Warum Deutschlands Unterstützung für Israel so kraftlos ausfällt

Israels Existenz zählt für Deutschland zur „sicherheitspolitischen Identität“. Diplomatisch wie militärisch ist die Unterstützung für den jüdischen Staat aber eher schwach. Der Fokus der Regierung liegt auf Maßnahmen, deren Wirkung Diplomaten bezweifeln – bei einem anderen Hebel wird seit Jahren laviert.

warum deutschlands unterstützung für israel so kraftlos ausfällt

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) REUTERS

An den Appellen der deutschen Außenministerin hat sich auch nach dem mutmaßlichen israelischen Vergeltungsschlag gegen den Iran nichts geändert. „Es ist jetzt die Stunde, wo alles dafür getan werden muss, dass keine Eskalationsstufe mit unabsehbaren Folgen für die gesamte Region entsteht“, sagte Annalena Baerbock (Grüne) nach dem Treffen der G-7-Außenminister auf der italienischen Urlaubsinsel Capri. Sie rief alle Seiten auf, „daran zu arbeiten, eine weitere Eskalation zu vermeiden“.

Die Sorge um eine größere militärische Auseinandersetzung zwischen Israel und dem Iran – und möglicherweise weiteren Akteuren – spiegelt sich auch in der Abschlusserklärung des dreitägigen Treffens der Chefdiplomaten aus den sieben größten Industrienationen des Westens wider. Italiens Außenminister Antonio Tajani als Gastgeber sagte im Namen der Gruppe: „Die G 7 unterstützt die Sicherheit Israels. Aber wir rufen alle Parteien dazu auf, Eskalation zu vermeiden.“

Seit der Iran am vorigen Wochenende Israel erstmals direkt mit über 300 Raketen, Drohnen und Marschflugkörpern angegriffen hat, ist Baerbock im diplomatischen Dauereinsatz. Das Existenzrecht Israels ist Deutschland „dauerhafte Verpflichtung“ und gehört zur „sicherheitspolitischen Identität“ der Bundesrepublik, wie es in der Nationalen Sicherheitsstrategie der Ampel heißt. Das klingt nach starkem Beistand. Doch tatsächlich sind Ambition und Möglichkeiten der Bundesregierung und ihrer europäischen Partner begrenzt, der Einfluss ist überschaubar.

Das wurde bereits am Mittwoch deutlich, als Baerbock Israel besuchte. Es war ihre siebte Visite seit dem Überfall der Hamas am 7. Oktober, begleitet wurde sie diesmal von ihrem britischen Amtskollegen David Cameron. Ihre Botschaft lautete: Solidarität mit Israel, gleichzeitig mahnte sie Premier Benjamin Netanjahu zu „maximaler Zurückhaltung“. Der erfolgreich abgewehrte Angriff des Iran – nahezu alle Geschosse konnten zerstört werden – sei ein „Defensivsieg“, so Baerbock, der „diplomatisch abgesichert“ werden müsse. Übersetzt heißt das nach deutscher Diktion: Es wäre ein Zeichen der Stärke, wenn Israel sich mit einem Gegenschlag zurückhielte.

Netanjahu aber hat ein anderes Verständnis von Stärke. Abschreckung, das ist vorherrschende Meinung in seinem Kriegskabinett, gelingt nicht durch Zurückhaltung, sondern durch die Demonstration militärischer Fähigkeiten. In Fragen der humanitären Hilfe für die palästinensische Zivilbevölkerung in Gaza war Baerbock zuletzt zwar mit einigen Initiativen durchgedrungen. Diesmal aber herrschte Dissens sowohl über die Lage in Gaza als auch über das Vorgehen gegenüber Iran.

Kaum waren Baerbock und Cameron wieder im Flugzeug, verkündete der Premier: Er danke seinen Freunden für ihre Unterstützung, sie hätten „auch alle möglichen Vorschläge und Ratschläge“ im Gepäck gehabt. Er schätze das, wolle aber klarstellen, „dass wir unsere Entscheidungen selbst treffen werden“.

So kam es dann auch. Israel startete in der Nacht zu Freitag einen Gegenangriff – soweit bisher bekannt allerdings im Rahmen eines begrenzten Schlages in der Region Isfahan. Netanjahu zeigte damit, dass Israel jederzeit in der Lage ist, Ziele im Iran ins Visier zu nehmen, sich dabei von Ratschlägen seiner Verbündeten nicht bremsen lässt, dabei aber gleichzeitig Maß hält.

