Wirtschaftspolitik: Jetzt herrscht Alarmstufe rotgelbgrün

wirtschaftspolitik: jetzt herrscht alarmstufe rotgelbgrün

„Wir haben viel zu tun, wir müssen die Ärmel hochkrempeln“, sagt Wirtschaftsminister Robert Habeck. Foto: Michael Kappeler/dpadata-portal-copyright=

Die FDP schreibt schneidige Papiere, der Kanzler mault die Wirtschaft an – und Robert Habeck will unverdrossen die Ärmel hochkrempeln. Das passt alles nicht zusammen. Ein Kommentar.

Es müssen besondere Zeiten sein. Jetzt gelten schon nicht mal mehr die Scholz’schen Gesetze. Dazu muss man wissen, wie deren Artikel 1 lautet – schon seit seligen Hamburger Bürgermeister-Zeiten ein ehernes Leitmotiv unter den Vertrauten des Kanzlers: „Wir sind nie beleidigt, wir sind nie hysterisch.“

Das mit dem „hysterisch“ stimmt noch, der Kanzler hat nach außen die Ruhe weg. Sein vor sich her vorgetragener Stoizismus nimmt manchmal sogar geradezu provozierende Züge an (dazu gleich mehr). Aber beleidigt, das ist er schon. In jüngster Zeit häufiger. Scholz findet, dass das Krisenmanagement der Ampel, die weitblickenden Reformen der Regierung und die klug-kühle Vernunft seiner selbst nicht ausreichend gewürdigt werden. Von den Wählerinnen und Wählern nicht, von den Medien nicht – und von der Wirtschaft, ha, von diesen undankbaren Kaufleuten erst recht nicht!

Gerade war das in Hannover zu besichtigen, auf der größten Industriemesse der Welt. Früher ließ sich Angela Merkel dort lustige Roboter vorführen oder noch lustigere Virtual-Reality-Brillen aufsetzen, damit erstmal wieder ein bisschen Vorrat an Innovations-Bildmotiven angelegt war. Auf Hightech aus Deutschland war Verlass, es schimmerte, blinkte und es bewegte sich was. Schön weiter machen, schien die gütige Kanzlerin stets zu sagen, sieht klasse aus, bis zum nächsten Jahr dann!

Mittlerweile bewegen sich vor allem die Gemüter. Scholz und BDI-Boss Siegfried Russwurm nutzten die Messe für einen ordentlichen Clinch. Dass die Verbände und der Kanzler in dieser Legislatur keine Freunde mehr werden, ist den Kundigen schon länger klar, aber mittlerweile geben sich beide Seiten auch keine Mühe mehr, die Beziehungskrise zu verbergen.

Über zwei wirtschaftspolitisch verlorene Jahre hatte Russwurm zuletzt geklagt. Schon das schmerzte im Kanzleramt. Es folgte eine wohl weitgehend folgenlose Klausur in Berlin. In Hannover legte Russwurm nun nach und diagnostizierte einen „besorgniserregenden Abwärtstrend“ für die Industrie. Die Verbände und mit ihnen viele Unternehmer sind tatsächlich geradezu fassungslos, dass der SPD-Regierungschef keinen Handlungsbedarf erkennen will trotz Stagnation und mieser Stimmung allenthalben – jedenfalls keinen, der über den Koalitionsvertrag hinausgeht.

„Lieber Herr Russwurm“ – von wegen!

Scholz wäre aber nicht Scholz, wenn er ausgerechnet den Vorwurf auf sich sitzen lassen würde, er blicke etwas nicht. Und das sagte er dem BDI-Chef in seiner Messe-Eröffnungsrede auch direkt ins Gesicht. Die Ampel habe die Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine in den Griff bekommen, den nötigen Wandel der Energieversorgung angegangen. Und dann: „Der Weg hierher war in den vergangenen zwei Jahren sicherlich anstrengend und fordernd für uns alle. Aber wenn Sie mich fragen, lieber Herr Russwurm, dann waren das eben zwei Turnaround-Jahre.“ Von wegen verloren! Die Moral von der Geschicht‘ aus Hannover: Alles hat ein Ende, nur die beleidigte Leberwurst hat zwei.

Das also war die unangenehme Atmosphäre, in der Robert Habeck an diesem Donnerstag die Frühjahrsprognose seines Ministeriums vorstellte. Es wird in diesem Jahr nur homöopathisches Wachstum von 0,3 Prozent geben – für kommendes Jahr hingegen will der Wirtschaftsminister einen zarten Streif am Horizont erkennen.

