Zivilschutz: Deutschland tut zu wenig für den Ernstfall

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Krisen- und Katastrophenschützer sowie Landesminister schlagen Alarm: Der Bund investiert zu wenig, um die Bevölkerung zu schützen. Innenministerin Faeser verteidigt sich.

Sirenen, Schutzräume, Nahrungs- und Arzneimittel für die Bevölkerung, sichere Datennetze für eine funktionierende Verwaltung und Regierung: Kein Land kann im Ernstfall lange Widerstand leisten, ohne seine Bevölkerung und die staatlichen Institutionen zu schützen. Deutschland allerdings ist schlecht vorbereitet.

Das sagen zahlreiche Experten, das gibt selbst Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zu. Sie hält sogar einen deutlichen Ausbau des Zivilschutzes für nötig und kündigt im Handelsblatt „erhebliche Investitionen in gute Warnsysteme, in moderne Hubschrauber und weitere Ausstattung“ an.

Gleiches gelte für den „effektiven Schutz kritischer Infrastruktur und die Versorgung für Krisenfälle“, sagt Faeser. Anlass seien nicht nur „die russische Aggression“, sondern auch hybride Bedrohungen wie Cyberangriffe, Spionage und Desinformation.

Nicht erst seit dem Beginn von Russlands Krieg gegen die Ukraine steht der Zivilschutz im Fokus. Für ihn ist in Deutschland der Bund zuständig. Doch die Vorkehrungen scheinen alles andere als ausreichend zu sein. Die Bilanz von Faeser, seit Dezember 2021 Bundesinnenministerin, ist für Experten vielmehr: ernüchternd.

Zu wenig Zivilschutz für den Ernstfall: Kritik an Faeser wird lauter

Gerda Hasselfeldt, Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes, sagte dem Handelsblatt: „Derzeit wird nicht genügend für die Stärkung des Zivilschutzes getan.“ Und Albrecht Broemme, langjähriger Landesbrandmeister in Berlin, inzwischen Ehrenpräsident des Technischen Hilfswerks und Vorstandsvorsitzender des Zukunftsforums Öffentliche Sicherheit, sagte auf Nachfrage über die Ministerin: „Sie konnte bislang im Zivilschutz nichts bewegen.“

Dass es ein Sondervermögen für die Bundeswehr gab, sei richtig und wichtig gewesen, lobte Broemme. „Aber darüber hinaus hat das politische Engagement schnell nachgelassen.“ Jedoch gehöre die Zivilverteidigung „zwingend zur militärischen Verteidigung“ – was auch die Bundesministerin so sieht.

Broemme fordert, wie übrigens auch die Innenminister der Länder, mindestens eine Milliarde Euro extra, besser noch zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zum Schutz. Haushaltszwänge lässt er nicht gelten, handle es sich doch um eine politische Entscheidung. Wer kein Geld zur Verfügung stelle, bringe damit zum Ausdruck: „Mir ist die Bevölkerung egal.“

DRK-Präsidentin Hasselfeldt beklagte, dass es immer wieder Anstrengungen gebe, dann aber das Geld im Haushalt fehle. „Es ist beispielsweise fest vereinbart gewesen, zehn mobile Betreuungsmodule für den Einsatz in zerstörter Infrastruktur zu beschaffen.“ Sie würden bis zu 5000 obdachlos gewordenen Menschen helfen. „Bisher gibt es jedoch nur eines.“

Länder kritisieren Bund: Mehr Anstrengungen sind beim Zivilschutz nötig

Die Krisenexperten Broemme und Hasselfeldt sind nicht allein mit ihrer Kritik. Der Bund fahre sein Engagement im Zivilschutz zurück, heißt es aus den Bundesländern, die Länder dagegen investierten vermehrt in den Katastrophenschutz – sie hätten aus Ereignissen wie der Flut im Ahrtal gelernt.

