Trotz Streit um Menschenrechte: Erdogan will für die Türkei weiterhin die EU-Mitgliedschaft
Klares Bekenntnis
Trotz Streit um Menschenrechte: Erdogan will für die Türkei weiterhin die EU-Mitgliedschaft
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat bei einer Pressekonferenz das „strategische Ziel“ seines Landes erneuert. Das sei die Mitgliedschaft in der EU.
Ankara – Die Türkei will weiterhin Mitglied in der Europäischen Union (EU) werden. Dieses „strategische Ziel“ seines Landes bekräftigte Präsident Recep Tayyip Erdogan. „Die Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union ist unser strategisches Ziel. Es liegt in unserem gemeinsamen Interesse, dass die EU mit einer ähnlichen Perspektive auf die Türkei zugeht“, sagte Erdogan auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem estnischen Amtskollegen Alar Karis in Ankara.
Türkei stellt Antrag auf Mitgliedschaft in EU 1987
Das Land hat seinen Antrag auf eine Mitgliedschaft in die EU 1987, damals EG (Europäische Gemeinschaft), gestellt und hat seit 1999 den Kandidatenstatus. Die Beitrittsverhandlungen begannen 2005. Wegen der Lage auf der geteilten Insel Zypern gerieten die Beitrittsgespräche allerdings ins Stocken. Während Erdogan darauf drängt, dass es eine Zweistaatenlösung auf der Insel gibt, setzt sich Griechenland für eine Wiedervereinigung ein.
Beziehungen zwischen Türkei und Westen seit 7. Oktober verschlechtert
Und es gibt weitere Probleme zwischen der EU und der Türkei. Nach dem 7. Oktober 2023 haben sich die Beziehungen zwischen der Türkei und dem Westen weiter verschlechtert. Die Türkei wirft Israel immer wieder vor, im Gazastreifen einen Genozid an den Palästinensern zu begehen. Erdogan hatte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sogar mit Hitler verglichen. Zudem hatte es in der Vergangenheit immer wieder Treffen mit hochrangigen Hamas-Funktionären in der Türkei gegeben. Die Türkei gilt daher als sicherer Hafen für die Terrormiliz. Nach mehr als 37.000 getöteten Palästinensern sei der Krieg im Gazastreifen nicht nur eine Gefahr für die regionale, sondern für die globale Sicherheit, sagte Erdogan.
Türkei ignorierte EGMR-Urteile
Eine EU-Mitgliedschaft der Türkei dürfte auch weiterhin schwierig werden. Das Land hat Probleme in sehr vielen Bereichen. In Sachen Menschenrechte ignoriert die Türkei Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), die etwa eine Freilassung des türkischen Kulturförderers und Menschenrechtsaktivisten Osman Kavala fördert. Auch in vielen anderen Fällen ignoriert Ankara die Urteile des EGMR. Insgesamt hat sich die Lage der Türkei vor allem nach dem Putschversuch 2016 verschlechtert. Wie schlecht es um das Land bestellt ist, zeigen die Einschätzungen internationaler Nichtregierungsorganisationen.
- im Rechtsstaatlichkeitsindex vom World Justice Project steht das Land auf Platz 117 unter 142 Staaten
- im Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen auf Platz 149 unter 180 Staaten
- im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International auf Platz 101 unter 180 Staaten
Die Türkei wird angesichts massiver Probleme wohl weiterhin auf eine EU-Mitgliedschaft warten müssen.
Anhaltende Wirtschaftskrise in der Türkei
Auch wirtschaftlich hat das Land massive Probleme. Die Inflation liegt bei 75 Prozent und die Währung verliert seit Jahren an Wert. Das von Erdogan im Vorfeld der Türkei-Wahl im Mai 2023 versprochene „Jahrhundert der Türkei“ lässt weiterhin auf sich warten. Der Türkei-Berichterstatter des Europäischen Parlaments, Nacho Sánchez Amor, warnt wegen der anhaltenden katastrophalen Menschenrechtslage in einem Beitrag auf X die Türkei. „Kein Unternehmen kann einem Umfeld, in dem die Justiz ständig infrage gestellt wird, voll vertrauen“.
Erdogan lässt kurdische Bürgermeister verhaften
Doch Erdogan scheint seine autoritäre Politik weiter fortsetzen zu wollen. Nach den Kommunalwahlen am 31. März wurde der kurdische Bürgermeister von Hakkari, Mehmet Siddik Akis (Dem Parti), durch einen Zwangsverwalter ausgetauscht und anschließend festgenommen, wegen „Terrordelikte“. Insgesamt drohen 27 weiteren Bürgermeistern der pro-kurdischen Dem Parti der Austausch durch einen Zwangsverwalter und die Verhaftung – ebenfalls wegen angeblicher Terrordelikte. Das hatte der regierungsnahe Journalist Nedim Sener in seiner Kolumne in der Zeitung Hürriyet am 6. Mai geschrieben. In der vergangenen Legislaturperiode wurden ebenfalls zahlreiche kurdische Bürgermeister durch Zwangsverwalter ausgetauscht und anschließend verhaftet. (erpe)