Gefährlich geschlossen: AfD gibt sich bei Parteitag in Essen salonfähig
Beim AfD-Bundesparteitag in Essen geht es erheblich weniger krawallig zu als bisher. Gerade das macht ihn so relevant.
Alice Weidel (4.v.l), Bundesvorsitzende der AfD, und Tino Chrupalla (3.v.r), Bundesvorsitzender der AfD, stehen zusammen mit zuvor gewählten Mitgliedern des neuen AfD-Bundesvorstands beim Bundesparteitag der AfD in der Grugahalle auf der Bühne.
Unspektakulär, harmonisch, geordnet? Wer den AfD-Parteitag an diesem Wochenende so zusammenfasst und sich entspannt zurücklehnt, übersieht die Tragweite, die von Essen ausgeht. Im Gegenteil: Die Brisanz liegt gerade in der Tatsache, dass es endlich gelingt, den vermeintlich „gärigen Haufen“ zu organisieren.
Am Familientisch der Parteien war die AfD bislang der betrunkene Onkel, der rotgesichtig und geifernd Migranten beleidigte. Wenn es allzu rassistisch wurde, wies ihn jemand in seine Schranken. Ihm die Verantwortung fürs Familienunternehmen zu übertragen – darauf wäre niemand ernsthaft gekommen.
Jetzt nimmt derselbe Mann geduscht und im Maßanzug Platz am Tisch und erweckt den Eindruck, er sei ein akzeptabler Gesprächspartner. Davon werden sich manche blenden lassen.
An seiner Ideologie hat der Mann indes nichts geändert.
Zwar gab es für den Verfassungsschutz, den Weidel laut eigener Aussage „in dieser Form“ abschaffen will, am Wochenende in Essen weniger auf rechts- als auf linksextremistischer Seite mitzuschreiben. Aber die Realität, in der sich Delegierte und Parteiführung auf der Bühne und an den Saalmikrophonen rhetorisch bewegten, ist so skurril wie immer.
Härte, Hass und Abscheu
Hass, Härte und Abscheu gegenüber Menschen, die anders aussehen oder denken, dominieren die Wortbeiträge. In der Welt der AfD sind Bürger in diesem Land jederzeit und allerorten umzingelt von düsteren Männern aus dem Ausland, die nur darauf lauern, den nächsten Menschen mit einem Messer zu attackieren oder zu vergewaltigen. In den Schulen traumatisierten gleichzeitig „woke Hippies“ kleine Kindern unzulässigerweise mit Informationen über sexuelle Vielfalt. Wie absurd.
Gleichzeitig wird auf der Bühne ein diffuses Deutschsein als angeblich einendes Merkmal beschworen. Wer dazugehört und wer nicht? Das will offenbar am liebsten die Partei selbst definieren.
Das Problem besteht nicht in einzelnen Äußerungen, sondern im Grundgefühl und den Schlüssen, die die AfD daraus zieht. Kompromiss oder Kommunikation? Keine Option. An die Bundesregierung richtet die wiedergewählte Parteivorsitzende Alice Weidel den Appell: „Haut endlich ab.“
Nach inhaltlicher, organisatorischer und machttechnischer Klärung wäre der nächste Schritt Regierungsbeteiligung. Brandmauern nützten nichts, argumentierte Weidel am Samstag triumphierend.
Interne Konflikte ausgeräumt
Zum ersten Mal schaffte es die Parteiführung rund um Weidel und ihren Co-Chef Tino Chrupalla, interne Konflikte abzuräumen, bevor sie auf offener Bühne eskalierten. Zwölf Männer und eine Frau – mit diesem Bundesvorstand geht die AfD aus diesem Parteitag. Unter den Gewählten ist etwa Hannes Gnauck, Bundesvorsitzender der Jungen Alternative, der vom Militärischen Abschirmdienst als Extremist eingeordnet wird.
EU-Spitzenkandidat Maximilian Krah trat zwar nicht mehr an. Zuletzt hatte Krah wegen mutmaßlicher Russland- und Chinaverbindungen wochenlang den Wahlkampf dominiert, hatte den Rauswurf der AfD-Abgeordneten aus der europäischen ID-Fraktion ausgelöst und war nicht in die Delegation seiner Partei nach der Wahl aufgenommen worden. Aber selbst jemand wie Krah könnte in der AfD offenbar weiterhin die Chance auf eine Zukunft haben. Weidel jedenfalls erklärte in Anspielung auf Krah: „Wenn jemand auf die Ersatzbank muss, ist er noch nicht aus dem Kader geflogen.“
In ihrer Gesamtheit wird die AfD weiterhin vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingeordnet. Zuletzt verlor die Partei eine Klage vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster dazu. Viele Wähler, insbesondere im Osten Deutschlands, stört das offenbar nicht.
Währenddessen, abseits der Parteitagsbühne im hinteren Bereich der Grugahalle: Mitglieder der Jungen Alternative, der Nachwuchsorganisation der Partei, machen an ihrem Stand begeistert Fan-Fotos mit dem Thüringer AfD-Chef Höcke. Der steht derzeit vor Gericht wegen Verwendung einer verbotenen Nazi-Parole. Der ebenfalls wiedergewählte Parteichef Tino Chrupalla bezeichnete das Verfahren als „Schauprozess“.
Egal, was Parteimitgliedern nachgewiesen wird, egal, was auf offener Bühne gefordert wird: Viele Wähler halten die AfD mittlerweile tatsächlich für eine Alternative. Bei den Vorstandswahlen schlug ein Delegierter aus Stade Weidel und Chrupalla als die „Finanzexpertin“ und den „Handwerksmeister“ vor.
Der Onkel im Anzug macht sich bereit, Macht zu übernehmen.