An der deutschen Zurückhaltung ändert das nichts, trotz der selbst auferlegten Verantwortung für das Existenzrecht Israels. Die erstreckt sich nicht nur auf die Diplomatie, auch militärisch zaudert Berlin. Während Frankreich, Großbritannien, die USA und sogar Jordanien sowie Saudi-Arabien den Israelis bei der Abwehr der iranischen Luftoffensive halfen, beschränkte sich Deutschland darauf, französische Kampfjets in der Luft zu betanken. Mehr als diese indirekte Hilfe gehe nicht ohne Mandat des Bundestags, so das Verteidigungsministerium.

Substanzieller, aber in der Quantität auch begrenzt, ist die Unterstützung durch Rüstungslieferungen. Die Bundesregierung genehmigte 2023 den Export von Gütern im Wert von 326,5 Millionen Euro an Israel, den Großteil davon nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober. Dazu zählten etwa tragbare Panzerabwehrwaffen und 500.000 Schuss Munition für Maschinengewehre. Zudem wurde Sanitätsmaterial geliefert.

Doch viel mehr ist kaum möglich: Die Depots der Bundeswehr sind auch wegen der Ukraine-Hilfe nahezu leer, die Produktionskapazitäten der Industrie laufen nur schleppend an. Baerbock hat gerade eine erneute Ukraine-Initiative gestartet, sie will „auf der ganzen Welt die Luftverteidigung, die wir haben, zusammenkratzen“. Mehr gehe nicht: „Wir können nicht hexen und zaubern.“

Das jahrelange Lavieren um Irans Revolutionsgarden

Der Fokus der Bundesregierung liegt daher in Sachen Iran auf weiteren Sanktionen. Am Mittwoch vereinbarten die Staats- und Regierungschefs der EU eine Ausweitung, die insbesondere die Produktion von Drohnen und Raketen betreffen soll. Auch die G-7-Außenminister verkündeten am Freitag, sie seien bereit, weitere Sanktionen zu verhängen und „rasch und koordiniert zu reagieren, auch mit neuen und bedeutenden Maßnahmen“, um Iran für seine „bösartigen und destabilisierenden Aktionen zur Rechenschaft“ zu ziehen.

So steht seit einiger Zeit die Überlegung im Raum, der staatlichen Fluggesellschaft Iran Air die Flugerlaubnis nach Europa zu entziehen. Die Fluglinie soll ballistische Raketen nach Russland transportiert haben. Ob derlei neue Sanktionen etwas bringen werden, gilt unter Diplomaten als zweifelhaft. Denn schon die massiven Maßnahmen der vergangenen Jahrzehnte haben Teheran nicht nennenswert eingehegt.

Hitzig diskutiert wird auch, ob die iranischen Revolutionsgarden als Terrororganisation eingestuft werden sollen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schloss dies am Mittwoch am Rande des EU-Gipfels nicht aus. Tatsächlich laviert die Bundesregierung in dieser Frage seit Jahren. Zunächst hieß es aus Berlin, es sei aus rechtlichen Gründen nicht möglich, die iranische Elitetruppe in der EU als Terrororganisation zu führen. Dabei verwies man auf ein Rechtsgutachten der Kommission, wonach dafür einschlägige Urteile gegen die Organisation aus EU-Ländern nötig seien.

Doch das Papier wurde nie präsentiert. Als es schließlich an die Öffentlichkeit kam, fand sich darin ausdrücklich der Hinweis, auch Entscheidungen von Drittstaaten reichten – dazu könnten die USA gehören, wo es entsprechende Urteile gibt. Nun verweist Berlin auf den Widerstand anderer EU-Staaten. Den gibt es in der Tat. Frankreich will sich offenbar seine Geschäftskontakte in den Iran nicht verderben, andere Länder fürchten um das Wohl von Doppelstaatsbürgern in iranischen Gefängnissen, wenn die Garden gelistet werden. Für Berlin war diese Sachlage mal bequem, aber sie ist immer weniger haltbar.

Und so bleibt die Gesamtlage unverändert. Der Iran bedroht Israel, verletzt die Menschenrechte seiner Bürger und verfolgt weiter seine nuklearen Ambitionen. Das Atomabkommen von 2015, wonach Irans Nuklearaktivitäten im Gegenzug zur Aussetzung von Sanktionen kontrolliert und beschränkt werden sollten, ist gescheitert. Heute hat Teheran genügend Uran, um schnell den Stoff für mehrere Atombomben anzureichern. Der Bau einer einsatzfähigen Waffe, so schätzen US-Experten, würde nur noch wenige Monate dauern.

Die Bundesregierung verfolge die aktuelle Entwicklung genauestens, sagte Baerbock vor ihrer Abreise von der Insel Capri. Im Auswärtigen Amt sei der Krisenstab zusammengekommen, die G 7 arbeite unermüdlich an einer Deeskalation. „Das ist die Stunde“, schloss die Ministerin, „wo wir als Demokratien und Wertepartner besonders eng zusammenstehen.“

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