Ex-NATO-Chef im Interview: "Zögern macht Scholz zu einem Kanzler des ewigen Krieges"

Der frühere NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen geht davon aus, dass der russische Krieg gegen die Ukraine mindestens noch für den Rest des Jahres 2024 weitergeht. "Putin hofft, dass die US-Wahlen eine Veränderung bringen, die ihm helfen könnte", sagt Rasmussen im Interview mit ntv.de.

ex-nato-chef im interview:

Anders Fogh Rasmussen war von 2009 bis 2014 NATO-Generalsekretär, zuvor war er seit 2001 Ministerpräsident seines Heimatlandes Dänemark. Nach seiner Zeit bei der NATO gründete er die Beratungsfirma Rasmussen Global. Rasmussen berät auch die ukrainische Regierung.

Anders Fogh Rasmussen: Es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen der aktuellen Situation und der Zeit des Kalten Krieges, insbesondere natürlich die Konfrontation zwischen dem Westen und Russland. Aber offensichtlich gibt es auch Unterschiede. Ich denke, die Lehre aus dem Kalten Krieg ist: Der beste Weg, Frieden zu gewährleisten, ist stärker zu sein als die Autokraten, stärker als die Widersacher.

Die Waffe, die niemand entbehren kann

Haben die NATO-Mitglieder diese Lektion gelernt?

Nicht alle. Lassen Sie mich als Beispiel Deutschland nennen. Vieles hat sich zum Positiven verändert. Heute ist Deutschland nach den USA der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine. Ich weiß das wirklich zu schätzen. Ich glaube aber, dass in Deutschland bei wichtigen Entscheidungen zu Waffenlieferungen zu viel gezögert wurde. Wir alle erinnern uns an die monatelangen Diskussionen über die Leopard-Panzer. Derzeit weigert sich der Kanzler, Taurus-Langstreckenraketen zu liefern. Ich verstehe wirklich nicht, warum. Dieses Zögern gibt Putin nur einen weiteren Anreiz, den Krieg fortzusetzen. Während wir über Leopard-2-Panzer diskutiert haben, hat er die russischen Verteidigungsanlagen in der Ostukraine verstärkt. Das hat es für die Ukrainer noch schwieriger und noch blutiger gemacht, verlorenes Land zurückzuerobern. Zögern führt nicht zum Frieden, sondern zu einem nie endenden Krieg. Mir ist aufgefallen, dass Bundeskanzler Scholz als Friedenskanzler gesehen werden möchte. Aber ich muss sagen, mehr Zögern wird ihn nicht zum Friedenskanzler machen. Im Gegenteil, es wird ihn zu einem Kanzler des ewigen Krieges machen.

Aber die USA haben entschieden, ATACMS-Langstreckenraketen zu liefern. Die haben eine Reichweite von 300 Kilometern, und ich hatte damit gerechnet, dass die Bundesregierung nachziehen würde. Bundeskanzler Scholz hat das nicht getan. Das ist umso überraschender, als demnächst die ersten F-16-Kampfflugzeuge aus Dänemark und den Niederlanden in der Ukraine eintreffen werden - und eine Kombination aus F-16-Kampfflugzeugen und Langstreckenraketen wäre eine sehr schlagkräftige Waffe. Deshalb fordere ich Bundeskanzler Scholz weiterhin auf, einer Lieferung der Taurus-Raketen schnellstmöglich zuzustimmen. Wir müssen alle Beschränkungen für die Lieferung von Waffen aufheben. Sowohl, welche Art von Waffen wir liefern, als auch mit Blick auf ihre Verwendung.

"In einen solchen Krater kann man ein Haus packen"

Wie kommt es eigentlich, dass Dänemark die Ukraine so stark unterstützt?

In absoluten Zahlen ist Dänemark die Nummer vier - die USA sind die Nummer eins, Deutschland die Nummer zwei, Großbritannien Nummer drei, dann Dänemark, obwohl Dänemark ein kleines Land ist. Ich denke, der Grund ist eine tief verwurzelte Mentalität in Dänemark. Wir fanden es völlig inakzeptabel, dass ein großer, nuklear bewaffneter Staat wie Russland einem friedlichen Nachbarn gewaltsam Land entreißen will.

Die kurze Antwort lautet: Nein. Aber wir sind besser vorbereitet als 2016. Im Jahr 2014, das war mein letzter NATO-Gipfel als Generalsekretär, haben wir beschlossen, dass innerhalb des nächsten Jahrzehnts alle Verbündeten das Zwei-Prozent-Ziel erreichen: dass sie mindestens 2 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung ausgeben müssen. Damals waren es nur drei Länder. Jetzt, ein Jahrzehnt später, halten 23 der 32 Verbündeten das Zwei-Prozent-Ziel ein. Wir sind also besser vorbereitet. Trump hat größere europäische Investitionen in unsere eigene Verteidigung gefordert. Wir haben die Botschaft gehört, Europa ist auf dem Weg. Aber es war ein sehr langsamer, ein zu langsamer Prozess. Wir müssen schneller werden.

