Hoffen auf den nächsten Boom
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Hoffen auf den nächsten Boom
Radeln für Radfahrerrechte: Auch in Frankfurt sind viele Straßen nicht besonders bikerfreundlich.
Zum Start der Leitmesse Eurobike in Frankfurt am Main leidet die Fahrradindustrie unter dem schlechten Wetter und vollen Lagern. Trotzdem gibt die Branche sich optimistisch.
Ein riesiges Fragezeichen steht am Ende der Präsentation des Verbands der Fahrradindustrie (ZIV): „Lagerbestand im Handel – die große Unbekannte?“ ist da zu lesen. Das Fragezeichen beschreibt kurz und knapp, wie es um Hersteller und Händler steht. Für das gesamte Jahr 2024 sei „mit einer angespannten Lage“ zu rechnen.
Dabei steht für Hersteller und Händler gerade jetzt ein Saison-Highlight bevor: Die „Weltleitmesse“ Eurobike startet an diesem Mittwoch auf dem Frankfurter Messegelände. Zu sehen sind die Novitäten für die nächste Saison, für die der Verband sich eine „deutliche Erholung“ erhofft. Großes Potenzial wird im Leasing von insbesondere elektrischen Diensträdern gesehen.
Der Reihe nach: Die ersten vier Monate waren für die Velo-Branche eine krasse Enttäuschung. Im zeitigen Frühjahr hofften noch alle auf gutes Wetter und Kundschaft, die sich in rauen Mengen neue Zweiräder zulegt. Doch weder das eine noch das andere trat ein – nach einem ohnehin sehr durchwachsenen Jahr 2023.
Die Corona-Pandemie hatte zuvor nie gekannte Absatzzahlen beschert, doch gleichzeitig gab es massive Lieferschwierigkeiten, was Händler dazu brachte, wie wild zu ordern. Und die Hersteller zogen die Fertigung hoch. Doch die Menschen gaben sich – inflationsbedingt – knauserig. Laut ZIV war der Lagerbestand 2023 mit 1,45 Millionen Fahrrädern und E-Bikes „doppelt so hoch wie in normalen Jahren“.
Für den Verband ist klar, dass auch die Gegenwart „von vollen Lagern“ geprägt ist. Denn von Anfang Januar bis Ende April brach nach ZIV-Daten der Absatz von muskelbetriebenen Rädern um knapp 19 Prozent auf 650 000 Stück ein. Und sogar bei den E-Bikes, dem Boom-Segment der vergangenen Jahre, ging es um 10 000 auf 800 000 verkaufte Exemplare zurück.
Das ungünstige Wetter im Frühjahr war aus Sicht von Branchenkennern ein Faktor. Eine generelle Kaufzurückhaltung der Verbraucherinnen und Verbraucher kam offenbar hinzu. Aber eine maßgebliche Rolle dürfte auch spielen, dass die deutsche Zweiradflotte sich in den drei Corona-Jahren runderneuert hat, was die derzeitige Nachfrage drückt.
Besonders deutlich wird das Überangebot hierzulande beim Blick auf die Importe. Ausländische Hersteller haben sich sehr zurückgehalten. Die Einfuhren sind in den ersten vier Monaten um fast die Hälfte im Vergleich zum Vorjahr geschrumpft.
Die Misere zeigt sich auch auf den Webseiten renommierter Marken in Form von enormen Rabatten: So hat der US-Hersteller Specialized eines seiner Spitzenmodelle für den deutschen Markt von 9000 Euro auf 5850 Euro verbilligt. Canyon bietet ein elektrisch betriebenes Gelände-Velo mit einem Rabatt von 1400 Euro für knapp 4600 Euro an.
Die Preiskämpfe machen sich sogar in Konjunkturanalysen bemerkbar. Einer Erhebung des Münchner Ifo-Instituts zufolge gehört das Geschäft mit Fahrrädern zu den Sektoren im Einzelhandel, die mit sinkenden Preisen für die nahe Zukunft kalkulieren. Ein Faktor ist dabei nach Einschätzung von Fachleuten, dass zahlreiche neue Modelle – siehe Eurobike – bald heranrollen und die Lager deshalb geräumt werden müssen.
Gleichwohl gibt sich ZIV-Geschäftsführer Burkhard Stork optimistisch: „Das Interesse am Fahrrad und E-Bike ist ungebrochen. Deswegen haben wir keine Zweifel daran, dass der Absatz bald wieder anwachsen wird und die Produktion von Fahrrädern und Fahrradteilen wieder anspringt.“
Einer der Hoffnungsträger ist dabei das noch junge Dienstradleasing. Der Umsatz der Anbieter hat sich zwischen 2019 und 2023 verfünffacht und im vorigen Jahr ein Volumen von 3,2 Milliarden Euro erreicht. Dies geht aus einer Studie der Beratungsfirma Deloitte hervor, die in Kooperation mit dem Branchenverband Zukunft Fahrrad erstellt wurde. „Das Dienstradleasing hat sich inzwischen zu einem der relevantesten Markttreiber entwickelt“, betont Kim Lachmann von Deloitte. Das sei auch im herausfordernden vorigen Jahr so gewesen.
Ferner zeige sich, dass dadurch der stationäre Handel gestärkt werde: Bei fast 90 Prozent der abgeschlossenen Verträge sind Fahrradprofis vor Ort mit im Spiel. Beschäftigte können das Dienstrad über ihren Arbeitgeber leasen. Dabei wird ein Teil des Bruttogehalts an die Leasingfirma überwiesen. So werden die Steuern und Sozialabgaben der Beschäftigten gemindert: De facto subventioniert der Staat damit den Fahrradkauf.
Durch diesen Effekt kommen insbesondere Räder der höheren Kategorien in den Handel, 80 Prozent waren im vorigen Jahr E-Bikes, der Durchschnittspreis lag bei rund 3500 Euro.
Die Autorinnen und Autoren der Studie sehen enorme Potenziale. Denn für gut ein Drittel der Beschäftigten (knapp 17 Millionen) ist das Leasing möglich. Aber nur zehn Prozent machen bislang davon Gebrauch. Hinzu komme, dass die Zahl der teilnehmenden Unternehmen kontinuierlich steige, so Lachmann. Wasilis von Rauch, Geschäftsführer von Zukunft Fahrrad, sieht einen „Milliardenmarkt“.
Welche Modelle sich dafür anbieten, können Verbraucherinnen und Verbraucher auf der Eurobike erkunden. Die Messe ist diese Woche von Mittwoch bis Freitag für Leute vom Fach sowie am Samstag und Sonntag für alle geöffnet. Allerdings sind diesmal nur 1800 Aussteller präsent, rund 100 weniger als im Vorjahr.
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