„Es ist Kernaufgabe des Staates, seine Bevölkerung zu schützen, für Ernst- und Katastrophenfälle gewappnet zu sein und die dafür notwendigen Strukturen zu schaffen oder wieder aufzubauen“, erklärte die Innenministerin von Sachsen-Anhalt, Tamara Zieschang (CDU), dem Handelsblatt. „Dieser Kernaufgabe kommt der Bund im Bereich des Zivilschutzes nicht ausreichend nach.“

Die Länder üben schon länger Druck auf den Bund aus. Bereits im Dezember 2021, also vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine, aber nach der Unwetterkatastrophe im Ahrtal mit 134 Toten, hatten die Landesinnenminister angemahnt, dass der Bund ein „Sonderförderprogramm Sirenen“ auflegen soll. Das Innenministerium sagte damals zu, sich bei den Haushaltsverhandlungen „für weitere Mittel zum Aufbau von Sirenen einzusetzen“.

Ein Jahr später konkretisierten die Landesminister: „Rund zehn Milliarden Euro innerhalb der nächsten zehn Jahre“ müssten bereitgestellt werden. Damit sollten „notwendige Strukturen geschaffen und wiederaufgebaut werden können, um der Bevölkerung bei länderübergreifenden Lagen einen adäquaten Schutz bieten zu können“.

Das beinhalte, das Krisenmanagement zu digitalisieren, eine Notstromreserve aufzubauen, eine Sireneninfrastruktur zu schaffen und ein Schutzraumkonzept zu erstellen. Wie reagierte das Bundesministerium? Es gab zu Protokoll: Die Umsetzung stünde „unter Haushaltsvorbehalt“.

Es passierte weiterhin zu wenig für die Landesminister. Sie registrierten Ende 2023 eine „erhebliche Diskrepanz“: Der Bund wolle den Bevölkerungsschutz stärken, aber im Bundeshaushalt 2024 käme es zu „erheblichen Kürzungen im Bereich des Zivilschutzes“. Das Bundesministerium konterte, auch die Länder seien verantwortlich.

Inzwischen hat Hessen eine Initiative in den Bundesrat eingebracht. „Der Bund hat bis dato nicht auf den deutlich aufgezeigten Bedarf reagiert“, sagte Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) dem Handelsblatt. Es fehle Geld, es fehle eine bundesweite Informationskampagne für die Bevölkerung zum Selbstschutz und es fehle die oberste Priorität des Bundes „insbesondere bei der Trinkwasserversorgung sowie der Ernährungsvorsorge und Energie- und Treibstoffversorgung“.

Schutz der Bevölkerung: Ministerium arbeitet an einem Schutzraumkonzept

Das Bundesinnenministerium betonte daraufhin, ein „modernes Schutzraumkonzept“ zu erarbeiten. Von einst 2000 öffentlichen Schutzräumen gibt es noch 579. In ihnen könnten etwa 478.000 Menschen unterkommen. Allerdings sei unklar, ob alle Schutzräume genutzt werden können.

Im Ernstfall böten U-Bahnstationen, Tiefgaragen, Kellerräume in Massivbauweise oder innenliegende Räume und Treppenhäuser Schutz.

Auch investiere das Ministerium „fortlaufend“, etwa im Rahmen der Wassersicherstellung. „Insgesamt 68 Maßnahmen im Wert von drei Millionen Euro“ seien teilfinanziert worden. Dazu gehörten Notstrommaßnahmen oder der Erhalt von Notbrunnen. Hinzu kämen Warnsysteme wie die mit neuer Technik ausgestattete Bundes-Warn-App Nina oder auch weitere Fördermittel zum Ausbau des Sirenennetzes. Dieses Jahr stünden dafür neun Millionen Euro bereit.

Das aber reicht vorne und hinten nicht. Das Bundesinnenministerium selbst räumt ein, dass sich die Sicherheitslage „grundlegend“ verändert habe. Die für den Bund anfallenden Kosten für den Zivilschutz seien gestiegen, sagt ein Sprecher. Das bedeutet: „Für den Schutz der Bevölkerung ist in den nächsten Jahren daher mit erheblichen zusätzlichen Bedarfen zu rechnen.“

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