EU-Posten: Mit den Grünen – oder mit Meloni?
Die Staats- und Regierungschefs der EU treffen sich, um die europäischen Spitzenposten zu organisieren. Dabei wird es auch um den Job der Kommissionspräsidentin gehen.
Auf der Suche nach einer Mehrheit für eine zweite Amtszeit: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
Zu Beginn des informellen Treffens der 27 Staats- und Regierungschefs der EU wird Ursula von der Leyen noch dabei sein, zum Abendessen an diesem Montag bleibt sie nicht. Dann sollen die anstehenden Personalfragen geklärt werden, gern schnell, wie man hört. Das heißt insbesondere: eine Mehrheit organisieren für eine zweite Amtszeit der Kommissionspräsidentin. Nach dem glänzenden Wahlergebnis für die Christdemokraten, die stärkste Kraft im Parlament wurden, erscheint von der Leyen als Spitzenkandidatin der Europäischen Volkspartei (EVP) folgerichtig. Ein Automatismus ist es jedoch nicht. Die wichtigsten Antworten:
Um welche Posten geht es in Brüssel?
Ursula von der Leyen hat sich für eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin beworben, bislang ohne Gegenkandidatur. Die Staats- und Regierungschefs sprechen aber auch über das Amt des EU-Ratspräsidenten und des Außenbeauftragten der EU. Als Ratspräsident ist António Costa im Gespräch, der ehemalige sozialistische Premierminister Portugals. Neue Außenbeauftragte könnte die liberale estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas werden.
Dieses Personalpaket berücksichtigt die politische Gewichtung in der EU. Demnach stellt die EVP als stärkste Fraktion im Europaparlament die Kommissionspräsidentin. Die zweitstärkste Fraktion, die Sozialisten, erhalten den Ratspräsidenten, die Liberalen als drittstärkste Fraktion den Außenbeauftragten. Traditionell werden bei der Vergabe der hohen Posten auch kleinere Länder der EU berücksichtigt. Eine Bestellung von Kaja Kallas würde auch den Wunsch der Osteuropäer erfüllen, in den EU-Institutionen mehr Bedeutung zu bekommen.
Wie ist der Zeitplan für die Personalentscheidungen?
Nach dem informellen Gipfel gibt es am 27. und 28. Juni einen formellen Gipfel. Dort könnte das Personalpaket, über das an diesem Montagabend gesprochen wird, endgültig geschnürt werden. Der EU-Rat hat das Vorschlagsrecht, muss aber seine Vorschläge dem EU-Parlament unterbreiten. Das Parlament trifft sich Mitte Juli zur konstituierenden Sitzung. Dann kann es über das vom Rat vorgeschlagene Personal abstimmen.
Es kann aber auch sein, dass der Rat länger braucht, um sich auf die Verteilung der Spitzenämter zu einigen. Dann würden die Personalentscheidungen wohl erst im September getroffen werden. Doch angesichts des Krieges in der Ukraine und des Rechtsrucks in Europa dürften die 27 Staats- und Regierungschefs eine gewisse Dringlichkeit spüren und eine schnelle Entscheidung herbeiführen.
Wie steht es grundsätzlich um Macht und Mehrheiten nach der EU-Wahl?
Wahlsieger bei den Parlamentswahlen ist die christdemokratische EVP. Die Sozialdemokraten konnten sich europaweit einigermaßen stabil halten. Die Liberalen haben starke Verluste hinnehmen müssen, sind aber immer noch drittstärkste Fraktion. Auch die Grünen haben verloren. Diese vier Parteienfamilien zählt man traditionellerweise zur sogenannten proeuropäischen Mehrheit.
Auch wenn sich diese Parteien in vielen Fragen unterscheiden, eint sie die weitere Integration Europas. Die Parteien am äußerst rechten Rand des politischen Spektrums hingegen wollen die europäische Integration abschwächen, um die Nationalstaaten innerhalb des europäischen Verbundes wieder zu stärken. Diese Rechtsaußenparteien haben bei den Europawahlen zwar zugelegt, doch die proeuropäischen Parteien haben im Parlament weiter die Mehrheit.
Wie wahrscheinlich ist eine zweite Amtszeit für Ursula von der Leyen?
Man kann davon ausgehen, dass der Rat von der Leyen als Kandidatin nominiert. Im EU-Parlament hätte von der Leyen auf dem Papier eine ausreichende Mehrheit. Denn die drei Parteien, auf die sie sich mit einiger Sicherheit stützen kann – EVP, Sozialdemokraten und Liberale –, kommen zusammen auf 400 Stimmen. Von der Leyen braucht für die Wiederwahl mindestens 362 Stimmen. Im Europaparlament herrscht allerdings kein Fraktionszwang. Erfahrungsgemäß werden daher 10 bis 15 Prozent der Abgeordneten nicht so abstimmen wie ihre Fraktionen. Um sicherzugehen, müsste von der Leyen auch bei anderen Parteien Unterstützung finden.
Infrage kommen dabei nur die Grünen und die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR). Die EKR wird dem rechtsextremen Lager zugeordnet. Dort ist die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni die dominierende Figur. Von der Leyen versteht sich mit ihr scheinbar gut. Doch haben die deutschen Sozialdemokraten damit gedroht, sie nicht zu unterstützen, falls sie sich mit Stimmen von Rechtsaußen wählen lässt. "Holt" sich von der Leyen die Stimmen von den Grünen, bekäme sie möglicherweise innerhalb ihrer eigenen EVP Probleme. Ihre Wiederwahl ist also keine ausgemachte Sache.
Welche Rolle spielt die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni?
Bei den Europawahlen ist die Ampelregierung in Berlin genauso wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron stark geschwächt worden. Giorgia Meloni hingegen hat bei den Wahlen fast 30 Prozent der Stimmen erhalten. Italien ist Gründungsmitglied der EU und drittgrößte Volkswirtschaft der Union. Meloni wird aus allen diesen Gründen ein gewichtiges Wort bei der Besetzung der Kommission mitreden wollen. Das hat sie öffentlich auch schon artikuliert: "Wir wollen in Europa nicht Zuschauer, sondern Gestalter sein!", sagte sie nach den Wahlen.
Was genau das bedeutet, ist zu diesem Zeitpunkt schwer zu sagen, denn Meloni hat allzu konkrete Aussagen vermieden. Mit Sicherheit würde sie sich eine Zustimmung zu einer zweiten Amtszeit für von der Leyen teuer bezahlen lassen. Sie könnte etwa einen mächtigen Vizekommissar für Italien verlangen.
Inhaltlich wird sie den Kampf gegen den Klimawandel abschwächen und den Kampf gegen illegale Migration verstärken wollen. Meloni wird es auch sein, die im Wesentlichen darüber bestimmt, wie sich die Rechtsaußenparteien im Europaparlament formieren. Marine Le Pen vom Rassemblement National hat Meloni die Zusammenarbeit angeboten. Doch Meloni hat sich dazu bislang nicht geäußert. Warum auch? Sie ist derzeit in einer strategisch vorteilhaften Position.
Wer kann Parlamentspräsidentin oder -präsident werden?
Darüber entscheidet das Parlament bei seiner konstituierenden Sitzung Mitte Juli. Die Konservative Roberta Metsola hat beste Chancen. Zum einen gehört sie der stärksten Fraktion (EVP) im Parlament an, zum anderen hat sie sich in den vergangenen beiden Jahren, in denen sie diese Rolle innehatte, einen sehr guten Ruf erworben. Außerdem kommt sie aus einem kleinen Mitgliedsland: Malta. Das ist für die EU-spezifische Arithmetik von Bedeutung.