U17: Hoffnungsschimmer in deutscher Fußball-Krise?

Nach dem Finaleinzug der deutschen Fußballer bei der U17-Weltmeisterschaft ist die Freude groß. Allerdings lässt sich ein Erfolg bei einem Nachwuchs-Turnier selten auf den Seniorenbereich übertragen.

u17: hoffnungsschimmer in deutscher fußball-krise?

Seltenes Bild: Jubelnde deutsche Fußball-Nationalspieler – die U17 greift bei der WM nach dem Titel

“Das sind genau die Geschichten, die der deutsche Fußball benötigt”, sagte Hans-Joachim Watzke, Vizepräsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), nach dem Sieg der deutschen U17-Nationalmannschaft im WM-Halbfinale gegen Argentinien: “Mein großes Kompliment gilt der Mannschaft und dem Trainerstab. Was sie geleistet haben, ist einfach großartig.”

Die U17 hatte zunächst spät den 3:3-Ausgleich kassiert und sich aber anschließend mit 4:2 im Elfmeterschießen durchgesetzt. “Das Selbstvertrauen zu haben, nach so einem späten Rückschlag das Elfmeterschießen zu gewinnen, sagt etwas aus über den Charakter der Mannschaft aus”, lobte anschließend auch Bayer Leverkusens Sportchef Simon Rolfes.

Auch U17-Nationaltrainer Trainer Christian Wück ist begeistert von seiner Mannschaft. Man habe es geschafft, “ganz unterschiedliche Charaktere” zu einem Team zu formen, “das durch dick und dünn geht”, sagte Wück, der nun auch den letzten Schritt gehen und das Endspiel am Samstag (13 Uhr MEZ) gegen Frankreich gewinnen möchte. “Ich glaube, dass wir mit unseren Tugenden, unserer Mentalität und unseren individuellen Fähigkeiten die Möglichkeit haben, den Titel zu holen.”

Tatsächlich kommt der Erfolg nicht von ungefähr oder völlig überraschend. Wücks Team sicherte sich im Juni bereits den U17-Europameistertitel. Auch damals im Finale gegen Frankreich gab es ein 5:4 im Elfmeterschießen.

Lichtblick in der Krise

In Anbetracht der aktuellen Krise bei deutschen Auswahlmannschaften sind diese Erfolge der U17 eine willkommene Abwechslung. DFB-Team, Frauen-Nationalmannschaft und auch die U21 der Männer enttäuschten zuletzt auf ganzer Linie. Die Frauen schieden bei der WM in der Vorrunde aus, die U21 bei ihrer EM ebenfalls. Beide Teams verspielten damit ihre Chance, bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris dabei zu sein.

Bei der A-Mannschaft der Männer steht der gerade erst verpflichtete Bundestrainer Julian Nagelsmann nach den letzten Testspielniederlagen gegen die Türkei und Österreich bereits gehörig in der Kritik: kein Konzept, keine Handschrift, zu viele taktische Vorgaben, die die Spieler eher verwirren als ihnen Halt zu geben – so die lange Mängelliste. Sollte im Frühjahr bei den anstehenden Tests keine Verbesserung eintreten, wird sogar eine Ablösung Nagelsmann vor dem Turnier für möglich gehalten. Von einer erfolgreichen EM im eigenen Land gehen die wenigstens aus.

Halbfinal-Helden Heide und Brunner

Nun rücken stattdessen die U17-Spieler in den Fokus – und tatsächlich gibt es einzelne Spieler, die sich für eine Art “Heldengeschichte” anbieten: So stand Torhüter Konstantin Heide nur deshalb im Tor, weil Stammkeeper Max Schmitt kurzfristig krank ausfiel. Heide zeigte schon in der regulären Spielzeit einige starke Paraden, hielt dann im Elfmeterschießen zwei Bälle der Argentinier und hatte so großen Anteil am Erfolg.

u17: hoffnungsschimmer in deutscher fußball-krise?

Ersatztorhüter Konstantin Heide wurde bei seinem ersten WM-Einsatz gegen Argentinien gleich zum Matchwinner

Auch Paris Brunner, der gegen Argentinien zunächst zwei Treffer erzielte und später auch den entscheidenden Elfmeter versenkte, steht im Rampenlicht – wegen seiner Tore, aber auch wegen der Turniervorgeschichte. Der 17-Jährige, der in diesem Jahr die Fritz-Walter-Medaille in Gold für herausragende sportliche Leistungen gewann, war bei seinem Verein Borussia Dortmund im Oktober “aus disziplinarischen Gründen” suspendiert worden. Offenbar nicht zum ersten Mal. Allerdings blieb unklar, für welche Verfehlungen genau. Klub und Spieler schwiegen dazu. Letztendlich wurde Brunner begnadigt und sorgt nun bei der WM wieder für sportliche Erfolge.

