Southgate gescheitert: England braucht einen Klopp
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Aus Gelsenkirchen berichtet Andreas Reiners
Bierbecher flogen diesmal keine.
Fußball-Fans können unbarmherzig ehrlich sein. Sie verzeihen aber auch schnell, im Erfolgsfall vergessen sie gerne mal, dass man auch nachtragend sein könnte.
Oder, wie im Fall der englischen Nationalmannschaft, dass das Achtelfinalspiel keine Offenbarung war. Um es mal freundlich auszudrücken.
Deshalb füllten die englischen Anhänger ihre Becher nach dem zittrigen Einzug in das Viertelfinale durch das 2:1 nach Verlängerung gegen die Slowakei lieber weiter mit Bier, anstatt sie wie zuletzt geleert auf ihren Nationaltrainer zu werfen.
Gareth Southgate: Kein Plan für sein Team
Keine Frage: Ein Sieg kann Wunder bewirken, sowohl in Sachen Stimmung als auch sportlich. Stichwort Dosenöffner. Trotzdem, ganz unabhängig davon, was England bei diesem Turnier noch erreichen wird, brauchen die "Three Lions" einen neuen Trainer.
Neue Impulse, neue Ansätze, Lösungen.
Denn auch gegen die Slowakei präsentierte sich England so wie das ganze Turnier über schon: planlos, ideenlos, harmlos. Komplett uninspiriert, wie gelähmt, nervös und ängstlich. Spielerisch und taktisch in Ketten gelegt.
Zu langsam, zu unkreativ, nicht ausbalanciert. Die bloße Zusammenstellung von elf angeblichen Ausnahmespielern ergibt nicht automatisch das bestmögliche Team. England ist der aktuell beste Beweis dafür.
Dabei hat diese Truppe ganz andere Möglichkeiten. Zumindest in der Theorie.
Die Praxis bleibt das Problem. Es ist weiterhin ein Mysterium, wie ein Mittelfeld um Jude Bellingham, Bukayo Saka und Phil Foden, kombiniert mit einem Weltklassestürmer wie Harry Kane, gegen tiefstehende Mannschaften keine Lücken finden, Ideen entwickeln oder Chancen kreieren kann. Normalerweise müsste die Elf eine Wucht entwickeln, mit der sie so manchen Gegner aus dem Stadion spielt.
Doch stattdessen bietet England nach der starken, ersten halben Stunde zum Auftakt gegen Serbien nur noch schwere Kost.
England braucht eine neue Inspiration
Es wirkt, als bräuchte es nur neue Inspirationen, eine andere Art des Coachings, und das Potenzial würde förmlich aus diesem Kader platzen. Southgate kann dem Team offenbar in der Hinsicht nicht mehr helfen, er ist gefangen in seinem eigenen, zu defensiv und auf Kontrolle ausgerichteten Ansatz. Was England ein Stück weit ausrechenbar macht.
Das Spiel gegen die Slowakei wäre eine gute Gelegenheit gewesen, sich und das Team aus dem zu engen Korsett zu befreien, doch Southgate schafft es nicht, das Potenzial freizulegen und zu nutzen.
Nicht nur deshalb benötigt das Team einen neuen Trainer, einen wie Jürgen Klopp zum Beispiel. Jemanden, der begeistern, der motivieren, der so einen Kader führen und mitreißen kann. Ausgestattet mit einer offensiv ausgerichteten Philosophie, passend zu der exorbitanten Stärke dieses Kaders. Einen Kenner des englischen Fußballs, der bereits bei seinem Amtsantritt mit einer Menge Kredit ausgestattet ist, sowohl bei den Fans, als auch bei den Medien,
Um eine neue Ära einzuleiten.
England: Negatives Narrativ
Denn rund um das Nationalteam hat sich inzwischen ein sehr negativ gefärbtes Southgate-Narrativ entwickelt, das vielleicht nicht immer gerecht , dafür aber gefährlich ist, weil es auch hemmen kann. Der 53-Jährige dürfte es schwer haben, dort herauszufinden, wieder eine Positivität zu wecken. Alles andere als der Titel wird das nicht ändern. Und der Triumph bei diesem Turnier, so weit weg er nach den bisherigen Leistungen sein mag, wäre sogar ein idealer Steigbügel für einen perfekten Abtritt.
Stattdessen ist England in einer unangenehmen Tretmühle gefangen. "Ich weiß, welche Reaktionen kommen werden, obwohl wir gewonnen haben", sagte Southgate. Für ihn bleibt es kompliziert, er steht seit Turnierbeginn im Dauerfeuer der Kritik. Sehr wahrscheinlich wird ihm deshalb der bieder-blutleere Auftritt trotz des Viertelfinal-Einzugs medial mal wieder um die Ohren fliegen.
Ein paar Bierbecher wären ihm da wahrscheinlich sogar lieber gewesen.