„Wir waren auch irgendwie Punk“

Köln. BAP-Chef Wolfgang Niedecken spricht über die Wiederbegegnung mit seinen alten Liedern, über Campino, Wim Wenders und die politische Macht von Taylor Swift.

„wir waren auch irgendwie punk“

„Ich muss auf der Bühne nicht unbedingt anfangen zu flennen“: Wolfgang Niedecken.

Sehr schön, dass Wolfgang Niedecken auch gerade ankommt. Da kann man ihm gleich von dem netten Zufall berichten: Eben ging nämlich eine Frau in einem Sweatshirt mit dem „Abbey Road“-Cover von den Beatles an seinem Lieblingscafé vorbei. Wie vom Fremdenverkehrsamt für Rock-Romantik gebucht! Niedecken lacht: „Wunderbar“, sagt er.

Das „Frau Maher“ liegt, na klar, in der Kölner Südstadt. Der 73-Jährige möchte dort über das neue Livealbum von Niedeckens BAP sprechen: „Zeitreise – Live im Sartory“ umfasst die prägenden Jahre der Band. Im Zentrum stehen Songs ihrer erfolgreichsten Alben „für usszeschnigge!“ und „vun drinne noh drusse“ aus den Jahren 1981 und ’82. Beide Alben erreichten Platz eins der Charts und haben sich mehr als eine Million Mal verkauft. Niedecken bestellt Kaffee, sein Hund Numa bellt manchmal, laut Herrchen „ein reinrassiger Straßenköter aus Rumänien“.

Wim Wenders erzählte neulich im Interview, sein Bruder habe ihm einst Kassetten bespielt und in die USA geschickt, wo Wenders damals wohnte. Auf einem Tape waren auch BAP zu hören, die Wenders noch nicht kannte. Das fand ich schön: Ein Düsseldorfer entdeckt in San Francisco kölschen Rock.

Wolfgang Niedecken Den Wim kennengelernt zu haben, ist ein großes Privileg. Wim und ich sind… ja, es gab eine Zeit, da habe ich gesagt: Er sei mein großer Bruder. Er ist auf jeden Fall einer meiner besten Freunde. Unsere Töchter leben in Berlin, unser Enkel auch, und deshalb sind wir alle anderthalb Monate dort und treffen manchmal auch den Wim. Als er mir von seinem Film „Perfect Days“ erzählte, dachte ich, was wird das wohl für ein Film? Aber das Ergebnis: Bravo!

In dem Film geht es um einen Mann, dessen Vergangenheit man sich über bestimmte Songs erschließen kann, zum Beispiel „House Of The Rising Sun“.

Niedecken (zeigt auf sich)

Sie verbinden auch etwas mit dem Lied?

Niedecken „House Of The Rising Sun“ war die Nummer, die ich meiner Mutter so lange auf der Gitarre meines 20 Jahre älteren Halbbruders vorgespielt habe, dass sie zu meinem Vater den entscheidenden Satz sagte: „Josef, ich glaube, der Junge braucht jetzt seine eigene Gitarre.“

Welche Stücke müssten in einem Film über Sie noch vorkommen?

Niedecken Die Beatles-Single, wo auf der einen Seite „From Me To You“ war und auf der Rückseite „Thank You Girl“. Das war die Single, die mich für Musik interessiert hat. Auf dem Gymnasium gab es einen Mitschüler, der hatte sie doppelt: die englische Pressung und die deutsche. Ich habe die deutsche dann gegen ein Taschenmesser getauscht. Und als ich sie hörte, dachte ich: Das ist ja unfassbar! Das ist die Musik, die uns gehört. Auf einmal hat sich ein ganz anderer Blick aufs Leben für mich geöffnet. Bis dahin war ich Pfadfinder und hab Fußball gespielt, nun öffnete sich die Tür zur Kultur für mich.

Gibt es noch mehr Songs?

Niedecken „Like A Rolling Stone“ von Bob Dylan. Hat mich komplett von den Socken gehauen: Sowas wie der Typ mit der Sonnenbrille will ich auch machen. Dann „Sympathy For The Devil“ von den Stones. Ich hatte mir den Text rausgeschrieben und ihn deshalb im Kopf. Und als ich in der Schule das Aufsatzthema bekam, welches Gedicht mich am meisten beeindruckt habe, schrieb ich diesen Text hin und interpretierte ihn. Das war der Anfang vom Ende meiner Schulkarriere. „Waterloo Sunset“ von den Kinks müsste auch dabei sein. Eine wunderschöne Beschreibung von jemandem, dem es eigentlich nicht gut geht, aber der Anblick der Leute beim Sonnenuntergang tröstet ihn. Wunderschöne Stimmung.

Sie haben eine Radiosendung: „Songpoeten“ auf WDR 4. Sind sie selbst auch einer?

Niedecken (lacht) Fällt mir direkt Bob Dylan ein: „I’m a poet, and I know it / Hope I don’t blow it.“

Als Sie für die Aufnahmen des neuen Albums den alten Stücken wiederbegegnet sind, sind sie auch Ihrem früheren Ich wiederbegegnet. Mochten Sie es noch?

Niedecken Ich bin mit der Person von vor 40 Jahren noch sehr vertraut. Ich weiß, wo meine Wurzeln sind. Ich weiß, wie viel Glück ich gehabt habe. Und ich bin mir darüber bewusst, dass es okay ist, alte Positionen zu überdenken und zu neuen zu finden.

Sie meinen politisch?

Niedecken Zu dem Typen, der damals gegen den Nato-Doppelbeschluss demonstriert hat, würde ich heute sagen: Gottseidank hat Helmut Schmidt daran festgehalten. Da fällt mir kein Zacken aus der Krone.

