„Fancy Dance“ mit Lily Gladstone auf Apple TV+: Meine Tante, die Heldin
Lily Gladstone als Tante Jax in „Fancy Dance“
Seit Lily Gladstone für die Regielegende Martin Scorsese vor der Kamera stand und für ihre intensive Schauspielleistung als Angehörige der nordamerikanischen Osage-Nation im historischen Drama „Killers of the Flower Moon“ (2023) unter anderem für einen Hauptdarstellerinnen-Oscar nominiert war, ist sie ein großer Name und ein bekanntes Gesicht in Hollywood.
Sie glänzte aber schon im Jahr 2016 in der episodisch erzählten Indie-Produktion „Certain Women“, in der sie als Rancherin eine starke Zuneigung zu einer jungen Juristin, gespielt von Kristen Stewart, entwickelt. Wenn die beiden auf einem Pferd zu abendlicher Stunde gemächlich zu einem Restaurant reiten, um dort miteinander zu plaudern, verleiht Gladstone diesem Moment durch ihre galante und zugleich völlig unverstellte Art etwas Magisches. Da war eigentlich bereits klar, dass sie das Zeug zum Kinostar hat.
Durch ihren feinfühligen Auftritt in „Certain Women“ wurde auch die indigene Regisseurin Erica Tremblay auf Gladstone aufmerksam. Nach dem Kurzfilm „Little Chief“ (2020) über die Verbindung, die sich zwischen einer Lehrerin und einem neunjährigen Schüler aufbaut, arbeitet das kreative Duo nun für das Krimidrama „Fancy Dance“ erneut zusammen.
Tremblay gehört der Seneca-Cayuga-Nation in Oklahoma an und definiert sich selbst als queer beziehungsweise Two-Spirit – als Mensch, der sich außerhalb des binären Geschlechtersystems befindet. Während in der bisherigen Filmgeschichte oft nur von außen auf das soziokulturelle Umfeld indigen-amerikanischer Gruppen geblickt wurde und dabei etliche Stereotype zum Einsatz kamen, bietet die Filmemacherin eine authentische Betrachtung des modernen indigenen Lebens.
Als wir die kämpferische Jax (Gladstone) und ihre 13-jährige Nichte Roki (Isabel Deroy-Olson) kennenlernen, schlägt sich das Duo gerade mit kleinen Gaunereien durch den Alltag. Seit zwei Wochen ist Rokis Mutter Tawi verschwunden. Weder die Polizei des Reservats, vertreten durch Jax’ Halbbruder JJ (Ryan Begay), noch das FBI scheinen allzu interessiert daran zu sein, nach der Vermissten zu suchen. Mit Flugblättern nimmt Jax die Sache selbst in die Hand und befragt etwa die Kunden des Striplokals, in dem Tawi als Tänzerin gearbeitet hat. Roki hofft, dass ihre Mutter spätestens zum Pow-Wow, dem traditionellen jährlichen Fest in Oklahoma City, zu ihr zurückkehren wird.
Bald steht jedoch das Jugendamt vor der Tür. Roki soll vorübergehend bei ihren weißen Großeltern Frank (Shea Whigham) und Nancy (Audrey Wasilewski) leben. Da Jax in der Vergangenheit mit Dope gedealt hat, gilt sie nicht als vertrauenswürdige Aufsichtsperson; sie soll ihre Nichte nur gelegentlich besuchen dürfen. Da Frank und Nancy ihrer Enkelin die Teilnahme am Pow-Wow nicht gestatten wollen, machen sich Jax und Roki kurzerhand mitten in der Nacht mit Franks „ausgeborgtem“ Wagen auf den Weg. Das hat wiederum zur Folge, dass nach Jax fortan wegen Kindesentführung gefahndet wird.
Tremblay zeigt im Laufe der Handlung, dass Jax und Roki mit Alltagsdiskriminierung konfrontiert werden. Zudem wird deutlich, dass insbesondere weiblich gelesene Native Americans häufig Gewalt ausgesetzt sind. Der Film vermeidet es allerdings, seine Heldinnen auf die Opferrolle zu reduzieren. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Widerstandskraft der Hauptfiguren und vor allem deren enge Bande.
Wenn Jax und Roki in Cayuga, ihrer indigenen Muttersprache, miteinander sprechen, können Frank und Nancy nicht mitreden. Das Wort „Tante“ heißt in dieser Sprache übersetzt „kleine Mutter“. Wie Jax der Aufgabe einer Ersatzmutter auf ganz eigene Art gerecht zu werden versucht, wird von Gladstone mit Hingabe gespielt – und gipfelt im titelgebenden „Fancy Dance“, der uns bei aller realitätsnahen Härte mit Hoffnung erfüllt.
„Fancy Dance“ Spielfilm 90 Minuten auf Apple TV+
Wertung: 4/5