Bald nicht mehr überall verfügbar? Die Krankenhausreform hat viele Kritiker.
Am Nikolaustag 2022 hatte Karl Lauterbach die „Revolution“ ausgerufen. Seit dieser Woche liegt nun auch das Manifest für seine angekündigte radikale Systemveränderung vor: Ein auf 186 Seiten säuberlich aufgezeichneter Referentenentwurf zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG). Der Name atmet mehr Bürokratie als Revolte.
Leider ist das Thema viel zu ernst, um Lauterbachs Sprachbilder weiter zu bedienen. Wenn er den Krankenhäusern und ihren Beschäftigten „schlechte Medizin“ vorwirft, sie in den Ruch von Pfuschbuden rückt und unser Gesundheitssystem auf dem Stand eines Entwicklungslandes einordnet, offenbart der Bundesgesundheitsminister ein seltsames Verständnis der Daseinsvorsorge, die er aber politisch verantwortet. Lauterbach nimmt für sich in Anspruch, allein den richtigen Weg zu kennen. Den offenen Austausch mit den Praktikern in der Selbstverwaltung verweigert er. Weder Ärztekammern, Kassenärztliche Vereinigungen, Apothekerkammern noch Krankenhausgesellschaften finden bei ihm Gehör. Selbst die kommunalen Spitzenverbände lässt er abtropfen. Inzwischen auch die Bundesländer.
Ingo Morell ist Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW) sowie Mitglied der Geschäftsführung des GFO Klinikverbundes Olpe.
Im Alltag trifft es die Patienten
Mit seinem Referentenentwurf ignoriert der Minister die seit zwei Jahren gefährlich wachsende Defizitkrise der Krankenhäuser. Eine Lösung noch für dieses Jahr ist dringend. Die ungedeckten Inflationskosten und die jüngsten rund zehnprozentigen Tarifsteigerungen kumulierten zu einer zweistelligen Milliardensumme. Etwa 500 Millionen Euro ungedeckter Kosten kommen jeden Monat dazu. Doch mehr als ein unterjähriger Ausgleich für Tariferhöhungen im Volumen einer mittleren dreistelligen Millionensumme findet sich nicht im Referentenentwurf. Die massive Unterfinanzierung der Krankenhäuser bleibt bestehen, sie hat weiter System. Eine Bundesratsinitiative von elf Bundesländern, die eine Absicherung der Kliniken zum Ziel hatte, perlte an der Berliner Ampel ab.
Mit den Folgen werden sich politisch nun die Länder auseinandersetzen müssen. Im Alltag trifft es die Patientinnen und Patienten. Die drohende Insolvenzwelle lässt sich nicht mehr verschweigen. Nun sind Krankenhausträger gefordert, ihr Versorgungsangebot einzuschränken und einzelne defizitäre Abteilungen zu schließen. Es ist kein Geld mehr da. Der von Lauterbach zu verantwortende unkontrollierte kalte Strukturwandel reißt Löcher in die Daseinsvorsorge der Krankenhäuser. Diese sicherzustellen, ist letztlich Aufgabe der Bundesländer und der Kommunen. Eine höchst kommode Situation für den Bundesgesundheitsminister, dessen erklärtes Ziel die Schließung von Kliniken ist.
Aus dem Referentenentwurf zum KHVVG lässt sich nicht erkennen, mit wie vielen Krankenhäusern Revolutionär Lauterbach die Gesundheitsversorgung der Zukunft plant. Zwingende Voraussetzung muss aber eine Auswirkungsanalyse sein, nur so kann das Ministerium die Folgen dieses Gesetzentwurfs abschätzen. Doch genau diese Analyse liegt bis heute nicht vor. Es ist eine Reform im Blindflug.
Genau darin liegt der fundamentale Unterschied zur nordrhein-westfälischen Krankenhausplanung, die in diesem Jahr die Abkehr von der Bettenzahl als Planungsgröße hin zu einer Leistungsgruppenstruktur abschließt. Ausgehend vom prognostizierten Versorgungsbedarf der Bevölkerung in den einzelnen Regionen ließ NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann mehrere Auswirkungsanalysen der neuen Planungssystematik durchführen. Der erst hierdurch erkennbare Korrekturbedarf ist dann in den Krankenhausplan für NRW eingeflossen.
Reform greift in Hoheitsrechte der Länder ein
Das Ergebnis wird eine auf die regionalen Erfordernisse, auf den Bedarf der Patientinnen und Patienten ausgerichtete Krankenhausversorgung sein. Das kann auch bedeuten, dass Standorte und Abteilungen zusammengelegt oder geschlossen werden. Wer Argumente für die im Grundgesetz verbriefte Planungshoheit der Bundesländer für die Krankenhäuser sucht, findet sie hier nachvollziehbar und anschaulich.
Den gegenteiligen Ansatz wählt der Bundesgesundheitsminister. In einem zentralistischen Ansatz werden Leistungsgruppen nicht an der Versorgung der Bevölkerung orientiert, sie werden bundesweit ohne regionalen Bezug vorgegeben. Lauterbach will sein Gesetz zustimmungsfrei lassen. Kaum vorstellbar, dass er damit durchkommt. Er hat seinen Alleingang jüngst damit begründet, die Länder hätten ihn gängeln wollen. Nun steht das Gegenteil in seinem Referentenentwurf. Lauterbach greift tief in die verfassungsmäßigen Hoheitsrechte der Länder ein, die er zu ausführenden Mittelbehörden verzwergen will. Ihnen bleibt zwischen zentral vorgegebenen Leistungsgruppen, Qualitätsvorgaben und Mindestfallzahlen nur noch ein rudimentärer Ermessensspielraum, während die Bundesregierung die Krankenhausversorgung schrumpft.
Die Patientinnen und Patienten müssten mit diesen Strukturen dann irgendwie zurechtkommen. Denn die Botschaft an sie lautet: „Die Revolution frisst ihre Krankenhäuser.“
Der Autor ist Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW) sowie Mitglied der Geschäftsführung des GFO Klinikverbundes Olpe.
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