Ukraine-Krieg: Einfrieren statt Ausbrennen

ukraine-krieg: einfrieren statt ausbrennen

Ein ukrainischer Soldat besteigt ein gepanzertes Fahrzeug während einer Übergabezeremonie von militärischer Ausrüstung an die ukrainischen Streitkräfte.

Kaum ein Begriff ist so heiß umstritten wie das Wort „Einfrieren“. Es geht um den Krieg in der Ukraine. Wäre es sinnvoll, darüber nachzudenken, ob er sich einfrieren und damit beenden ließe? Die Frage hatte der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Rolf Mützenich in der ihm eigenen vorsichtigen Art ins Gespräch gebracht.

Rasch reagierten vor allem jene Politiker und Journalisten, die mehr zum Anheizen als zum Einfrieren von Konflikten neigen. Ihr Vorwurf: Wer ein „Einfrieren“ vorschlage, der wolle die ukrainische Kapitulation. Von Kapitulation hatte zwar niemand gesprochen, doch das mediale Trommelfeuer für die Fortsetzung des Krieges war so stark, dass „selbst Mützenich (…) nicht mehr vom Einfrieren“ sprach, wie die FAZ befriedigt konstatierte.

Die Empörung ließ den Blick auf die Geschichte militärischer Konflikte gar nicht erst aufkommen. Dabei ist offenkundig, dass Kriege meist nicht mit dem Sieg einer Seite, sondern mit einem Waffenstillstand enden. So war es in den Nahostkriegen zwischen Israel und arabischen Staaten 1967 und 1973, im Ersten Kaschmirkrieg zwischen Pakistan und Indien 1947-1949, im Zweiten Kaschmirkrieg 1965 und im Dritten Indisch-Pakistanischen Krieg 1971. So war es auch im Krieg zwischen Iran und Irak, der sich vom September 1980 bis zum August 1988 hinzog.

Mit einem Einfrieren des Blutvergießens endete auch der Koreakrieg der Jahre 1950 bis 1953. Ein Waffenstillstand, unterzeichnet von einem nordkoreanischen und einem amerikanischen General, beendete im Juli 1953 den militärischen Konflikt – bis heute wurde kein Friedensvertrag geschlossen. Hätte man den Krieg fortgesetzt, wäre das wirtschaftlich blühende Südkorea wohl immer noch eine Trümmerwüste. Der Krieg wurde eingefroren, um das Land nicht ausbrennen zu lassen.

Auch damals, vor dem Ende des Koreakriegs, erklang vor allem in Südkorea das Argument, mit den Aggressoren aus dem Norden dürfe man keinen Waffenstillstand schließen, das sei wie eine Kapitulation. Doch das Argument wurde umso schwächer, je mehr koreanische Städte durch den Krieg zerstört wurden. Ähnliches steht auch in der Ukraine zu erwarten.

Womöglich bleibt die zerstörerische Dynamik eines langen Krieges auch Moskau nicht verborgen. Der russische Präsident Wladimir Putin, der bislang in der Hoffnung auf militärische Erfolge keinen Vorschlag für einen Waffenstillstand machen wollte, hat in einem Gespräch mit dem weißrussischen Staatschef Alexander Lukaschenko am 11. April vage angedeutet, er sei zu „Gesprächen über die Entscheidung aller Fragen auf andere Weise“ bereit – also auf andere als kriegerische Weise. Geopolitisch geboten wäre jetzt, die Moskauer Ressourcen nüchtern zu analysieren und zu erörtern, welchen Preis ein jahrzehntelanger Krieg für die Ukraine, für Russland und für Europa hätte.

Die Frage wird sich stellen, unabhängig davon, wie die für den Sommer erwartete russische Offensive ausgehen wird. An einen ukrainischen Sieg glauben laut ZDF-Politbarometer vom Anfang April nur noch acht Prozent der Deutschen. Und davon, dass die Ukraine die von Russland kontrollierten Gebiete einschließlich der Krim wiedergewinnen kann, sind inzwischen nicht einmal mehr jene überzeugt, die weiterhin für Waffenlieferungen an die Kiewer Regierung plädieren. Angesichts dessen wird sich die Debatte über ein Einfrieren des Krieges nicht ewig unterdrücken lassen.

Udo Norden, Jahrgang 1961, ist Historiker und Politologe. Er beschäftigt sich vor allem mit den postsowjetischen Ländern und mit Westafrika.

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