Hatten Sie je das Bedürfnis, einen Text im Nachhinein umzuschreiben?

Niedecken Ja, aber in der Regel nur, wenn es handwerkliche Fehler gab. Wenn ich zu viel ändern müsste, würde ich sagen, dann spielen wir den Song halt nicht mehr.

Gibt es dazu ein Beispiel?

Niedecken Wir haben immer „Ne schöne Jroos“ bei Konzerten gespielt. Und irgendwann kam mir die letzte Strophe so popelig vor, dass ich da nochmal rangegangen bin. Ich hatte so ein Nackenhaar-Gefühl: Was sing ich hier eigentlich, das kann man besser ausdrücken. Ich habe allerdings nichts an der Grundstruktur des Songs geändert. Ich bin jetzt ganz froh damit.

Sind Sie manchmal von sich selbst gerührt?

Niedecken Bei einigen Stücken schon. Vor allem, wenn sie mit Personen zusammenhängen, die nicht mehr leben. Aber das mache ich am Schreibtisch mit mir aus, ich muss auf der Bühne nicht unbedingt anfangen zu flennen. Diese Hornhaut habe ich mir schon antrainiert.

Sie haben ein hingebungsvolles Publikum.

Niedecken Ein sehr dankbares Publikum. Das bedingt eine Verantwortung. Ich darf nichts machen, was halbgar ist. Ich muss immer mein Bestes geben. Und ich will nur dann etwas abliefern, wenn wir dahinterstehen. Ich möchte das Vertrauen der Leute nicht enttäuschen.

Wie sehen Sie sich selbst?

Niedecken Letztlich bin ich Indie. Gottseidank macht unsere Plattenfirma das mit. Wenn ich eine Idee habe, rufe ich an: Können wir uns treffen? Und dann treffen wir uns, und bisher war die Antwort immer: Ja, machen wir. Ich bin der Indie bei der Universal, das ist ein wunderschönes Gefühl. Ich lebe in meinem eigenen Biotop. Und dann höre ich manchmal von jüngeren Künstlern, dass die was mit BAP anfangen können. Von Casper zum Beispiel, was mich sehr freut.

Wir entdecken Sie neue Musik?

Niedecken Mit dem iPad, angeschlossen an eine gute Anlage. So höre ich mir an, was mir empfohlen wird. Aber ich bin eigentlich totaler Analog Man. Und wenn mir etwas gefällt, sag ich meiner Frau: Bestell mir das doch bitte. Auf CD. Ich weiß zwar nicht mehr, wo ich mit dem ganzen Zeug hin soll, aber manches brauche ich auf CD. Und dann lasse ich sie mir auf mein iPad überspielen, damit ich das unterwegs mit Kopfhörern hören kann.

Wo notieren Sie Song-Ideen? Im iPhone?

Niedecken Bei mir liegen überall Notizbücher rum, damit ich schnell was reinschreiben kann: Schreibtisch, Nachtkommode und neben dem Sofa im Wohnzimmer. Ich muss nie suchen. Da kommen Sätze und Begriffe rein, auch Zeilen aus Romanen, die ich lese. Und manchmal blättere ich die durch und gucke, was ich für einen Refrain verwenden kann oder für den Einstieg eines Songs.

Was halten Sie von Taylor Swift?

Niedecken Unsere Töchter sind beide große Taylor-Swift-Fans. Sie wäre ansonsten spurlos an mir vorübergegangen. Aber ich finde sie super. Das ist jetzt nicht die Neu-Erfindung des Songs, aber sie kommt aus einer gelebten Tradition. Die lebt nach ihren Werten. Ein Lichtblick in einer Zeit wie dieser. Die macht mir Hoffnung. Und ich finde vor allem sensationell, dass sie den Republikanern so eine Angst macht. Die zittern vor einer Popsängerin! Ist das nicht großartig? Die macht beidhändig diesen hier: (doppelte Mittelfinger-Geste).

Sie sind ein Leser. Was hat sie zuletzt begeistert?

Niedecken Der neue Roman von Daniel Kehlmann. Habe ich ihm auch geschrieben. Wir kennen uns über Julian Schnabel. Wunderbarer Mensch. Momentan lese ich „Schatten im Paradies“ aus dem Nachlass von Erich Maria Remarque. Der Roman hat leider keinen Plot, er ist kein großes Werk. Remarque schreibt die Geschichte eines Journalisten in den letzten Kriegsjahren im Exil in New York. Das hat was. Ich lese viel nachts, wenn ich wach werde und weiß, ich kann jetzt erstmal nicht schlafen. Und bei diesem Buch freue ich mich, wenn ich nicht schlafen kann, das will ich weiterlesen.

Campino hielt beim Echo 2012 eine Rede auf Sie. Sie haben bei der Preisverleihung „Düsseldorfer des Jahres“ 2018 eine Laudatio auf die Toten Hosen gehalten. Was verbindet sie mit der Band?

Niedecken Wir kennen uns schon so unfassbar lange. Wir haben die Hosen damals zum Festival nach Wackersdorf geholt. Und ich wusste gar nicht, dass sie uns so dankbar dafür waren. Ich weiß noch, wie die damals ankamen. Die waren vorher im Baumarkt, haben Campingzelte gekauft und Totenköpfen draufgesprüht, und da hatten sie dann ihre Garderobe drin. Wir hatten immer eine ganz freundschaftliche Beziehung zu denen. Vielleicht, weil wir irgendwie auch sowas wie Punk waren.

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