Was Flüchtlinge mit der Kriminalität machen

was flüchtlinge mit der kriminalität machen

Eine Flüchtlingsunterkunft in Wetzlar. (Symbolbild)

Die Zuwanderungswellen der vergangenen Jahre verändern Europa. Das Thema hat die Bevölkerung stark polarisiert. Bei der Europawahl im Juni könnten rechtsgerichtete Parteien vom Unmut in Teilen der Bevölkerung profitieren. Die Flüchtlingsunterkunftskapa­zi­tä­ten platzen aus allen Nähten, Bür­ger­meister und Landräte sind ratlos, wie sie die hohe Zahl der Neuankömmlinge unterbringen sollen.

Die Ankunft von weit über einer Million Asylbewerbern und Flüchtlingen allein in den Jahren 2015 und 2016 hat Deutschland tiefgreifend verändert. Sie hat Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt, auf den Arbeitsmarkt, auf Schulen, öffentliche Dienste und auf die staatlichen Finanzen, über die Ökonomen seit Jahren forschen. Und auch auf das Kriminalitätsgeschehen.

Das ist ein besonders heißes Eisen, denn die Beschreibung überdurchschnittlicher Kriminalitätsraten bestimmter Bevölkerungsgruppen galt lange Zeit als Tabu. Allerdings kann jeder erfahrene Polizist aus deutschen Städten berichten, dass sich in manchen Deliktfeldern bestimmte ausländische Bevölkerungsgruppen hervortun, etwa bei Gewalt-, Drogen- oder Sexualdelikten. In den vergangenen Jahren hat die Zahl der Messerangriffe zugenommen. Einige spektakuläre Morde durch Flüchtlinge, denen junge Frauen zum Opfer fielen, wühlten die Bevölkerung auf.

Auf die Arbeitschancen kommt es an

Das Bundeskriminalamt hat in seinem jüngsten Lagebild „Kriminalität im Kontext von Zuwanderung“ Zahlen präsentiert: Unter den insgesamt 1,9 Millionen Tatverdächtigen von Straftaten in Deutschland im Jahr 2022 gab es mehr als 610.000 nicht deutsche Tatverdächtige. Dies ist ein Anteil von 31,9 Prozent, der weit über dem Anteil der Nichtdeutschen an der Gesamtbevölkerung liegt. 7,4 Prozent der Tatverdächtigen waren Asylzuwanderer – eine fast dreifache Überrepräsentation. Laut der BKA-Statistik sind sie besonders bei Gewalt- und Sexualstraftaten überproportional vertreten.

Woher kommt diese Auffälligkeit in der Kriminalitätsstatistik? Einige Kriminalisten vertreten die These, dass die Asylzuwanderer überwiegend jünger und männlich sind und daher, wie alle jungen Männer, mehr zu Delinquenz neigen und in den Kriminalitätsstatistiken überproportional auftauchen. Lässt sich die Bevölkerung damit beruhigen?

Auch Ökonomen beschäftigen sich mit dem Thema. Einige Forscher haben mit Daten aus verschiedenen Ländern berechnet, dass Migranten insgesamt einen nur sehr geringen Einfluss auf die Entwicklung der Kriminalität in Aufnahmeländern haben. Andere kamen zum Schluss, dass die Kriminalität mehr zunehme, wenn Zuwanderer vor allem aus sehr viel ärmeren Ländern stammen und auf dem Arbeitsmarkt der Zielländer wenig Erfolgschancen haben. Die vorhandenen empirischen Studien zeichnen ein gemischtes Bild.

Ballung in manchen Gegenden

Eine neue Studie zweier Ökonomen vom Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung hat erstmals explizit die Auswirkungen der großen Asylzuwanderungswelle von 2015 und 2016 nach Deutschland untersucht. Martin Lange und Katrin Sommerfeld betonen zu Recht, dass Flüchtlinge beziehungsweise Asylbewerber sich von Zuwanderern unterscheiden, die primär in den Arbeitsmarkt eines Landes streben.

