Deutsche Rüstungsfirma Helsing wird teuerstes Start-up in Europa
Dem Militär-Start-up Helsing steht ein richtungsweisender Deal bevor. In der Ukraine arbeitet das Unternehmen an Kampf- und Aufklärungsdrohnen.
Die sogenannte Zeitenwende in Deutschland wirkt sich nun auch konkret auf vergleichsweise kleinere Unternehmen aus. Das Start-up Helsing, eine Technologiefirma, die Künstliche Intelligenz (KI) für Kampfjets, Panzer und U-Boote entwickelt, soll laut Financial Times mit Investoren aus dem Silicon Valley über eine Finanzspritze in Höhe von 500 Millionen Euro verhandeln.
Laut der britischen Tageszeitung wird Helsing derzeit mit etwa 4,5 Milliarden US-Dollar bewertet – somit hätte sich der Wert des Münchener Unternehmens innerhalb eines Jahres verdreifacht; Helsing würde zum teuersten Militär-Start-up Europas anwachsen.
Helsing sei demnach mit den amerikanischen Investoren Accel und Lightspeed Venture Partners in Verhandlungen, die beim süddeutschen Jungunternehmen einsteigen wollen. Eine Helsing-Sprecherin wollte sich dem Handelsblatt zufolge nicht zu den Gerüchten äußern – ebenso wenig die Risikokapitalunternehmen Accel und Lightspeed.
Helsing, gerade einmal vor drei Jahren gegründet, wäre mit dem Deal jedoch nicht nur das teuerste Rüstungs-Start-up Europas, sondern branchenübergreifend das wertvollste Einhorn auf dem Kontinent. Bisher waren Investoren traditionell skeptisch, ihre Gelder in Rüstungsfirmen anzulegen – das hat sich jedoch seit Beginn des Ukrainekrieges schlagartig geändert. Accel, ein früher Unterstützer von Facebook und Spotify, hat beispielsweise noch nie zuvor in den Militärtech- und Verteidigungsbereich investiert.
Helsing arbeitet seit der Gründung in 2021 mit Behörden, Streitkräften und der Waffenindustrie zusammen. Dabei entwickelt das bayerische Unternehmen eine Software, die für Kriegslagen eingesetzt wird. Das Unternehmen nutzt KI, um große Datenmengen zu verarbeiten, die von Sensoren und Waffensystemen generiert werden, um Echtzeitinformationen vom Gefechtsfeld bereitzustellen und dem verbündeten Militär bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen. Ein Beispiel: Helsing arbeitet an ukrainischen Kampf- und Aufklärungsdrohnen, die russische Ziele ausspionieren oder ausschalten sollen.
Der russische Angriff auf die Ukraine habe laut dem Bericht der FT gezeigt, dass sich die moderne Kriegsführung von der Nutzung traditioneller Großwaffen wie Panzer, Gewehre und Munition hin zu softwaredefinierten Technologien verlagere. Nur so könnten beide Seiten Erfolge auf dem Schlachtfeld erzielen und aus der Pattsituation herauskommen. Schon der frühere Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, Walerij Saluschnyj, sagte in einem Gastbeitrag im Economist, dass ein Technologievorsprung vonnöten sei, damit die Ukraine die russische Armee militärisch zurückschlagen könne.
Helsing arbeitet auch mit etablierten europäischen Rüstungsunternehmen zusammen – darunter mit dem schwedischen Konzern Saab, Rheinmetall aus Deutschland sowie Airbus. Mit dem europäischen Luft- und Raumfahrtunternehmen arbeitet Helsing an KI-Technologien, die in bemannten und unbemannten Drohnen eingesetzt werden sollen. In Branchenkreisen wird Helsing als europäische Antwort auf Anduril gesehen, einem amerikanischen Verteidigungstechnologieunternehmen, das sich auf autonome Waffensysteme spezialisiert hat.
Vor wenigen Wochen stattete zudem Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) dem Unternehmen einen Besuch ab. In der Nähe von Odessa in der Südukraine wurden Pistorius und seinem Amtskollegen Rustem Umjerow Live-Demonstrationen von Drohnen gezeigt. „Was wir heute gesehen haben, ist echte Pionierarbeit, (...) sowohl für luft- als auch für bodengestützte Systeme“, sagte Pistorius. „Wir können die Bedeutung dieser Entwicklungen nicht genug betonen. Helsing hat seine KI-Kompetenz über das gesamte Spektrum der Drohnen hinweg unter Beweis gestellt.“
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) während seiner Ukraine-Reise in Odessa neben dem CEO und Mitbegründer von Helsing, Gundbert Scherf.
Das pikante an der Helsing-Spitze: Mitgründer und Geschäftsführer von Helsing, Gundbert Scherf, war vor der Helsing-Gründung selbst über zwei Jahre Mitarbeiter im Verteidigungsministerium. Er sei laut seinem Linkedin-Profil „Architekt des Verteidigungsbeschaffungsprojekts und des deutschen Cybersicherheits- und Informationsdomänenkommandos der Luftwaffe, der Marine und des Heeres“ gewesen. Später wechselte er zurück in das Beratungsunternehmen McKinsey, dann folgte die Helsing-Gründung.
Die Berliner Zeitung berichtete unter anderem über Helsing in dem Artikel „Waffen für die Ukraine: Wie Robert Habeck zum Lobbyisten der deutschen Rüstungsindustrie wurde“ in der Wochenendausgabe vom 25. Mai. Helsing-Vertreter waren unter anderem bei einem Treffen mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), um über „Fragen der nationalen und europäischen Sicherheit und Wehrhaftigkeit“ zu diskutieren.