werden wohl nie Freunde werden: der rechtspopulistische ungarische Ministerpräsident Orban und der ukrainische Staatschef Selenskyj
Der ungarische Regierungschef Viktor Orban ist erstmals seit Kriegsbeginn in die von Russland angegriffene Ukraine gereist und hat Präsident Wolodymyr Selenskyj zu Gesprächen getroffen. "Ziel der ungarischen Ratspräsidentschaft ist es, zur Lösung der Herausforderungen beizutragen, vor denen die Europäische Union steht. Meine erste Reise führte daher nach Kiew", schrieb der rechtspopulistische Politiker bei Facebook. Die Beziehungen zwischen Kiew und Budapest gelten als angespannt.
"Ich habe den Präsidenten aufgefordert..."
Orban rief Selenskyj zu einer raschen Waffenruhe mit Russland auf. "Ich habe den Präsidenten aufgefordert, die Möglichkeit einer Waffenruhe schnell in Betracht zu ziehen", erklärte Orban in der ukrainischen Hauptstadt. Diese wäre "zeitlich begrenzt und würde es erlauben, die Friedensverhandlungen zu beschleunigen". Selenskyj seinerseits hielt dem ungarischen Regierungschef entgegen, die Ukraine brauche einen "gerechten Frieden". Zugleich rief der ukrainische Staatschef die EU auf, ihre Hilfen für sein Land beizubehalten. Es sei "sehr wichtig für uns alle in Europa, dass Europas Unterstützung für die Ukraine auf einem ausreichenden Niveau bleibt, auch hinsichtlich unserer Verteidigung gegen den russischen Terror", so Selenskyj.
Selbst der Handschlag für die Fotografen scheint schwer zu fallen: Viktor Orban und Wolodymyr Selenskyj in dessen Amtssitz in Kiew
Ungarn hatte am Montag turnusgemäß die EU-Ratspräsidentschaft bis Ende des Jahres übernommen. Orban unterhält trotz des russischen Angriffskrieges enge Beziehungen zu Moskau. Im Oktober 2023 nahm er zusammen mit Kreml-Chef Wladimir Putin am Seidenstraßen-Forum in Peking teil. Es war das erste Treffen eines EU-Staats- und Regierungschef mit Putin seit Kriegsbeginn.
Ungarn von russischen Gaslieferungen abhängig
In der Vergangenheit hatte Orban Hilfen für die von Russland angegriffene Ukraine verzögert und mehrfach versucht, Sanktionen gegen Moskau zu verhindern. Ungarn ist weiterhin stark von russischen Gaslieferungen abhängig, die trotz des Kriegs teilweise durch die Ukraine fließen. Allerdings will Kiew den zum Jahresende auslaufenden Vertrag nicht verlängern. Orban kritisierte zudem die Eröffnung der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine.
Ein weiterer Streitpunkt sind die Rechte der ungarischen Minderheit in der Ukraine, als deren Schutzpatron sich Orban seit Jahren inszeniert. Bei einem Fußballspiel provozierte der 61-Jährige zudem mit einem Schal, auf dem die Umrisse von Großungarn aus dem Jahr 1920 zu sehen waren. Zu der Zeit gehörte unter anderem das heute in der Ukraine liegende Transkarpatien zu Ungarn. In Kiew war Orban das letzte Mal 2015. Zu der Zeit war noch der später nach Russland geflohene Viktor Janukowitsch als Präsident im Amt - und die Krim war noch nicht von Russland annektiert.
sti/jj (afp, dpa)