Thüringens AfD-Chef: Das Doppelspiel des Björn Höcke
Der thüringische AfD-Landes- und Fraktionsvorsitzende Björn Höcke (rechts) am Montag im Gericht in Halle
Björn Höcke steht wieder vor Gericht. Es geht um die verbotene Parole „Alles für Deutschland“ der nationalsozialistischen Sturmabteilung (SA). Dass er sich vor Gericht abermals dafür verantworten muss, hat der Mann, der im Herbst Ministerpräsident von Thüringen werden will, nun als Schauprozess bezeichnet. Der Begriff steht für die politische und physische Vernichtung von tatsächlichen oder angeblichen Oppositionellen in den Schreckensregimen Hitlers, Stalins oder Maos.
Höcke nutzte ihn in einem Video auf seinem Telegram-Kanal, nachdem am Montag der zweite Prozess gegen ihn vor dem Landgericht Halle begonnen hatte. Es gebe in Deutschland heute einen „Maulkorbparagraphen, der uns als Oppositionellen mehr oder weniger den Einsatz für dieses Land unmöglich macht“, sagt Höcke. Und fährt fort: „Wenn die AfD an der Regierung ist, dann werden diese politischen Schauprozesse aufgearbeitet werden. Dann wird es wieder eine neutrale Justiz geben.“ Dafür werde man sorgen.
Man kann den Satz so verstehen, dass Höcke Rache für die erlittene Demütigung ankündigt, vor Gericht gezerrt worden zu sein. Staatsanwalt Benedikt Bernzen bewertete das Video am Mittwoch im Gerichtssaal in Halle so: „Statt Einsicht und Reue zu zeigen, kündigt der Angeklagte einen persönlichen Rachefeldzug gegen am Verfahren beteiligte Justizangehörige an.“ Höcke gab sich empört. Diese Interpretation sei „infam“. Es gehe ihm nur darum, die Weisungsgebundenheit der deutschen Staatsanwaltschaft zu beenden, so wie es der Deutsche Richterbund fordere. Denn die sei ein Durchbrechen der Gewaltenteilung. Davon ist in dem Video jedoch an keiner Stelle die Rede.
Plötzlich ist Remigration etwas ganz anderes
Selbstverharmlosungen wie diese haben bei Höcke allerdings System. Als er kürzlich im TV-Duell mit dem Thüringer CDU-Vorsitzenden Mario Voigt nach dem nach der millionenfachen „Remigration“ von Ausländern und Menschen mit deutschem Pass gefragt wurde, sagte er zur Überraschung der Zuhörer, er verwende den Begriff dafür, dass die anderthalb Millionen Deutschen, die in den vergangenen Jahren ausgewandert seien, wieder nach Deutschland zurückkommen, also remigrieren sollten. An eine in seinem Buch von 2018 indirekte geforderte Ausweisung der SPD-Politikerin Aydan Özoguz wollte sich Höcke in der Sendung nicht mehr erinnern.
In Halle steht der Thüringer AfD-Chef nun wieder vor Gericht, weil er die SA-Losung in einer Rede noch einmal verwendet hatte, als er sich deswegen schon in einem Strafverfahren verantworten musste. Bei einem Wahlstammtisch im thüringischen Gera hatte er Ende vergangenen Jahres vor rund 350 Zuhörern den Satz wiederholt, wobei er das Wort Deutschland von Zuhörern im Wirtshaussaal rufen ließ, indem er nach den Worten „Alles für...“ mit dem linken Arm nach oben ausholte.
Höcke war Mitte Mai für das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen zu 100 Tagessätzen je 130 Euro verurteilt worden, weil er die Losung in einer Rede im Mai 2021 verwendet hatte. Höcke bestand nun darauf, dass er von der Strafbarkeit der Losung selbst in Gera nichts gewusst habe. Das ist wenig plausibel, da es ja schon eine Anklage gegen ihn gab. Und zum Ergänzen der Parole will er das Publikum nicht aufgefordert haben. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass einige aus dem Auditorium das vollenden.“
Das Doppelspiel geht auf
Schon im ersten Gerichtsverfahren hat Höcke sich als treu sorgenden vierfachen Familienvater und unbescholtenen ehemaligen Vertrauenslehrer dargestellt, den es erschüttere, dass er vor Gericht erscheinen müsse, weil er „völlig unschuldig“ sei. Seine Erklärung: Die etablierten Medien hätten „aus mir einen Teufel gemacht“.
Ist Höcke also nur dann radikal, wenn er keinen Widerspruch und keinen Kontrollverlust fürchten muss, wie es in den sozialen Medien oder auf dem AfD-Parteitag der Fall ist? Offenbar fährt er eine doppelgleisige Strategie: Für die Protest-Wählerschaft der AfD, die extremistische Positionen eher ablehnt, betreibt er Selbstverharmlosung.
Für die überzeugten Anhänger, die Systemgegner, gibt er den Radikalen, in der Annahme, dass sie sein Abrücken von zuvor Geäußertem als notwendige Strategie begreifen. Am 1. Mai hat Höcke bei einer Rede in Hamm die Zuhörer abermals gestisch zum Ausrufen des Worts Deutschland aufgefordert. Die Verfahren gegen ihn seien nur „die letzten Zuckungen“ des Systems, „nach der Justizkeule kommt nichts mehr“. Bis jetzt geht Höckes Doppelspiel wohl auf.