Für ihre Studie untersuchen die beiden Ökonomen räumliche Korrelationen zwischen dem Zustrom von Flüchtlingen in den Jahren 2013 bis 2018 und der Entwicklung der Kriminalität in 394 Kreisen und kreisfreien Städten. Allein in den Jahren 2015 bis 2018 kamen 1,6 Millionen Menschen, vor allem aus Syrien, aus dem Nahen Osten und aus Afrika, als Asylbewerber nach Deutschland.

Man wollte sie nach einem bestimmten Schlüssel auf die Kreise und kreisfreien Städte relativ gleichmäßig verteilen, aber es kam doch zur Ballung in manchen Gegenden, sei es wegen der Verfügbarkeit von Unterkünften oder anderer Faktoren. Diese räumliche Ungleichverteilung nutzen die Forscher, um Effekte zwischen Zuwanderung und Kriminalitätsentwicklung auf Kreisebene zu berechnen.

Die Mehrheit der Flüchtlinge wird nicht kriminell

Nach einer sorgfältigen statistischen Auswertung kommen sie zu dem Schluss, dass die Asylzuwanderung zu einer deutlichen Zunahme von Kriminalität geführt hat. Allerdings nicht gleich und sofort, sondern erst im Folgejahr nach ihrer Ankunft. Der Kriminalitätsanstieg sei zwar „klein je Flüchtling“, aber „groß in absoluten Zahlen“, schreiben die ZEW-Forscher. Vor allem für Eigentumsdelikte und Gewaltkriminalität finden sie einen signifikanten Anstieg.

Die absolute Anzahl der Delikte je 100.000 Einwohner im Kreis steige um etwa zwei Fälle, wenn drei zusätzliche Flüchtlinge je 100.000 Einwohner angekommen waren, schreiben die ZEW-Ökonomen. Die sogenannte Elastizität der Kriminalitätsrate beträgt nach ihren Berechnungen knapp 0,1 für Eigentums- und 0,16 für Gewaltdelikte. Übersetzt heißt das: Es gab knapp 0,1 Prozent mehr Eigentumsdelikte und 0,16 Prozent mehr Gewaltdelikte, wenn die Zahl der Asylbewerber im Vorjahr um ein Prozent gestiegen ist.

Die Ergebnisse der Schätzungen seien robust, wenn man alle möglichen statistischen Kontrollen durchführt, schreiben die beiden Wissenschaftler. Sie betonen die Bedeutung des Zeitverzögerungseffekts: Frühere Studien, die keinen oder kaum einen Zusammenhang zwischen Flüchtlingszustrom und Kriminalitätsentwicklung behaupteten, hatten nur das Jahr der Ankunft oder sehr kurzfristige Zeiträume beobachtet, sie endeten schon 2015. Erstmals ist nun die große Flüchtlingswelle von 2015/16 umfassender betrachtet worden.

Sind die präsentierten Zahlen der Forscher nun groß oder klein? Die Mehrzahl der Flüchtlinge wird nicht kriminell. Aber schon ein relativ kleiner Prozentsatz bedeutet in der Masse eine Zunahme um Zigtausende Delikte. Das spürt die aufnehmende Bevölkerung durchaus.

Wie die Ökonomen betonen, kann eine erfolgreiche Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt die Situation bessern. Wer einen Job hat, damit ein Einkommen erzielt, in beruflicher und sozialer Hinsicht besser integriert ist, wird weniger Neigung zu illegalen ­Aktivitäten verspüren, die Geld einbringen. Ist die wirtschaftliche Integration der gut 1,6 Millionen Neuankömmlinge 2015/16 aus Syrien, dem Nahen Osten und Afrika in den Arbeitsmarkt gut gelungen? Auch darüber streiten Ökonomen. Etwa sieben Jahre nach dem großen Zustrom lebten noch fast zwei Drittel der Syrer ganz oder teilweise von Hartz-IV-Sozialleistungen. Manche Hoffnung auf ein schnelles Arbeitsmarktwunder – oder gar ein „Wirtschaftswunder“ durch Flüchtlinge, wie es sich 2015 der damalige Daimler-Chef Zetsche erhoffte – war wohl doch naiv-optimistisch.

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