Gehört der Grüne nun also auch in die Fürchtet-Euch-nicht-wird-schon-werden-Fraktion des Kanzlers? Eher nicht. Es seien zwei „herausfordernde Jahre“ gewesen, so formuliert Habeck es, nach Turnaround und Mission erfüllt klingt auch er nicht. „Zufriedenheit, gar Selbstzufriedenheit ist momentan die falsche Haltung. Die Situation so herausfordernd, so dass wir uns nicht zurücklehnen dürfen.“ Das geht eindeutig an die Adresse von Olaf Scholz.

Deutschland, so der Wirtschaftsminister weiter, sei in der Wettbewerbsfähigkeit zurückgefallen: „Wir haben viel zu tun, wir müssen die Ärmel hochkrempeln.“ Das wiederum könnte man als Angebot an Christian Lindner lesen, nun tatsächlich gemeinsam an einem 12-Punkte-Plan zu arbeiten, der nicht nur mir gelber Tinte geschrieben ist, sondern in Ampelfarben.

Wenn man Habeck an diesem Mittwoch dann aber so zuhört, wie er zart süffisant darüber redet, die Grünen würden Partei- und Regierungsverantwortung nicht trennen oder wie er Lindners Steuersenkungswünschen eine Absage erteilt – nun, da schwinden die letzten Hoffnungen, dass aus Rot, Grün und Gelb nochmal ein stimmiger Ton gemischt wird.

Lesen Sie auch: Die unsichtbare Hand des Olaf Scholz

Dieser Beitrag entstammt dem WiWo-Newsletter Daily Punch. Der Newsletter liefert Ihnen den täglichen Kommentar aus der WiWo-Redaktion ins Postfach. Immer auf den Punkt, immer mit Punch. Außerdem im Punch: der Überblick über die fünf wichtigsten Themen des Tages. Hier können Sie den Newsletter abonnieren.

Leserfavoriten: Sparprogramm: Volkswagen zahlt bis zu 454.700 Euro Abfindung

Die Höhle der Löwen : So ging es nach der Aufzeichnung mit Investor Dümmel und der Jung-Gründerin weiter

Neuer Arbeitgeber : Was der Jobwechsel der Karriere wirklich bringt

Netflix-Kosten 2024: Netflix erhöht die Preise für das Standard- und Premium-Abo

Die besten Aktien der Welt: Drei dividendenstarke Aktien mit Kurspotenzial

News Related

OTHER NEWS

Ukraine-Update am Morgen - Verhandlungen mit Moskau wären „Kapitulationsmonolog" für Kiew

US-Präsident Joe Biden empfängt Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus. Evan Vucci/AP/dpa Die US-Regierung hält Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zum jetzigen Zeitpunkt für „sinnlos”. Bei einem Unwetter in Odessa ... Read more »

Deutschland im Wettbewerb: Subventionen schaden dem Standort

Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. November 2023 im Bundestag Als Amerikas Präsident Donald Trump im Jahr 2017 mit Handelsschranken und Subventionen den Wirtschaftskrieg gegen China begann, schrien die Europäer auf ... Read more »

«Godfather of British Blues»: John Mayall wird 90

John Mayall hat Musikgeschichte geschrieben. Man nennt ihn den «Godfather of British Blues». Seit den 1960er Jahren hat John Mayall den Blues geprägt wie nur wenige andere britische Musiker. In ... Read more »

Bund und Bahn: Einigung auf günstigeres Deutschlandticket für Studenten

Mit dem vergünstigten Deutschlandticket will Bundesverkehrsminister Wissing eine junge Kundengruppe dauerhaft an den ÖPNV binden. Bei der Fahrkarte für den Nah- und Regionalverkehr vereinbaren Bund und Länder eine Lösung für ... Read more »

Die Ukraine soll der Nato beitreten - nach dem Krieg

Die Ukraine soll nach dem Krieg Nato-Mitglied werden. Die Ukraine wird – Reformen vorausgesetzt – nach dem Krieg Mitglied der Nato werden. Das hat der Generalsekretär des Militärbündnisses, Jens Stoltenberg, ... Read more »

Präsidentin droht Anklage wegen Tod von Demonstranten

Lima. In Peru wurde eine staatsrechtlichen Beschwerde gegen Präsidentin Dina Boluarte eingeleitet. Sie wird für den Tod von mehreren regierungskritischen Demonstranten verantwortlich gemacht. Was der Politikerin jetzt droht. Perus Präsidentin ... Read more »

Novartis will nach Sandoz-Abspaltung stärker wachsen

ARCHIV: Das Logo des Schweizer Arzneimittelherstellers Novartis im Werk des Unternehmens in der Nordschweizer Stadt Stein, Schweiz, 23. Oktober 2017. REUTERS/Arnd Wiegmann Zürich (Reuters) – Der Schweizer Pharmakonzern Novartis will ... Read more »
Top List in the World