Wahl in Frankreich: »Wir haben sieben Tage, um eine Katastrophe zu verhindern«
Der rechtsradikale Rassemblement National feiert seinen Sieg. Zentristen und das Linksbündnis wollen sich in einzelnen Wahlkreisen absprechen, um bei der Stichwahl in einer Woche Jordan Bardella zu verhindern.
Wahl in Frankreich: »Wir haben sieben Tage, um eine Katastrophe zu verhindern«
Nach dem Wahlsieg des rechtsradikalen Rassemblement National (RN) wollen Linksbündnis und Macrons zentristisches Bündnis Ensemble unter Umständen zusammenarbeiten, damit weniger Mandate an RN-Kandidaten fallen. »Wir haben sieben Tage, um eine Katastrophe für Frankreich zu verhindern«, sagte der französische Sozialdemokrat Raphaël Glucksmann mit Blick auf die Stichwahl am 7. Juli.
»Das ist keine Parlamentswahl mehr, das ist ein Referendum«, sagte Glucksmann. »Wollen wir, dass die extreme Rechte erstmals in unserer Geschichte über die Wahlurnen an die Macht gelangt?« Glucksmann versicherte, es gebe von linker Seite kein Zögern. »Das einzige Ziel ist es, eine absolute Mehrheit des Rassemblement National zu verhindern.«
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Jean-Luc Mélenchon vom linkspopulistischen La France Insoumise signalisiert Bereitschaft zur Zusammenarbeit. In den Wahlkreisen, in denen das Linksbündnis auf Platz drei und die Rechten auf Platz eins in die Stichwahlen gingen, sollten sich die linken Kandidaten zurückziehen. »Unter allen Umständen ist unsere Anweisung klar: Keine einzige Stimme mehr für den RN«, sagt Mélenchon.
Laut ersten Hochrechnungen liegen die Rechtspopulisten in der ersten Wahlrunde mit etwa 33 Prozent der Stimmen deutlich vorn. Das Regierungslager von Präsident Emmanuel Macron liegt mit etwa 21 Prozent abgeschlagen auf Platz drei hinter dem links-grünen Wahlbündnis Neue Volksfront. Lesen Sie hier die SPIEGEL-Analyse zur Wahl.
Für die Verteilung der 577 Sitze der Nationalversammlung ist es entscheidend, ob und wie viele Kandidaten sich in der zweiten Wahlrunde zurückziehen, um etwa den Sieg eines RN-Kandidaten zu verhindern.
Macrons Partei: Linke unterstützen, die »die Werte der Republik« teilen
Staatspräsident Emmanuel Macron rief angesichts des RN-Wahlsiegs zu einem »breiten, demokratischen und republikanischen Bündnis« aufgerufen. Die hohe Wahlbeteiligung in der ersten Runde zeuge von der »Bedeutung dieser Wahl für alle unsere Landsleute und von dem Willen, die politische Situation zu klären«, betonte der Präsident. »Ihre demokratische Wahl verpflichtet uns«, fügte er hinzu.
Premierminister Gabriel Attal sagte, dass bei der zweiten Runde keine einzige Stimme an den RN gehen sollte. »Der Einsatz ist klar: Es gilt zu verhindern, dass der Rassemblement National eine absolute Mehrheit erhält«, sagte er. Macrons zentristisches Wahlbündnis Ensemble hat seine drittplatzierten Kandidaten aufgerufen, unter Umständen von der Wahl zurückzutreten. Dies gelte aber nur, wenn die linken Kandidaten »die Werte der Republik« teilen. Macrons Lager sieht Kandidaten der linkspopulistischen Partei La France Insoumise kritisch. Diese ist Teil des links-grünen Wahlbündnisses.
»Angesichts der Bedrohung durch einen Sieg der extremen Rechten rufen wir alle politischen Gruppierungen auf, in Verantwortung zu handeln und das Gleiche zu tun«, heißt es weiter in der Erklärung.
Umstrittener Chef der Konservativen will FN unterstützen
Der Vorsitzende von Frankreichs konservativer Partei Les Républicains, Éric Ciotti, hat alle Konservativen aufgerufen, den rechtsradikalen Rassemblement National zu unterstützen. »Heute Abend ist der Sieg in Sicht«, sagte Ciotti. »Dieses Ergebnis ist ein großer Erfolg. Die Franzosen haben mit ihren Stimmen ihren Wunsch nach Veränderung und Wechsel zum Ausdruck gebracht.
Unabgestimmt mit seiner Partei hatte Ciotti eine Kooperation mit Bardella und dem RN vereinbart, woraufhin er aus seiner Partei ausgeschlossen worden war. Er klagte sich wieder ins Amt, aber spricht nur für eine Minderheit seiner Partei. Diese hatte nach den ersten Prognosen angekündigt, zunächst keine Wahlempfehlung für die zweite Runde abzugbeben.
Jordan Bardella: »Will mit absoluter Mehrheit Frankreich regieren«
Der Vorsitzende des rechtsradikalen Rassemblement National (RN), Jordan Bardella, will Ministerpräsident werden, wenn seine Partei im zweiten Wahlgang die absolute Mehrheit bekommt. »Ich will der Premierminister aller Franzosen sein, der die Gegensätze respektiert und stets um die Einheit der Nation bemüht ist«, kündigte er an.
»Ich werde ein Premierminister der ›Kohabitation‹ sein, der die Verfassung und das Amt des Präsidenten der Republik respektiert, aber kompromisslos in der Politik ist, die wir umsetzen werden«, sagte Bardella. In der ersten Runde der Wahl hätten die Wählerinnen und Wähler ein »endgültiges Urteil gefällt«. Die zweite Wahlrunde am 7. Juli werde »eine der entscheidendsten in der gesamten Geschichte« der 1958 gegründeten Fünften Republik sein.
Die Ex-Parteichefin des RN, Marine Le Pen, rief ihre Anhänger dazu auf, ihrer Partei in der nächsten Runde eine »absolute Mehrheit« zu verschaffen. Macrons Lager sei »praktisch ausgelöscht«, erklärte Le Pen, die in ihrem Wahlkreis im Norden bereits im ersten Wahlgang gewählt wurde.
SPD-Außenexperte Roth beklagt mangelnde deutsche Unterstützung für Macron
Der SPD-Außenpolitiker Michael Roth sieht eine Mitverantwortung der Bundesregierung für das starke Abschneiden des RN. »Wir haben uns zu wenig gefragt, wie wir den proeuropäischen, liberalen Präsidenten Macron besser unterstützen können«, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses dem Nachrichtenportal »Politico«. »Wir nehmen zu wenig Rücksicht auf politische Debatten und Probleme in anderen Ländern.«
Die Alternative zu Macron »ist eben kein Sarkozy mehr, sondern eine stramme Rechtsnationalistin wie Marine Le Pen.« Sollte sie die Macht übernehmen, »hätte das auch dramatische Folgen für uns. Frankreich ist das Herz des vereinten Europas. Wenn dieses Herz nicht mehr kraftvoll schlägt, droht der EU ein Infarkt.«