Meiner Meinung nach ja. Wir haben 2008 die falsche Entscheidung getroffen. Damals ging es nicht um die Mitgliedschaft der Ukraine, sondern um die Verabschiedung eines Aktionsplans für die Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens. Frankreich und Deutschland waren dagegen; die USA, die osteuropäischen Verbündeten und auch ich als Ministerpräsident von Dänemark waren dafür, der Ukraine einen solchen Membership Action Plan zu gewähren. Wir konnten darüber keinen Konsens erzielen. Stattdessen haben wir beschlossen, dass die Ukraine eines Tages Mitglied der NATO werden soll. Wir haben die Ukraine sozusagen in einem Wartezimmer geparkt, in einer Grauzone. Der hat sich als sehr gefährlicher Ort erwiesen, denn diese Grauzone war fast eine Einladung an Putin, die Ukraine anzugreifen. Zuerst griff er Georgien an, 2014 und 2022 dann die Ukraine. Grauzonen sind Gefahrenzonen. Finnland und Schweden haben das erkannt. Sie haben die Mitgliedschaft in der NATO beantragt und sind heute Mitglieder der NATO. Wir sollten für die Ukraine genau das Gleiche beschließen und die Ukraine in die NATO aufnehmen.

Die NATO diskutiert, nur Scholz sagt nicht so viel

Wann wird die Ukraine Ihrer Meinung nach der Allianz beitreten können?

Die Ukraine erfüllt heute die notwendigen Kriterien. Aber offensichtlich ist es nicht einfach, ein Land im Kriegszustand zur NATO beitreten zu lassen. Mein Vorschlag wäre, die Ukraine beim bevorstehenden NATO-Gipfel in Washington offiziell einzuladen und dann Beitrittsverhandlungen im NATO-Ukraine-Rat aufzunehmen. Es wird einige Zeit dauern, herauszufinden, welche Bedingungen konkret erfüllt sein müssen, bevor die Ukraine der NATO beitreten kann. Sie werden nicht über Nacht beitreten. Aber man muss einen Prozess in Gang setzen, der zur Mitgliedschaft führt. Heute ist die Ukraine möglicherweise das am besten auf einen Krieg vorbereitete Land in Europa. Sie könnte als Bollwerk gegen ein aggressives Russland dienen. Eine Aufnahme der Ukraine in die NATO würde eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa schaffen und den Weg für einen dauerhafteren und nachhaltigeren Frieden auf dem europäischen Kontinent ebnen.

Diese Frage und dieses Argument höre ich sehr oft. Aber zu sagen, dass wir der Ukraine keine Einladung aussprechen können, solange der Krieg andauert, ist ein äußerst gefährliches Argument. Faktisch gibt man Putin damit einen Anreiz, den Krieg fortzusetzen. Wir müssen diese Art der Argumentation durchbrechen. Deshalb schlage ich vor, eine Einladung auszusprechen. Wie gesagt, das bedeutet nicht, dass man über Nacht Mitglied wird. Aber damit wird ein Prozess auf den Weg gebracht - man wird dann sehen, wann die Bedingungen erfüllt sind. Offensichtlich ist es eine Herausforderung, ein Land aufzunehmen, das sich im Krieg befindet. Meiner Meinung nach ist es machbar. Aber die spezifischen Bedingungen sollten hinter verschlossenen Türen im NATO-Ukraine-Rat diskutiert werden, nicht in der Öffentlichkeit.

AfD- und BSW-Anhänger wollen Ukraine nicht helfen

Ja. Bisher haben wir eine beispiellose Einigkeit erlebt, nicht nur innerhalb Europas, sondern auch zwischen Europa und den Vereinigten Staaten. Aber Sie haben recht. Es ist ein Abnutzungskrieg. Putins Kalkül lautet: Je länger der Krieg dauert, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass die westliche Bevölkerung kriegsmüde wird. Ich höre dieses Argument immer wieder: Lasst uns Frieden schaffen, lasst uns zu den bequemeren Zeiten zurückkehren. Aber wenn Frieden auf Kosten der Ukrainer erreicht wird, wenn die Ukrainer gezwungen sind, Gebiete aufzugeben, dann würde Putin zu dem Schluss kommen, dass seine Invasion ein Erfolg war. Er würde Appetit auf mehr bekommen. Warum nicht weitermachen? Als Nächstes käme Moldau an die Reihe, dann Georgien, dann würde er Druck auf die baltischen Staaten ausüben. Was sollte ihn aufhalten? Mein Argument ist, dass es unsere Schwäche ist, die Putin motiviert, die ihn fast schon zum Weitermachen provoziert. Überdies wäre es ein äußerst gefährliches Signal an Autokraten auf der ganzen Welt. Xi Jinping in China würde zu dem Schluss kommen: Wenn Putin damit durchkommt, die Ukraine zu überfallen, dann komme ich damit durch, mir Taiwan zu holen. Deshalb können wir in der Ukraine keinen Erfolg Putins zulassen. Aber es bedarf entschlossener politischer Führung, um diese Botschaft an die europäischen Bevölkerungen zu übermitteln.

Es ist schwierig, eine zeitliche Vorhersage zu machen. Ich fürchte, es wird noch lange Krieg sein. Putins Plan A, die gesamte Ukraine in wenigen Tagen zu erobern, ist gescheitert. Sein Plan B ist nun ein eingefrorener Konflikt und die russische Besetzung der Ostukraine, in der Hoffnung, dass der Westen schwächelt und nachgibt. Der Krieg wird mindestens für den Rest des Jahres 2024 weitergehen, denn Putin hofft, dass die Präsidentschaftswahlen in den USA am 5. November eine Veränderung bringen, die ihm auf die eine oder andere Weise helfen könnte. Meiner Meinung nach wird das nächste Jahr entscheidend sein. Wenn wir den Ukrainern alles geben, was sie brauchen, nicht nur zum Überleben, sondern tatsächlich, um den Krieg zu gewinnen, haben sie gute Chancen, die Russen zurückzudrängen.

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