Wück: “Kein Nachwuchsproblem”

Spieler wie Brunner und Heide stehen für Wück stellvertretend dafür, dass der DFB – anders als oft behauptet – kein Nachwuchsproblem hat. Talentierte Spieler seien vorhanden. Woran es diesen mangele, sei die Gelegenheit, ihr Können schon früh auch im Seniorenbereich zu zeigen. “Wir müssen lernen, den deutschen Talenten wieder mehr Vertrauen zu geben”, sagte Wück, der aus eigener Erfahrung spricht. Als er selbst 1990 für den 1. FC Nürnberg seinen ersten Bundesliga-Einsatz absolvierte, war er mit 17 Jahren und 133 Tagen der damals drittjüngste Bundesligaspieler der Ligahistorie.

u17: hoffnungsschimmer in deutscher fußball-krise?

U17-Trainer Christian Wück debütierte mit 17 in der Budnesliga, spielte aber nie in der A-Nationalmannschaft

Wücks U17-Spieler, alle Jahrgang 2006, sind heute im gleichen Alter, wie er damals. Der Trainer hofft darauf, dass seine Schützlinge ihre Entwicklung fortsetzen und ihre Chance erhalten. Möglicherweise helfen auch die Eindrücke der U17-WM oder sogar ein WM-Titel auf dem Weg nach oben.

Erfolg in der Jugend nicht (immer) übertragbar

Allerdings: Gute und erfolgreiche Jugendmannschaften hat es in der Geschichte des DFB schon einige gegeben. Jedoch haben nur die wenigsten Spieler, die mit einem deutschen Nachwuchsteam einen internationalen Titel gewinnen konnten, anschließend auch eine große Karriere in der A-Nationalmannschaft hingelegt, geschweige denn mit dem DFB-Team ebenfalls Titel gewonnen. Die rühmliche Ausnahme bildete das Jahr 2009, als zunächst die U17 den EM-Titel gewann und anschließend auch die U21 Europameister wurde.

In der U17 spielten neben Torhüter Marc-André ter Stegen mit Shkodran Mustafi und Mario Götze zwei spätere Weltmeister. In der U21 waren mit Manuel Neuer, Benedikt Höwedes, Mats Hummels, Sami Khedira und Mesut Özil sogar fünf Spieler dabei, die gemeinsam mit Mustafi und Götze 2014 in Brasilien den WM-Titel gewannen. Allerdings gab es unter den U17- und U21-Europameistern von 2009 auch viele Spieler, die anschließend kein einziges Mal ins DFB-Team berufen wurden.

u17: hoffnungsschimmer in deutscher fußball-krise?

Die U21-Europameister von 2009 mit den späteren Weltmeistern Khedira (5.v.r.), Höwedes (3.v.r), Hummels, Neuer und Boateng (hinten, v.r.n.l.)

Zudem ist die U21 von 2009 nicht wirklich mit der aktuellen U17 zu vergleichen. Als U21-Nationalspieler spielt man normalerweise bereits in der A-Elf eines Bundesliga- oder Zweitligavereins. So war Manuel Neuer 2009 bereits seit einigen Jahren Nummer eins beim FC Schalke 04, auch die anderen späteren Weltmeister waren Bundesliga-Stammspieler, als sie den U21-EM-Titel gewannen.

Für die Spieler der U17 ist der Weg in die Bundesliga und die A-Nationalmannschaft dagegen noch sehr weit, auch wenn alle in den Jugendmannschaften von Klubs der 1. oder 2. Bundesliga spielen. Einzige Ausnahmen sind Torhüter Heide von der SpVgg. Unterhaching (3. Liga) und Kapitän Noah Darvich, der im August aus dem Nachwuchsleistungszentrum des SC Freiburg in die Talentschmiede des FC Barcelona wechselte.

Offene Zukunft

Mit Sicherheit werden sich einige von ihnen zu guten Bundesliga-Profis entwickeln. Vielleicht schafft es der eine oder andere sogar ins DFB-Team. Möglicherweise ergeht es ihnen aber auch wie dem Großteil ihrer Vorgänger aus dem Jahr 1985. Damals, vor 38 Jahren, stand letztmals eine deutsche U17 in einem WM-Finale. Die Mannschaft verlor das Endspiel mit 0:2 gegen Nigeria.

Von den insgesamt 13 Spielern, die im Finale zum Einsatz kamen, hinterließen mit Marcel Witeczek (410 Bundesliga-Spiele) Martin Schneider (379) und Detlev Dammeier (248) anschließend nur drei einen bleibenden Eindruck in Deutschlands höchster Spielklasse. Ein A-Länderspiel bestritt jedoch keiner von ihnen.

Autor: Andreas Sten-Ziemons

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